Von Burkhard Müller-Ullrich

Neben den Politikredaktionen stürzten sich auch die Feuilletons in dieser Woche auf die Enthüllungen der US-Datenspionage. Ein Aspekt dabei: Welche Demokratie braucht von welcher Demokratie Nachhilfe? Ein ebensolcher Dauerbrenner wie die Datenaffäre war zudem die Suhrkamp-Pleite und die nun bekanntgewordene Folgeinsolvenz der Suhrkamp-Tochter "Insel Verlag".
Prism, Tempora und kein Ende. Seit zwei Wochen steht die westliche Welt unter dem Schock der Datenspionage, und die Feuilletons, die ja immer tiefer schürfen als die anderen Zeitungsressorts und daher ein bisschen länger brauchen, entfalteten erst in dieser Woche ihre maximale Empörungskapazität. Allen voran natürlich das Feuilleton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, dessen Chef Frank Schirrmacher seit Jahren vor den Gefahren des Internets warnt. Am Freitag kritisierte er die "alteuropäische Müdigkeit", die offenbar bis jetzt verhindert, dass wir ein eigenes Google, Facebook, Twitter und so weiter entwickeln.

"Ein Angebot, auf das große Teile der Welt warten, sind immune, gleichsam 'verfassungstreue' Systeme,"

schwärmte Schirrmacher, als ob alles in Europa sozusagen serienmäßig Verfassungstreue eingebaut bekäme, und zwar im Gegensatz zu den USA.

Welche Arroganz in dieser Haltung liegt, prangerte gleichentags der Historiker Michael Wolffsohn in der WELT an.

"Braucht die älteste Demokratie der Welt deutsche Nachhilfe?"

fragte er - und fuhr fort:

"Aus dem Volk der beschützten Deutschen mussten die beschützenden Amerikaner seit den 70er-Jahren immer häufiger mit terroristischen Anschlägen rechnen. US-Einrichtungen in Deutschland gleichen seitdem, wie israelische und jüdische, Hochsicherheitsanlagen. Schließlich kam, von deutschen 'Sicherheits'-Behörden unbemerkt, der Kern der Massenmörder vom 11. September 2001 aus der Hamburger Terrorzelle."

Andererseits kann man natürlich argumentieren, dass die exzessive Datenspäherei die Sicherheit gar nicht erheblich erhöhe. Diese Diskussion wird auch in den Vereinigten Staaten geführt, und die Berliner TAZ ließ in diesem Sinn den amerikanischen Journalisten und NSA-Experten James Bamford zu Wort kommen:

"Jedes Mal hätte man die Anschlagspläne auch durch normale Ermittlungen vereiteln können, ohne auf den Rechten aller Bürger herumzutrampeln. Gleichzeitig sind den Diensten die Boston-Bomber entgangen, obwohl sie ständig mit Tschetschenien kommunizierten. Dasselbe gilt für den sogenannten Unterhosenbomber... ... obwohl sein Vater vorher in die US-Botschaft in Nigeria gelaufen war und den dortigen CIA- Chef vor der Radikalisierung seines Sohnes gewarnt hatte."

Da niemand genau sagen kann, was alles verhindert wurde und was nicht, ist diese rückwärtsgewandte Betrachtung fast noch beliebiger als Spekulationen über die Zukunft. Letztere stellte Herfried Münkler in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG an. Dabei erwähnte er zunächst den doppelten Schaden, den die USA durch Snowdens Enthüllungen erleiden: sowohl in operativer Hinsicht als auch in bezug auf ihr politisches Image.

"Strategisch betrachtet gehören aber auch die Europäer zu den Verlierern: Sie werden sich - zumindest ein wenig - von den USA absetzen, was in globaler Perspektive zu einer Schwächung des "Westens" führen wird, und die Kooperation der Geheimdienste wird schwieriger werden, was die Fähigkeit zur Abwehr terroristischer Angriffe einschränken wird. Und das wird vermutlich mehr zulasten der Europäer als der Amerikaner gehen,"

schrieb Münkler in der NZZ. Und all jene, die sich von der ganzen Sache überrascht zeigen, rief er zu:

"Die Europäer wissen jetzt, dass sie sensible Informationen nicht nur vor Chinesen und Russen, sondern auch vor den Amerikanern schützen müssen. Das hätten sie freilich auch ohne diese Affäre wissen können. Wenn es dazu eines Snowden bedurfte, so haben wir es mit einem Sicherheitskonzept zu tun, das seinen Namen nicht verdient."

Dass die FAZ dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel ihre Feuilletonspalten zu ganz billigen Wahlkampfzwecken öffnete, damit er eine internationale Konvention zum weltweiten Schutz der Freiheit und der persönlichen Integrität im Internet fordern konnte, sei nur am Rand erwähnt, damit wenigstens noch ein anderes Dauerbrennerthema der Feuilletons gestreift werden kann, nämlich das Schicksal des Suhrkamp Verlags.

In der WELT enthüllte Richard Kämmerlings, dass neben der berühmten Schutzschirm-Insolvenz, die Ende Mai beantragt wurde, auch noch andere Insolvenzverfahren laufen, allerdings ohne Schutzschirm. Zum Beispiel betreffend das traditionsreiche und wirtschaftlich eher gut dastehende Tochterunternehmen Insel-Verlag, zu dessen Lasten sich die Mutter Suhrkamp offenbar schöngerechnet hat.

"Tatsächlich ist das Ganze ein höchst dramatischer Vorgang und eine historische Zäsur. Wer sich einmal die Schätze des (an Marbach verkauften) Insel-Archivs von den Archivaren hat zeigen lassen, weiß, dass es hier um den ureigensten Kern deutscher Literaturgeschichte geht,"

empörte sich Kämmerlings. Mit Finanzen haben nicht nur Großverlage, sondern auch Kleinunternehmer wie Schriftsteller, Journalisten und Presseschauer zu tun - gerade jetzt wieder, Anfang Juli, da der umsatzsteuerbedingte Quartalsabschluss drängt. Da kam ein steuerrechtliches Oberseminar von Bundesverfassungsrichter a.D. Paul Kirchhof in der FAZ gerade recht, das sich zum Beispiel so las:

"Die Steuer ist der Preis der Freiheit. Sie soll dem Staat nicht in beliebiger Weise durch Raub, Brandschatzung oder Konfiskation Erträge zuführen, sondern den freiheitlichen Verfassungsstaat am Erfolg privaten Wirtschaftens teilhaben lassen. Besteuerungsziel ist kein beliebiges Aufkommen, sondern die staatliche Teilhabe am Erfolg individuellen Arbeitens, individueller Eigentumsnutzung und individueller Kaufkraft."

Kirchhof geht es darum, die Autorität des Steuersystems zu begründen und zu verteidigen. Bedroht wird diese nämlich durch tausend Absurditäten des Systems, von denen eine die berühmte Umsatzsteuer ist, die sich jeder, der geschäftliche Rechnungen bezahlt, wieder vom Fiskus zurückholen kann.

"Die Rechnung - schrieb Kirchhof - wird so zu einem Wertpapier, das zum Missbrauch, auch zur Steuerkriminalität geradezu einlädt. Es entstehen viel Arbeit, Bürokratie, Finanzierungs- und Kontrollaufwand, ohne dass der Staat reicher, der Steuerpflichtige ärmer würde. Beendet der Gesetzgeber diesen Strukturfehler und erhebt lediglich eine Einzelhandelsteuer gegenüber dem Letztverbraucher, erübrigen sich weit mehr als die Hälfte der Umsatzsteuervorgänge."

Also mal wieder ein Bierdeckelvorschlag, aus dem nichts werden wird.