Von Burkhard Müller-Ullrich

Der sensationelle Fund eines wissenschaftlichen Manuskripts zum Schaffen Michelangelos, die aktuelle Kreativitätsdebatte und der Glühbirnenverbotswahn der Europäischen Union bestimmen heute die Feuilletons der großen Tageszeitungen.
Der Titel des Werks lautet: "Die Gestaltungsprinzipien Michelangelos, besonders in ihrem Verhältnis zu denen Raffaels". Es umfasst 334 Seiten, zur Hälfte mit Maschine, zur Hälfte mit der Hand geschrieben, und es stammt von Erwin Panofsky, einem der bedeutendsten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts.

Bis jetzt galt dieses Werk, Panofskys Habilitationsschrift, auf deren Grundlage er 1926 einen Lehrstuhl in Hamburg bekam, als verschollen. Es wurde nie gedruckt, und als Panofsky 1934 ins Exil nach Amerika ging, verlor sich die Spur dieser Schrift in den Archiven.

Jetzt meldet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG den sensationellen Fund, und die Sensation liegt nicht nur in der Tatsache, dass ein legendäres, von zahlreichen Experten vergeblich gesuchtes Manuskript wieder aufgetaucht ist, sondern auch in den Umständen seines langen Verborgenseins. Zwei ganze Seiten widmet die FAZ dieser exklusiven Story: neben einem Text von Julia Voss gibt es jeweils ein Interview mit Panofskys 83jähriger Witwe und Stephan Klingen, einem Mitarbeiter des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München.

Dieses Zentralinstitut residiert im einstigen Verwaltungsbau der NSDAP und beherbergt im Keller noch ein paar Panzerschränke aus der Nazizeit. Einen, zu dem es keinen Schlüssel mehr gab, ließ man kürzlich aufbrechen, weil man dort Unterlagen aus der Amtszeit des Institutsleiters von 1946 bis 1970, Ludwig Heinrich Heydenreich, vermutete. Und siehe da: zu diesen Unterlagen zählte auch das Blätterkonvolut mit der Aufschrift "Panofsky".

Das Aufregende daran ist Folgendes: Heydenreich, der 1928 bei Panofsky promoviert hatte, wurde in Hamburg dessen Nachfolger, nachdem Panofsky vertrieben worden war. Das nahm ihm Panofsky nicht einmal sonderlich übel; er schätzte Heydenreich und empfing ihn sogar in Princeton, als Heydenreich 1948 wieder Kontakt zu ihm suchte. Doch kein Sterbenswörtchen sagte ihm Heydenreich darüber, dass er Panofskys heftig vermisste Habil-Schrift besaß.

Und noch in den 60er Jahren, als Panofsky den Orden "Pour le mérite" bekam und Heydenreich in München besuchte, verschwieg ihm dieser seinen brisanten Besitz. Überreicht wurde der Orden übrigens ausgerechnet von dem strammen Nazi-Historiker Percy Ernst Schramm, dem Verantwortlichen für die Führung des Kriegstagebuchs beim Oberkommando der Wehrmacht.

"Warum wollen wir eigentlich alle kreativ sein? Und wer soll in einer Gesellschaft, in der sich vom Lohnarbeiter bis zum Konzernchef alle als schöpferische Rebellen verstehen, noch die redliche Arbeit verrichten?"

Diese Fragen stellt Jens-Christian Rabe in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG nach der Lektüre von drei druckfrischen Büchern, die alle das Mantra unserer Zeit, die Kreativität, umkreisen. Da gibt es die neurowissenschaftliche Betrachtungsweise, es gibt die kulturkritischen Vorbehalte – zum Beispiel den:

"Der […] herrschende Originalitätsdruck verlangt eine Hingabe an den Broterwerb, die plötzlich nicht mehr nur den Beruf, sondern das ganze Leben bestimmt""

Und es gibt das Marktgeschrei der Selbstoptimierung:

"Der Schlaf ist dein Feind, er raubt dir ein Drittel deiner Arbeitszeit."

Mag alles sein, trotzdem wird man von diesem Kreativitätsgedöns unglaublich müde. Sehr kreativ waren allerdings die Kollegen von der TAZ, die im Hinblick auf den Glühbirnenverbotswahnsinn der EU, der an diesem Wochenende einem neuen Höhepunkt zustrebt, eine nach dem ABC geordnete Anthologie des Leuchtens bringen.

In 26 Absätzen erfährt man unter anderem, dass Karl Marx ein Exemplar des "Kapitals" seinen holländischen Vettern Benjamin und August Philips, den Gründern einer berühmten Glühlampenfabrik, widmete; dass man zur Ceaucescu-Zeit in rumänischen Hotels zusammen mit dem Zimmerschlüssel eine Glühbirne ausgehändigt bekam, die man bei der Abreise wieder abgeben musste; und dass Ernst Bloch 1935 schrieb:

"Die Glühbirne hat die Anfechtungen des Nachtgrauens weit gründlicher geheilt als etwa Voltaire; denn sie hat das Grauen aus den Schlupfwinkeln der äußeren Dunkelheit selbst vertrieben und nicht nur aus der des Kopfes."

Das schönste Zitat aber stammt von der verstorbenen feministischen Kulturwissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter und lautet:

"Die Glühbirne ist - erkennbar an ihrer Uterusform - eindeutig weiblich!"