Von Burkhard Müller-Ullrich

23.11.2012
Alle Feuilletons gratulieren Rosa von Praunheim, der am Sonntag 70 wird. Bernd Graff berichtet in der "Süddeutschen Zeitung" über den dänischen Journalisten Peter Øvig Knudsen, der zwei Dokumentation über die Hippie-Bewegung in seinem Land erstellt hat.
Alle Feuilletons gratulieren Rosa von Praunheim, der am Sonntag 70 wird.

"Weltweit wird er als Pionier des unabhängigen Films verehrt"."

schreibt Daniel Kothenschulte in der Frankfurter Rundschau. Der Welt gesteht von Praunheim im Interview:

""Ich halte mich für einen großen, genialen Dichter, werde als solcher aber nicht anerkannt. Ich kann darüber natürlich schmunzeln, obwohl es mich trifft. Denn wenn irgendjemand irgendwann eventuell den Wert dieser Gedichte erkennt, bin ich vielleicht schon tot."

Und der Tagesspiegel zitiert Tom Tykwer, der über den Jubilar gesagt haben soll:

"Eigentlich sind alle seine Filme schlecht. Trotzdem ist er ein großartiger Filmemacher."

Und Rainer Gansera von der Süddeutsche Zeitung formuliert es so:

"Der Kinematograf hat zwei Augen, ein dokumentarisches und ein fiktives. In diesem Sinne sieht Rosa von Praunheim immer stereoskopisch. Er liebt die skizzenhafte Zeichnung, das große Gemälde ist nicht seine Sache. Sein Oeuvre erscheint als buntes work in progress, an dem unermüdlich gearbeitet wird. Heute intensiver denn je."

Und damit kommen wir zu einer Evokation politischen Frohsinns, die uns in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entgegentritt:

"Der Humor hat eine identitätsstiftende Wirkung, die besonders wichtig ist, wenn die eigene Position zu vielen Themen noch unklar ist",

heißt es da, und die Lachsalven des Lesers halten sich ob der betulichen Aussage in Grenzen. Dabei soll Albernheit als Grundwert der Piratenpartei vermittelt werden, und zwar von dem Parteimitglied Laura Sophie Dornheim, einer Unternehmensberaterin, deren Meinung ab und zu Eingang ins FAZ-Feuilleton findet. Diesmal also zum Thema Spaß.

"Menschen lachen. Politiker lächeln höchstens. Auch über das, was in der Politik passiert, möchte man zuweilen lachen, wäre es nur nicht oft so traurig",

heißt es da. Au Backe, es menschelt zum Piratenerweichen. Sicherlich auch auf dem bevorstehenden Programmparteitag, der unter anderem den Antrag Nummer 582 behandeln wird:

"Die Piratenpartei spricht sich für eine intensive Erforschung von Zeitreisen aus, mit dem Ziel, diese noch in diesem Jahrzehnt Realität werden zu lassen."

Gibt es etwas Lustigeres, als diesen sinnfreien Antrag? Humor ist natürlich Geschmackssache, aber die spießige Schmunzel-Dumpfheit dieses Textes zeigt, dass die Verbindung zwischen Witz und Geist, die in der französischen Vokabel "esprit" liegt, für die albernen Piraten Antimaterie sein muss.

"Wir wissen, welches Potenzial wir haben. Deshalb dürfen wir bei all der Arbeit auch ab und an einen Witz machen",

ruft die aufgetümmelte Frau Dornheim dem sich schon fremdschämenden Publikum zu.

Nächstes Thema und schön piratenaffin: die Geschichte des dänischen Journalisten Peter Øvig Knudsen, der zwei Dokumentation über die Hippie-Bewegung in seinem Land während der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre erstellt hat. Davon berichtet Bernd Graff in der "Süddeutschen Zeitung".

Es handelt sich um Multimedia-Dokus, die der Autor als Apps über Apples iBook-Store vertreiben wollte. Aber das wurde ihm verwehrt. Denn die Flowerpower-Dänen sind hippie-gerecht auch mal nackt zu sehen und das widerspricht der berüchtigen Sittenstrenge im Hause Apple.

Und nun wörtlich weiter im Text:

"Autor Øvig Knudsen versuchte dem Apfelbann dadurch zu entgehen, dass er auf den 47 als anstößig monierten Bildern die Genitalien und Freischwing-Hintern mit knackig roten Äpfeln überdeckte. Das half. Die Bücher konnten danach wieder über Apple bezogen werden. Allerdings nur für kurze Zeit. Nach wenigen Tagen muss die für Angemessenheit und Gebührlichkeit zuständige Abteilung bei Apple wohl gedacht haben, dass man sie mit den Scham-Äpfeln veräppele und sprach den Bann erneut aus."

Ende des Zitats. Natürlich halfen Beschwerden gar nichts. Das Unternehmen in Cupertino antwortete mit Schweigen. Der Autor wandte sich an den dänischen Kulturminister, was eine drollige Idee ist, aber auch nichts nützte. Graff weist in der SZ darauf hin, daß an der Prüderie-Posse immerhin eines erstaunlich sei:

War nicht der im vergangenen Jahr verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs selber mal ein Hippie, dessen in Indien erweiterter Geist gerade wegen Love, Peace, Happiness und Acid zu dem Genie wurde, das den Apple-Mythos vom puristisch aufgeräumten Geräte-Design erst begründen konnte?