Von Burkhard Müller-Ullrich

Henryk M. Broder erinnert sich in der "Welt" an seine Zeit mit Beate Klarsfeld in Köln. Der Historiker Götz Aly deutet in der "Frankfurter Rundschau" deren berühmte Ohrfeige für Kurt-Georg Kiesinger. Und die "Taz" kommentiert erneut die Kandidatur von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten.
Es ist schon eine gewaltige Pointe der zur Linken mutierten ehemaligen Staatspartei der DDR, ausgerechnet jene Frau, die einst auf spektakuläre Weise einen amtierenden Bundeskanzler entehrte, jetzt zur Kandidatin für das höchstdotierte Ehrenamt des Staats zu machen. Henryk M. Broder, der sie aus alten Kölner Zeiten kennt, erinnerte sich in der WELT:

"Ihr Verlangen nach gesellschaftlicher Anerkennung war noch stärker ausgeprägt als ihr Einsatz für irdische Gerechtigkeit. Und nun, mit 73, hat sie es endlich geschafft."

Es gibt über die Kultfigur Klarsfeld allerdings noch eine Kleinigkeit zu sagen, die ihr Auftragswirken bei der Linken in einem trüben Geschichts-Licht erscheinen lässt: Das Material für Ihre Nazi-Jägerei bekam sie, wie man heute verlässlich weiß, stapelweise von der DDR-Staatssicherheit. Der Berliner TAGESSPIEGEL zitierte in dem Zusammenhang den DDR-Bürgerrechtler, Dichter und jetzigen sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Lutz Rathenow, der da forderte:

"'Es bedürfte schon einer Reflexion, wie weit die Stasi-Zuarbeit der Naziverbrechens-Erhellung gedient und wo sie geschadet hat.' Er fragt weiter: 'Wäre solches Geheimdienstvertrauen auch gegenüber der amerikanischen CIA oder dem Bundesnachrichtendienst aufgebracht worden? Wohin führte es politisch bei jenen, die sich durch permanente Annahme von Material auch erpressbar machten?'"

Ja - wohin führte es und woher kam es? Um die zweite Frage kümmerte sich der Historiker Götz Aly in der FRANKFURTER RUNDSCHAU. Er deutete die berühmte Ohrfeige für Kurt-Georg Kiesinger …

"… als Dokument verzweifelter Schuldabwehr …"

… und fand, dass sie bestimmt keine Heldinnentat sei. Warum nicht, erklärte er so:

"Die Tat kam unter den weltanschaulich erregten, noch von starken Feindbildern vorgeprägten 68ern gut an. Sie entlastete jüngere Deutsche, die im Eiltempo auf die bessere Seite der Geschichte wechseln wollten, auch Beate Klarsfeld, die einst den Mädchennamen Kunzel trug. Was eigentlich machten Vater und Mutter Kunzel zwischen 1933 und 1945? Die Frage erscheint berechtigt, weil die Tochter nach ihrer Züchtigung Kiesingers ihre Tat erläuterte, und zwar als Akt 'für ein Deutschland, befreit von jeglichem Hang nach Sühne'. Hernach verteidigte Horst Mahler die Klarsfeld im Strafprozess, und linke, bald antisemitisch agierende Straßenkämpfer warfen dem Richter und einem Staatsanwalt die häuslichen Fensterscheiben ein."

So sieht sie aus, die deutsche Geschichte, wenn einer wie Götz Aly mit zwei Augen darauf schaut. Dass und wie er es tut, trägt ihm viel Ehre (falls man dieses Wort noch ohne Sold benutzen kann), aber auch viel Feindschaft ein. Die Ehre kam diese Woche in Gestalt des Börne-Preises, der diesmal sogar ein besonderer Feuilletonpreis ist, insofern der Feuilletonchef der "Zeit", Jens Jessen, über die Vergabe zu befinden hatte, und angekündigt wurde diese Kür in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG mit einer Kürzestmeldung aus der Feder von dem Götz Aly wenig wohlgesonnen Lorenz Jäger. Diese Meldung begann mit dem säuerlichen Satz:

"Es ist die bewusste Entscheidung für einen Außenseiter unter den Historikern."

Und sie endete mit dem Hinweis:

"Vergangenes Jahr war der jetzige Kandidat für das Bundespräsidentenamt, Joachim Gauck, ausgezeichnet worden."

Gegen letzteren hat die Berliner TAZ ihre Kampagne diese Woche eingestellt - oder zumindest unterbrochen, nachdem kein anderer als Jürgen Trittin sie in einer Fernsehdiskussion des "Schweinejournalismus‘" geziehen hatte. Trittin bezog sich auf einen delirierenden "Taz"-Kommentator, der Gauck Verharmlosung des Holocausts vorgeworfen hatte. Diesen Samstag nun hieß es in derselben "Taz":

"Ob Joachim Gauck ein idealer oder nur guter Bundespräsident werden wird, weiß zurzeit niemand. Er verkörpert das, was in der ostmitteleuropäischen Opposition mit 'Antipolitik' beschrieben wurde - ein politisches Verständnis, das sich weniger an Strukturen und Hierarchien, sondern stärker an der eigenen Emanzipation und Partizipation, wie auch immer die obwaltenden Umstände aussehen, orientiert."

So wird, schön verklausuliert, Joachim Gauck mit György Konrad verschwistert - eine reife Redaktionsleistung in 14 Tagen.

Aber Feuilletonisten sind noch zu mehr fähig. Unter dem Titel "Die Rückkehr der Salonlinken" führte es Reinhard Mohr in den Spalten der WELT vor. Da bekommen alle ihr Fett ab: unter anderen der slowenische Jet-Set-Marxist Slavoj Zizek, der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, Dietmar Dath, …

… "Schriftsteller, Kommunist und Redakteur im Feuilleton der FAZ …"

… - die Epitheta stammen von Mohr - sowie Jakob Augstein, …

"… millionenschwerer Erbe des 'Spiegel'-Gründers und ein politischer Wirrkopf erster Güte."

Was diese Herrschaften eint, ist laut Mohr ein …

"… meinungsstarker Talkshow-Antikapitalismus, der aus dem Bauch kommt."

Dafür ein Beispiel:

"Zur Verachtung des zugleich übermächtigen wie röchelnd dahinsiechenden Finanzkapitalismus gesellt sich noch eine beinahe kindliche Freude am Aufruhr: 'Der kommende Aufstand geht von Berlin aus', jubelt Augstein. 'Hier brennen die Autos, hier werden die Benzinflaschen gefunden, die an den Gleisen liegen... Wenn eine Gesellschaft im Inneren in Trümmern liegt, werden die Trümmer auch im Äußeren wachsen.'"

Bis hierhin Zitat Augstein, jetzt weiter Mohr:

"Was hier so deutsch-düster dräut und wabert, ist von rechten Untergangsfantasien nur schwer zu unterscheiden. Hier bricht sich eine offenbar tiefe Sehnsucht nach dem vermeintlich 'ganz Anderen' Bahn, ein namenloses Verlangen, das Selbsthysterisierung und Realitätsverweigerung schon für den Vorschein einer besseren Welt hält. Bis es aber soweit ist, geht man abends ins 'Borchardt'."

Welches Berliner Lokal übrigens gerade sein 20-Jähriges feiert und diese Woche von Matthias Matussek im SPIEGEL beglückwünscht wurde als ein Ort, …

"… wo täglich magisches Theater zur Aufführung kommt."

Na ja, Matussek kriegt da ja auch Journalistenrabatt.