Von Burkhard Müller-Ullrich
Vor dreißig Jahren veröffentlichte der "Stern" die gefälschten Hitler-Tagebücher. Die "FAZ" geht der Frage nach, welche Rolle der englische Historiker Hugh Trevor-Roper dabei spielte. Die "Welt" beschäftigt sich mit der Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde. Und die "SZ" widmet sich der Namensgebung für den Platz vor dem Jüdischen Museum in Berlin.
Ein schönes Beispiel für die allgemeine Folgenlosigkeit von allem in unserem Medienbetrieb ist die Tatsache, dass so etwas Ungeheuerliches wie die Publikation gefälschter Hitler-Tagebücher keineswegs zum Untergang des stern geführt hat und dass man den dreißigsten Jahrestag dieses publizistischen Gaus geradezu mit einem gewissen Amüsement begeht. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG beleuchtete Gina Thomas die Rolle, die der englische Historiker Hugh Trevor-Roper bei der Affäre gespielt hatte oder die zu spielen er gedrängt worden war.
Er hatte – trotz innerer Zweifel – die Authentizität der angeblichen Tagebücher bescheinigt. Aber er war auf üble Weise überrumpelt worden – von Rupert Murdoch, dem Eigentümer der Londoner TIMES, und von Henri Nannen, dem Herausgeber des STERN. Man gab Trevor-Roper falsche Versicherungen hinsichtlich der kriminaltechnischen Prüfung von Papier und Tinte, man legte ihm vorformulierte Sätze in den Mund, und man nahm ihm die Zeit für eine gründlichere Begutachtung, weil der Erscheinungstermin vorgezogen wurde. Hinterher erklärte Nannen despektierlich, Trevor-Roper spreche kaum ein Wort deutsch, was diesen besonders verletzte, wie aus seiner umfangreichen Korrespondenz hervorgeht, die im Christ-Church-College von Oxford verwahrt wird und auf die sich die FAZ-Korrespondentin beruft.
Dreißig Jahre liegt das alles zurück. In der WELT war zu einem anderen Thema folgendes zu lesen:
"Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer ist es weder politisch noch menschlich angemessen, daß der Verdacht auf dann weit zurückliegende Stasiverwicklungen noch eine Rolle bei Entscheidungen über Anstellungen und Berufungen spielt."
Der SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse plädiert deshalb für die Auflösung der Stasi-Unterlagen-Behörde zum Jahr 2019. In der WELT schrieb er:
"Sukzessive erschließt die Behörde ihre Archivbestände mit dem Ziel, externen Wissenschaftlern den Zugang zu den Akten zu erleichtern. Über kurz oder lang werden deshalb, wie bereits begonnen, einschlägige zeitgeschichtliche Institute diese Forschung weiterführen können."
Natürlich müsse die Möglichkeit der Akteneinsicht für Betroffene unbedingt erhalten bleiben. Die sei allerdings jetzt schon unbefriedigend geregelt. Gegenwärtig betrügen die Wartezeiten für Antragsteller bis zu drei Jahre, und zwar wegen Personalknappheit. Vielleicht wird das Haus der Behörde, die alte Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße, wenn die Unterlagen fort sind, zu einer Gedenkstätte.
Aber das Gedenken in Berlin ist sowieso ein Thema für sich. Gerade wurde um die Namensgebung für den Platz vor dem Jüdischen Museum im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gestritten.
"Wessen Name wäre für diesen Platz besser geeignet als der Moses Mendelssohns?","
fragte Jens Bisky in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
""Er war der berühmteste Jude des 18. Jahrhunderts, hat sich durch eigene Bildungsanstrengungen aus der verordneten Unmündigkeit herausgearbeitet, hat gegen Fanatismus, Unduldsamkeit, angemaßte Autorität gestritten…"
Und so weiter:
"Wo also liegt das Problem? In der Frauenquote. Die Bezirksverordneten von Friedrichshain-Kreuzberg haben 2005 beschlossen, so lange nur Frauennamen zu vergeben, bis die Hälfte der Straßen nach Frauen benannt sind."
So Bisky in der SZ über die in Kreuzberg herrschenden Grünen. Und Götz Aly schrieb gleichentags in der BERLINER ZEITUNG:
"Aber nein, die Partei durchbricht ihre Prinzipien dann, wenn linksradikale Männer wie Rudi Dutschke oder Silvio Meier auf den Straßenschildern des Bezirks verewigt werden. Ein markiger Agitator bedeutet ihnen viel, ein geistesstarker jüdischer Philosoph nichts."
Tatsächlich kam es dann Mitte der Woche zu dem – mit Götz Aly zu reden – "putzigen Kompromiß", den Platz nach dem Ehepaar zu benennen – also "Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz". Dazu wieder Bisky in der SZ:
"Fromet wird auf ihre Gatteinnenrolle reduziert. Sie dient als Feigenblatt, um ihrem Mann unter den Bedingungen eines kleingeistigen Quotendogmatismus einen Platz im Berliner Stadtbild zu sichern."
Die deutsche Vergangenheit dringt immer wieder aus unerwarteten Ritzen. Jetzt wurde bekannt, dass einer der international bekanntesten deutschen Schauspieler, nämlich der Kriminalinspektor Derrick-Darsteller Horst Tappert entgegen seinen Angaben Mitglied der Waffen-SS gewesen war – in einem Panzergrenadierregiment mit dem sprechenden Namen "Totenkopf". Die FAZ meldete es zuerst, unter Berufung auf die Recherchen des Solinger Soziologen Jörg Becker.
In der SÜDDEUTSCHEN kommentierte Willy Winkler die Entdeckung sarkastisch:
"Der Zeichentheoretiker und Krimi-Autor Umberto Eco fand bei Tapperts Derrick charakteristisch, dass er ´in jedem von uns die Mittelmäßigkeit wieder aufleben` lasse, ´die wir bereits überwunden glaubten`. Auch wenn die Enthüllung über Horst Tapperts SS-Mitgliedschaft einen Augenblick lang schockiert: Für die Nachgeborenen erscheint Derricks bundesrepublikanisches Mittelmaß nach den Exzessen der Jahre vor 1945 wie der reinste Segen."
Auch ein fast drei Wochen zurückliegendes Ereignis beschäftigte in dieser Woche die Feuilletons, und zwar ein Großbrand in mehreren Lagerhallen des Leipziger Kommissions- und Großbuchhandels am 5. April. Offenbar verbrannten dort nach neuesten Schätzungen zwischen drei und 4,5 Millionen Bücher, schrieb Lothar Müller in der SÜDDEUTSCHEN und rechnete vor:
"Das ist eine Dimension, die eher an Kriegsschäden denken läßt als an Bibliotheksbrände wie den der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar , wo 2004 etwa 50.000 Bücher zerstört wurden."
Natürlich lagerten in diesem Außenlager des Zwischenhandels keine kostbaren, antiken Bücher, sondern jede Menge Restauflagen, von denen nur noch selten ein Exemplar verkauft wurde. Andererseits ist gerade das die Grundlage unseres Kulturbetriebs: die Lieferbarkeit von Backlist-Titeln. Über neunzig Verlage sind betroffen, große wie kleine, doch es sind vor allem die kleinen, die nun überlegen müssen, ob sich ein Nachdruck in kleiner Stückzahl in dem einen oder anderen Fall wirklich lohnt.
Er hatte – trotz innerer Zweifel – die Authentizität der angeblichen Tagebücher bescheinigt. Aber er war auf üble Weise überrumpelt worden – von Rupert Murdoch, dem Eigentümer der Londoner TIMES, und von Henri Nannen, dem Herausgeber des STERN. Man gab Trevor-Roper falsche Versicherungen hinsichtlich der kriminaltechnischen Prüfung von Papier und Tinte, man legte ihm vorformulierte Sätze in den Mund, und man nahm ihm die Zeit für eine gründlichere Begutachtung, weil der Erscheinungstermin vorgezogen wurde. Hinterher erklärte Nannen despektierlich, Trevor-Roper spreche kaum ein Wort deutsch, was diesen besonders verletzte, wie aus seiner umfangreichen Korrespondenz hervorgeht, die im Christ-Church-College von Oxford verwahrt wird und auf die sich die FAZ-Korrespondentin beruft.
Dreißig Jahre liegt das alles zurück. In der WELT war zu einem anderen Thema folgendes zu lesen:
"Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer ist es weder politisch noch menschlich angemessen, daß der Verdacht auf dann weit zurückliegende Stasiverwicklungen noch eine Rolle bei Entscheidungen über Anstellungen und Berufungen spielt."
Der SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse plädiert deshalb für die Auflösung der Stasi-Unterlagen-Behörde zum Jahr 2019. In der WELT schrieb er:
"Sukzessive erschließt die Behörde ihre Archivbestände mit dem Ziel, externen Wissenschaftlern den Zugang zu den Akten zu erleichtern. Über kurz oder lang werden deshalb, wie bereits begonnen, einschlägige zeitgeschichtliche Institute diese Forschung weiterführen können."
Natürlich müsse die Möglichkeit der Akteneinsicht für Betroffene unbedingt erhalten bleiben. Die sei allerdings jetzt schon unbefriedigend geregelt. Gegenwärtig betrügen die Wartezeiten für Antragsteller bis zu drei Jahre, und zwar wegen Personalknappheit. Vielleicht wird das Haus der Behörde, die alte Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße, wenn die Unterlagen fort sind, zu einer Gedenkstätte.
Aber das Gedenken in Berlin ist sowieso ein Thema für sich. Gerade wurde um die Namensgebung für den Platz vor dem Jüdischen Museum im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gestritten.
"Wessen Name wäre für diesen Platz besser geeignet als der Moses Mendelssohns?","
fragte Jens Bisky in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
""Er war der berühmteste Jude des 18. Jahrhunderts, hat sich durch eigene Bildungsanstrengungen aus der verordneten Unmündigkeit herausgearbeitet, hat gegen Fanatismus, Unduldsamkeit, angemaßte Autorität gestritten…"
Und so weiter:
"Wo also liegt das Problem? In der Frauenquote. Die Bezirksverordneten von Friedrichshain-Kreuzberg haben 2005 beschlossen, so lange nur Frauennamen zu vergeben, bis die Hälfte der Straßen nach Frauen benannt sind."
So Bisky in der SZ über die in Kreuzberg herrschenden Grünen. Und Götz Aly schrieb gleichentags in der BERLINER ZEITUNG:
"Aber nein, die Partei durchbricht ihre Prinzipien dann, wenn linksradikale Männer wie Rudi Dutschke oder Silvio Meier auf den Straßenschildern des Bezirks verewigt werden. Ein markiger Agitator bedeutet ihnen viel, ein geistesstarker jüdischer Philosoph nichts."
Tatsächlich kam es dann Mitte der Woche zu dem – mit Götz Aly zu reden – "putzigen Kompromiß", den Platz nach dem Ehepaar zu benennen – also "Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz". Dazu wieder Bisky in der SZ:
"Fromet wird auf ihre Gatteinnenrolle reduziert. Sie dient als Feigenblatt, um ihrem Mann unter den Bedingungen eines kleingeistigen Quotendogmatismus einen Platz im Berliner Stadtbild zu sichern."
Die deutsche Vergangenheit dringt immer wieder aus unerwarteten Ritzen. Jetzt wurde bekannt, dass einer der international bekanntesten deutschen Schauspieler, nämlich der Kriminalinspektor Derrick-Darsteller Horst Tappert entgegen seinen Angaben Mitglied der Waffen-SS gewesen war – in einem Panzergrenadierregiment mit dem sprechenden Namen "Totenkopf". Die FAZ meldete es zuerst, unter Berufung auf die Recherchen des Solinger Soziologen Jörg Becker.
In der SÜDDEUTSCHEN kommentierte Willy Winkler die Entdeckung sarkastisch:
"Der Zeichentheoretiker und Krimi-Autor Umberto Eco fand bei Tapperts Derrick charakteristisch, dass er ´in jedem von uns die Mittelmäßigkeit wieder aufleben` lasse, ´die wir bereits überwunden glaubten`. Auch wenn die Enthüllung über Horst Tapperts SS-Mitgliedschaft einen Augenblick lang schockiert: Für die Nachgeborenen erscheint Derricks bundesrepublikanisches Mittelmaß nach den Exzessen der Jahre vor 1945 wie der reinste Segen."
Auch ein fast drei Wochen zurückliegendes Ereignis beschäftigte in dieser Woche die Feuilletons, und zwar ein Großbrand in mehreren Lagerhallen des Leipziger Kommissions- und Großbuchhandels am 5. April. Offenbar verbrannten dort nach neuesten Schätzungen zwischen drei und 4,5 Millionen Bücher, schrieb Lothar Müller in der SÜDDEUTSCHEN und rechnete vor:
"Das ist eine Dimension, die eher an Kriegsschäden denken läßt als an Bibliotheksbrände wie den der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar , wo 2004 etwa 50.000 Bücher zerstört wurden."
Natürlich lagerten in diesem Außenlager des Zwischenhandels keine kostbaren, antiken Bücher, sondern jede Menge Restauflagen, von denen nur noch selten ein Exemplar verkauft wurde. Andererseits ist gerade das die Grundlage unseres Kulturbetriebs: die Lieferbarkeit von Backlist-Titeln. Über neunzig Verlage sind betroffen, große wie kleine, doch es sind vor allem die kleinen, die nun überlegen müssen, ob sich ein Nachdruck in kleiner Stückzahl in dem einen oder anderen Fall wirklich lohnt.