Von Burkhard Müller-Ullrich

Die Reaktionen auf den umstrittenen Film "Innocence of Muslims" dominierte die Feuilletons der Woche. Außerdem hat Salman Rushdie seine Erinnerungen vorgelegt.
Die blutige islamische Empörungsfolklore hat eine Woche lang sämtliche anderen Themen überstrahlt – auch und gerade in den Feuilletons. Denn natürlich ist der "Clash of Civilisations" ein Kulturthema, zumal wenn es dabei um Kulturprodukte wie Videos oder Karikaturen geht.

Und so beginnt die feuilletonistische Ursachenforschung für Mord und Totschlag meist mit ritueller Selbstkritik des Westens: Ist der böse Film "Innocence of Muslims" nicht handwerklich miserabel? Will die französische Zeitschrift "Charlie Hebdo" mit der Veröffentlichung neuer Mohammed-Karikaturen nicht bloß ihre Auflage steigern? Und sollte man angesichts der prekären Sicherheitslage nicht überhaupt darauf verzichten, vom Recht auf Ausdrucksfreiheit, das einem zusteht, auch Gebrauch zu machen?

Schließlich sagte laut der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG sogar Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste:

"Es gibt keine Meinungsfreiheit ohne Verantwortung. Das müssen die Kollegen mit sich selbst abmachen, ob sie in dieser Situation noch einmal Öl ins Feuer gießen, wenn es schon brennt. Das muss man trotz Satire gut abwägen."

Da stimmte ihm Christian Geyer in der FAZ voll zu und ging sogar einen Schritt weiter: Wenn Leib und Leben bedroht seien, müsse der liberale Staat seine Liberalität auch durch ein Verbot der säkularen Provokation verteidigen.

Henryk M. Broder hält von sämtlichen Distanzierungen und Beschwichtigungen, wie sie von Politikern und Publizisten jetzt dutzendweise vorgetragen werden, gar nichts. In der WELT schrieb er:

"Dahinter steckt nicht der Respekt vor religiösen Gefühlen, sondern die schiere Angst, überrollt zu werden: Aus der German Angst vor Atomtod und Waldsterben ist eine globale Angst vor einer gewalttätigen Ideologie geworden, die das Erbe von Kommunismus und Faschismus antritt."

Einen mediengängig sanften und akademisch hochdekorierten Grenzgänger zwischen dieser Ideologie und einem als friedlich gepriesenen Islam ließ die FRANKFURTER RUNDSCHAU in Gestalt des Schweizer Islamwissenschaftlers Tariq Ramadan zu Wort kommen.

"Im Nahen Osten bis Indonesien war der Protest von der Anzahl her eher marginal. In Pakistan oder Indonesien agierten kleine Gruppen, die nicht repräsentativ sind. Es sind radikale Minderheiten, die agieren. Wir müssen jedoch das große Ganze in den Blick nehmen, dann sehen wir ein Bild von Millionen von Menschen, die friedvoll und in Würde leben wollen."

Dass nebenbei auch westliche Diplomaten ermordet und Botschaften niedergebrannt wurden, scheint für Ramadan unerheblich zu sein. Auch sonst sieht es in der islamischen Welt keineswegs so ruhig und rosig aus:

"Die tunesische Zivilgesellschaft verfügt noch nicht über die demokratischen Abwehrmechanismen, die Salafisten in die Schranken zu weisen. Die Polizei ist durch die Kollaboration mit dem Ben-Ali-Regime diskreditiert und steht jetzt unter dem Befehl der islamistischen Ennahda-Regierung, die sich nicht eindeutig von den Salafisten distanziert. Die Demokratiebewegung wird - obwohl sich inzwischen Gewerkschaften und Bürgerrechtler organisieren - durch den Druck des Tugendterrors der Salafisten zerrieben."

Das berichtete Necla Kelek in der WELT. In derselben Zeitung erinnerte Ulli Kulke daran, dass Christen vielen muslimischen Ländern Freiwild sind.

"Erst Anfang vergangenen Jahres kamen bei einem Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria 21 Gläubige ums Leben. Irak, Iran, Afghanistan, Pakistan, überall dort, wo man jetzt wegen des Tatbestandes der Beleidigung mit Mordaufrufen massenhaft durch die Straßen zieht, sind sich ansässige Christen seit vielen Jahren ihres Lebens nicht mehr sicher."

An seine Kollegen richtete der Autor den Vorschlag:

"Man könnte in den Medien hierzulande natürlich auch all diese Angelegenheiten einmal näher beleuchten. Allerdings, das wäre absehbar, fänden sich auch da genügend Gründe bei willigen Medien, die Schuld auch dafür bei den Christen zu suchen."

Diese Appeasement-Haltung, die Kulke hier angreift, gehört seit 23 1/2 Jahren zum westlichen Standard. Vor 23 1/2 Jahren erließ der iranische Staatschef Ayatollah Khomeini den Mordaufruf gegen Salman Rushdie, und der Zufall will es, dass Rushdie gerade jetzt seine Erinnerungen veröffentlicht hat. "Sein bestes Buch", jubilierte Nils Minkmar in der FAZ:

"Es ist der Stoff, aus dem eine aufgeklärte Geschichte dieser Religion geschrieben werden könnte, die Basis für eine neue islamische Kultur, die der schärfste Kontrahent des Islamismus wäre."

Dass dies jedoch ein Wunschtraum ist, zeigen Rushdies Memoiren nur zu deutlich. In einem Interview mit der ZEIT erklärte er, dass er aus seiner eigenen Geschichte dies gelernt habe: es kann keine Kompromisse geben. Das ständige Verletztsein der Muslime darf nicht zum Maßstab werden:

"Es ist sehr einfach, nicht verletzt zu sein","

sagt Rushdie:

""Man guckt sich eben ein anderes Kunstwerk an. Unsere Buchläden sind voll mit Büchern, damit man auswählen kann. Es gibt auch Bücher, die mich verletzen würden, 'Shades of Gre'y vermutlich, aber deswegen fackele ich nicht den Laden ab."

Im Nachsatz zu dem Interview meldete die ZEIT, dass eine staatsnahe iranische Stiftung das Kopfgeld auf Salman Rushdie auf 3,3 Millionen Dollar erhöht hat. Irgendein Aufschrei im deutschen Feuilleton war darüber bis jetzt nicht zu vernehmen. Nur Rushdie-Freund Günter Wallraff gab im Interview mit dem Berliner TAGESSPIEGEL einer beherzte Stellungnahme zu der großflächigen Bedrohung unserer Ausdrucksfreiheit ab:

"Man müsste im Grunde die Zeitungen, Illustrierten, Magazine jetzt überschwemmen mit Karikaturen – und zwar zu allen Religionen. Das wäre eine deutliche Botschaft. Die Gegner ermüden dann nämlich, denn so viel können sie gar nicht demonstrieren. Sie können nicht täglich gegen alles Aufstände anzetteln, was gedruckt und gesagt wird."