Von Burkhard Müller-Ullrich

In "FAZ" und "SZ" gibt es einen Nachschlag zu Martin Mosebachs Blasphemiethesen. Die Beschneidungsdebatte ist Thema in der "SZ", "FR" und der "Berliner Zeitung".
Zwei Wochen lang hat Dietmar Dath von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über Martin Mosebachs Skandalartikel zum Thema Blasphemie und warum sie auch in Deutschland ordentlich bestraft gehört, gebrütet und gesonnen, um jetzt festzustellen:

"Mosebachs Zensurvorstoß ist paradox."

Daths erstes Argument geht so: Wer wirklich fromm an einen allmächtigen Gott glaubt, braucht diesen nicht vor Lästerung zu schützen, denn mit solchen weltlichen Widrigkeiten kommt der Allmächtige schon ganz alleine klar. Oder in Daths Worten:

"Derlei Eintreten für Glaubenssachen beleidigt diese schlimmer als jede Häresie."

Argument Nummer zwei richtet sich gegen Mosebachs

"Dampfkesseltheorie der Kreativität","

das heißt, gegen die Behauptung, äußerer Druck, äußere Verbote seien für die Verfeinerung der Kunst recht förderlich, denn ästhetische Form sei sublimierte Lästerung. Diese Künstlerpose deutet Dath auf eine für den Künstler Mosebach geradezu vernichtende Weise, nämlich als – und jetzt wörtlich –

""Indiz einer nihilistischen Versuchung, die er (also Mosebach) mit autoritären Gesten abwehrt: wenn nichts verboten ist, was und wie soll ich dann schreiben? Er klagt eigentlich über Inspirationsdefizite und schiebt seine Not dem lieben Gott unter."

Nach der FAZ zum selben Thema auch noch eine Nachbetrachtung in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, und zwar von Gustav Seibt, dessen intensive Goethe-Lektüre nicht umsonst war, denn er weiß wenigstens noch, dass der Alte im zwölften Buch von "Dichtung und Wahrheit" bekennt, als junger Mensch einen geradezu talibanesken Haß gegen Religionsspötter wie Voltaire empfunden zu haben, ja er hätte Voltairen, schreibt Goethe,

"wegen seins 'Sauls' gar wohl erdrosselt."

Was den deutschen Dichter allerdings nicht hinderte, später selbst sagenhaft blasphemische Gedanken zu Papier zu bringen, etwa in dem Gedicht "Das Tagebuch", in dem – nach Auskunft von Gustav Seibt in der SZ

"der Icherzähler freimütig gesteht, dass er einst mit einer Erektion vor den Traualtar trat."

Und damit kommen wir gewissermaßen gleitend zum zweiten großen Feuilletonthema dieser Tage, nämlich der Vorhautdebatte. Dran lassen oder nicht? Und wenn beschneiden, dann in welchem Alter? – das sind seit dem Kölner Richterspruch die Fragen, die immer noch und immer wieder medizinhistorisch, kulturwissenschaftlich, theo- und psychologisch erörtert werden, in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zum Beispiel von dem Münchner Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer.

"Beschnittene Männer berichten in Psychotherapien darüber, dass sie unter dem Gefühl leiden, es sei ihnen ohne ihr Einverständnis etwas weggenommen worden."

Schmidbauer ist also klar gegen diesen Brauch, der – wie er schreibt,

"sehr alt ist und ein angespanntes Verhältnis zur Sexualität formuliert."

Dass auch viele beschnittene Männer diese Praxis verteidigen und sie als sexuelle Bereicherung und hygienische Notwendigkeit propagieren, lässt der Analytiker nicht gelten: das stehe

"für die Identifikation mit dem Angreifer, die sich bei vielen Traumatisierten beobachten lässt. Sie führt auch zu der merkwürdigen Zähigkeit, mit der Kulturen und Religionen an qualvollen Ritualen festhalten."

Alles Argumente, die der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, in der FRANKFURTER RUNDSCHAU und der BERLINER ZEITUNG wegwischt: für ihn

"wurde bisher allen psychoanalytischen Spekulationen von Freud bis Lacan zum Trotz nicht der geringste Nachweis für eine langfristige traumatische Wirkung des Eingriffs bei achttägigen Knaben erbracht"

Unstrittig ist, dass es sich bei der Beschneidung seit Jahrtausenden um ein Zeichen jüdischer Selbstbehauptung handelt, und deswegen, meint Brumlik, sei jetzt der Gesetzgeber gefragt, um rechtliche Klarheit zu schaffen.

"Die Entscheidung auch dieser Frage dem Bundesverfassungsgericht zu überlassen, wäre ein Armutszeugnis, ein weiterer Beweis für das Erodieren der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie."

Brumlik benutzt in dem Zusammenhang sogar das Wort "Kulturkampf". Die Vorhautdebatte wird also ganz allmählich ang