Von Burkhard Müller-Ullrich
Nicht alle Deutschen lieben die East-Side-Gallery. Andrea Hanna Hünniger jedenfalls schämt sich in der "Welt" dafür, dass sie eine Petition für den Erhalt des Mauerstücks unterschrieben hat. Die "SZ" berichtet über eine Germanistentagung in Hannover, ín der es um die Zukunft der Disziplin ging.
"Diese Ahnungslosigkeit, der man in Berlin ausgeliefert ist, macht uns ständig zu Aktivisten, nicht zu Bürgern",
lautet einer dieser starken, steilen Sätze, mit denen die Schriftstellerin Andrea Hanna Hünniger in der WELT die Mauer einreißt. Nicht gerade die Mauer des Schweigens, sondern die Mauer des allgemeinen Einverständnisses darüber, dass die Berliner East Side Gallery ein unbedingt erhaltenswertes Kulturdenkmal sei. Hünniger hat selbst eine Petition für den Erhalt dieses 1,3 Kilometer langen Mauerstücks unterschrieben und schämt sich jetzt dafür. Denn jetzt findet sie:
"Die Mauer ist eine Herabwürdigung, kein Denkmal. Sie turnt jedem Publikum jede Reaktion schon vor. Das soll dann die berühmte Betroffenheit ergeben, aus der heraus man sofort zum Abendessen schreiten kann."
Gut gesagt, aber gilt das nicht für die meisten Gegenstände unserer Gedenkliturgie? Bleibt aber noch das Argument der ästhetischen Ärgerlichkeit, das bei Hünniger so klingt:
"Wie konnte es nur dazu kommen, dass uns zwanzig Jahre lang der Blick auf die Spree verwehrt wurde durch ein sogenanntes Denkmal? 1,3 Kilometer ist das hässliche, klobige Ding lang. Genügten nicht auch 13 Meter? Oder, besser noch, 1,30 Meter? Und wer hat eigentlich diese fiesen Bilder an die Wand pinseln dürfen? Wäre es nicht Sache der Polizei, wenn es sich schon um ein Denkmal handelt, diese Graffiti immer wieder mit Grau zu übermalen, um die Tristesse und die Grausamkeit des Objekts wiederherzustellen?"
Mit ihren frischen, frechen Fragen tritt die 28-jährige Autorin nicht nur als hinreißende Konsensknackerin auf, sie analysiert auch höchst präzise und subtil, worum es bei diesem von ihr als "Spaßleinwand" bezeichneten Mauerrest eigentlich geht:
"Solange uns das Bild einer schrecklichen Vergangenheit vor Augen steht, leben wir beruhigt in unserer hübschen Gegenwart. (…) Berlin fühlt sich (…) mit seinem lustigen Todesstreifen friedlicher als Mahatma Gandhi",
heißt es in der WELT.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG berichtet über eine Germanistentagung in Hannover, auf der die Zukunft dieses Fachs zwischen Lehrerausbildung und Leseunlust erörtert wurde.
"Überfordert vom eigenen Erfolg, zerrissen zwischen studentischen Erwartungen, politischen Anforderungen und bildungsbürgerlicher Nostalgie versichern sich Germanisten der Einheit ihres Faches in Krisendiskussionen, ohne genau zu wissen, was geschieht",
schreibt sonderbar gestelzt Jens Bisky, der sich vom akademischen Ton der Diskutanten offenbar hat anstecken lassen. Schön ist seine Beschreibung des Habitus‘, der einen Germanisten ausmachen soll:
"eine Mischung aus Neugier, Pedanterie, Hingabe ans Unbedeutende, Leidenschaft für Form und skeptischer, historisch informierter Sinnversessenheit."
Dass so etwas dünn gesät ist, versteht sich von selbst. Dazu braucht man keine Tagung, auf der – einer der dortigen Redner nannte es so – "Dauergekränktheitsrhetorik" gepflegt wurde.
Zum Schluss noch ein Blick in die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, wo sich Malte Welding des Shitstorms und der Celebrity-Kultur annimmt, und zwar mit Phrasen wie dieser:
"Der Hass auf Prominente ist ein gesellschaftliches Gift."
Oder:
"Der Star sitzt im goldenen Käfig, die Wärter sind wir. Der einzige Weg hinaus führt durchs Dschungelcamp. Wo man authentisch ist bis zum Erbrechen."
Oder:
"Der Star ist Ware und Hersteller in einem, will jedoch, und das ist sein Verhängnis, zugleich makelloses Produkt sein und um seiner selbst willen geliebt werden."
Nebenbei wird mitgeteilt, daß die Popsängerin Rihanna ungefähr gleich viel einnimmt wie die Firma Getränke-Göbel in Neu-Ulm Umsatz macht, was der Autor offenbar erstaunlich findet und mit dem Hinweis krönt, daß Rihanna
"zwar eine wohlhabende Frau, aber im Konzernmaßstab doch eher ein kleiner Mittelständler"
sei. Wenn die Aneinanderreihung geraunter Rätselhaftigkeiten schon ein Essay wäre, dann hätte die FAZ in diesem Autor zweifellos einen neuen Montaigne. Es sieht aber eher danach aus, als ob das Gegenteil von alldem zuträfe.
lautet einer dieser starken, steilen Sätze, mit denen die Schriftstellerin Andrea Hanna Hünniger in der WELT die Mauer einreißt. Nicht gerade die Mauer des Schweigens, sondern die Mauer des allgemeinen Einverständnisses darüber, dass die Berliner East Side Gallery ein unbedingt erhaltenswertes Kulturdenkmal sei. Hünniger hat selbst eine Petition für den Erhalt dieses 1,3 Kilometer langen Mauerstücks unterschrieben und schämt sich jetzt dafür. Denn jetzt findet sie:
"Die Mauer ist eine Herabwürdigung, kein Denkmal. Sie turnt jedem Publikum jede Reaktion schon vor. Das soll dann die berühmte Betroffenheit ergeben, aus der heraus man sofort zum Abendessen schreiten kann."
Gut gesagt, aber gilt das nicht für die meisten Gegenstände unserer Gedenkliturgie? Bleibt aber noch das Argument der ästhetischen Ärgerlichkeit, das bei Hünniger so klingt:
"Wie konnte es nur dazu kommen, dass uns zwanzig Jahre lang der Blick auf die Spree verwehrt wurde durch ein sogenanntes Denkmal? 1,3 Kilometer ist das hässliche, klobige Ding lang. Genügten nicht auch 13 Meter? Oder, besser noch, 1,30 Meter? Und wer hat eigentlich diese fiesen Bilder an die Wand pinseln dürfen? Wäre es nicht Sache der Polizei, wenn es sich schon um ein Denkmal handelt, diese Graffiti immer wieder mit Grau zu übermalen, um die Tristesse und die Grausamkeit des Objekts wiederherzustellen?"
Mit ihren frischen, frechen Fragen tritt die 28-jährige Autorin nicht nur als hinreißende Konsensknackerin auf, sie analysiert auch höchst präzise und subtil, worum es bei diesem von ihr als "Spaßleinwand" bezeichneten Mauerrest eigentlich geht:
"Solange uns das Bild einer schrecklichen Vergangenheit vor Augen steht, leben wir beruhigt in unserer hübschen Gegenwart. (…) Berlin fühlt sich (…) mit seinem lustigen Todesstreifen friedlicher als Mahatma Gandhi",
heißt es in der WELT.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG berichtet über eine Germanistentagung in Hannover, auf der die Zukunft dieses Fachs zwischen Lehrerausbildung und Leseunlust erörtert wurde.
"Überfordert vom eigenen Erfolg, zerrissen zwischen studentischen Erwartungen, politischen Anforderungen und bildungsbürgerlicher Nostalgie versichern sich Germanisten der Einheit ihres Faches in Krisendiskussionen, ohne genau zu wissen, was geschieht",
schreibt sonderbar gestelzt Jens Bisky, der sich vom akademischen Ton der Diskutanten offenbar hat anstecken lassen. Schön ist seine Beschreibung des Habitus‘, der einen Germanisten ausmachen soll:
"eine Mischung aus Neugier, Pedanterie, Hingabe ans Unbedeutende, Leidenschaft für Form und skeptischer, historisch informierter Sinnversessenheit."
Dass so etwas dünn gesät ist, versteht sich von selbst. Dazu braucht man keine Tagung, auf der – einer der dortigen Redner nannte es so – "Dauergekränktheitsrhetorik" gepflegt wurde.
Zum Schluss noch ein Blick in die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, wo sich Malte Welding des Shitstorms und der Celebrity-Kultur annimmt, und zwar mit Phrasen wie dieser:
"Der Hass auf Prominente ist ein gesellschaftliches Gift."
Oder:
"Der Star sitzt im goldenen Käfig, die Wärter sind wir. Der einzige Weg hinaus führt durchs Dschungelcamp. Wo man authentisch ist bis zum Erbrechen."
Oder:
"Der Star ist Ware und Hersteller in einem, will jedoch, und das ist sein Verhängnis, zugleich makelloses Produkt sein und um seiner selbst willen geliebt werden."
Nebenbei wird mitgeteilt, daß die Popsängerin Rihanna ungefähr gleich viel einnimmt wie die Firma Getränke-Göbel in Neu-Ulm Umsatz macht, was der Autor offenbar erstaunlich findet und mit dem Hinweis krönt, daß Rihanna
"zwar eine wohlhabende Frau, aber im Konzernmaßstab doch eher ein kleiner Mittelständler"
sei. Wenn die Aneinanderreihung geraunter Rätselhaftigkeiten schon ein Essay wäre, dann hätte die FAZ in diesem Autor zweifellos einen neuen Montaigne. Es sieht aber eher danach aus, als ob das Gegenteil von alldem zuträfe.