Von Burkhard Müller-Ulrich
Die Feuilletons blicken nach Frankreich, wo der Sozialist François Hollande ein philosophisches Schaulaufen veranstaltet und die Zunft der Psychoanalytiker einen harten Schlag verkraften muss.
Wenn in Frankreich ein neuer Staatspräsident gewählt wird, dann müssen die Kandidaten auch ein intellektuelles Schaulaufen absolvieren. Sie zeigen ihre Bildung vor, plaudern über ihre Lieblingsdichter, laden das Fernsehen in ihre Privatbibliothek ein oder nehmen an philosophischen Debatten teil. Der sozialistische Anwärter François Hollande war zum Beispiel gerade in Straßburg, um auf Einladung des Nachrichtenmagazins Nouvel Observateur mit Peter Sloterdijk zu parlieren, und die WELT berichtet über dieses Treffen, das den Autor Sascha Lehnartz offenbar begeistert hat. Jedenfalls findet er es erwähnenswert, dass Hollande "inmitten seines kräftezehrenden Wahlkampfmarathons noch die Muße hat, auf dem Ansatz einer Meta-Ebene sein Tun zu reflektieren."
Allerdings fehlt es in dem Artikel an Beispielen für Meta-Ebenen-Reflexionen des Monsieur Hollande. Stattdessen: die übliche Phrasendrescherei eines Politikers im Overdrive-Modus: "wenn es uns nicht gelingt, de, Projekt Europa einen Sinn zu verleihen, wird die Demokratie beschädigt"
und so weiter – klingt allerdings auf französisch gleich viel beeindruckender, und auch Sloterdijk spricht, wie der Berichterstatter bei der Gelegenheit erfuhr, perfekt Französisch. Und so gab der deutsche Philosoph dem französischen Präsidentschaftskadidaten, der eine Reichensteuer von 75 Prozent einführen will, noch den Rat, er "möge doch damit aufhören, "die Reichen" allein als Bösewichte zu zeichnen. Die seien auch Teil der Menschheit."
Und gleich nochmal Deutschland-Frankreich, und zwar in ganz anderer Hinsicht. "Was in Deutschland schon vor zehn Jahren begann," (sagt die Pariser Psychoanalytikerin und Historikerin Elisabeth Roudinesco) "kommt nun auch nach Frankreich: Die Psychologie wird von der Neurologie verdrängt, der Blick auf das menschliche Subjekt wird auf die organische Dimension verkürzt."
Das Zitat steht in einem Artikel von Joseph Hanimann, der in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über die allgemeine Demontage der Psychoanalyse in Frankreich berichtet. Die ist seit einiger Zeit durch polemische Buchveröffentlichungen und Dokumentarfilme im Gange, und das ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil – wie Hanimann schreibt – "die Psychoanalyse in diesem Land wie nirgends sonst stets auf den großen Bühnen der Gesellschaftsdebatte mitgetanzt hat."
Jetzt hat die Haute Autorité de Santé, das offizielle französische Konsultativorgan für Gesundheitsfragen, den Psychoanalytikern einen weiteren Schlag versetzt, indem sie ihnen die Kompetenz für die Behandlung von Autismus absprach. Zum Teil seien sie daran aber selber schuld, erklärt Hanimann; es habe einfach zu viele sektiererische und groteske Behandlungskonzepte gegeben. Zum Teil liegt es jedoch am allgemeinen Vordringen der sogenannten Kognitionswissenschaften. Für die ist der Mensch eine Informationsverarbeitungsmaschine und kein Einzelsubjekt.
Und noch einen dritten Punkt führt Hanimann an: "In der Frage etwa der Kinderadoption durch homosexuelle Paare hätten manche Psychoanalytiker mit ihrem rigiden, auf Naturwüchsigkeit fixierten Begriff von Mann und Frau sich gesellschaftlich ins Abseits manövriert."
Wie schlecht das ist, sich gesellschaftlich ins Abseits zu manövrieren, zeigt gerade der Rücktritt des Oberhaupts der anglikanischen Kirche, des Erzbischofs von Canterbury Rowan Williams. Da ging es nämlich um solche Fragen wie die Frauenbischofsweihe, die Ordination von Homosexuellen und die Segnung von gleichgeschlechtlichen Ehen, derentwegen sich Traditionalisten und Liberale befehden. Gina Thomas schreibt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Es gehört zu den großen Ironien, daß dieser einst den Progressiven zugeordnete Geistliche, der sich einmal selbstironisch als "haariger Linker" bezeichnete, jetzt im Streit um die gesetzliche Zulassung von gleichgeschlechtlichen Ehen die Position der Traditionalisten verficht."
Und nachdem sogar der konservative britische Premierminister die Homo-Ehe befürwortet, hat der Bischof seine gesellschaftliche Abseitsstellung durch Verlassen des Spielfelds beendet oder unterstrichen – das kann man sehen, wie man will.
Allerdings fehlt es in dem Artikel an Beispielen für Meta-Ebenen-Reflexionen des Monsieur Hollande. Stattdessen: die übliche Phrasendrescherei eines Politikers im Overdrive-Modus: "wenn es uns nicht gelingt, de, Projekt Europa einen Sinn zu verleihen, wird die Demokratie beschädigt"
und so weiter – klingt allerdings auf französisch gleich viel beeindruckender, und auch Sloterdijk spricht, wie der Berichterstatter bei der Gelegenheit erfuhr, perfekt Französisch. Und so gab der deutsche Philosoph dem französischen Präsidentschaftskadidaten, der eine Reichensteuer von 75 Prozent einführen will, noch den Rat, er "möge doch damit aufhören, "die Reichen" allein als Bösewichte zu zeichnen. Die seien auch Teil der Menschheit."
Und gleich nochmal Deutschland-Frankreich, und zwar in ganz anderer Hinsicht. "Was in Deutschland schon vor zehn Jahren begann," (sagt die Pariser Psychoanalytikerin und Historikerin Elisabeth Roudinesco) "kommt nun auch nach Frankreich: Die Psychologie wird von der Neurologie verdrängt, der Blick auf das menschliche Subjekt wird auf die organische Dimension verkürzt."
Das Zitat steht in einem Artikel von Joseph Hanimann, der in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über die allgemeine Demontage der Psychoanalyse in Frankreich berichtet. Die ist seit einiger Zeit durch polemische Buchveröffentlichungen und Dokumentarfilme im Gange, und das ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil – wie Hanimann schreibt – "die Psychoanalyse in diesem Land wie nirgends sonst stets auf den großen Bühnen der Gesellschaftsdebatte mitgetanzt hat."
Jetzt hat die Haute Autorité de Santé, das offizielle französische Konsultativorgan für Gesundheitsfragen, den Psychoanalytikern einen weiteren Schlag versetzt, indem sie ihnen die Kompetenz für die Behandlung von Autismus absprach. Zum Teil seien sie daran aber selber schuld, erklärt Hanimann; es habe einfach zu viele sektiererische und groteske Behandlungskonzepte gegeben. Zum Teil liegt es jedoch am allgemeinen Vordringen der sogenannten Kognitionswissenschaften. Für die ist der Mensch eine Informationsverarbeitungsmaschine und kein Einzelsubjekt.
Und noch einen dritten Punkt führt Hanimann an: "In der Frage etwa der Kinderadoption durch homosexuelle Paare hätten manche Psychoanalytiker mit ihrem rigiden, auf Naturwüchsigkeit fixierten Begriff von Mann und Frau sich gesellschaftlich ins Abseits manövriert."
Wie schlecht das ist, sich gesellschaftlich ins Abseits zu manövrieren, zeigt gerade der Rücktritt des Oberhaupts der anglikanischen Kirche, des Erzbischofs von Canterbury Rowan Williams. Da ging es nämlich um solche Fragen wie die Frauenbischofsweihe, die Ordination von Homosexuellen und die Segnung von gleichgeschlechtlichen Ehen, derentwegen sich Traditionalisten und Liberale befehden. Gina Thomas schreibt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Es gehört zu den großen Ironien, daß dieser einst den Progressiven zugeordnete Geistliche, der sich einmal selbstironisch als "haariger Linker" bezeichnete, jetzt im Streit um die gesetzliche Zulassung von gleichgeschlechtlichen Ehen die Position der Traditionalisten verficht."
Und nachdem sogar der konservative britische Premierminister die Homo-Ehe befürwortet, hat der Bischof seine gesellschaftliche Abseitsstellung durch Verlassen des Spielfelds beendet oder unterstrichen – das kann man sehen, wie man will.