Von Brest nach Leipzig

Von Miranda Schiller |
Nach dem Studium zieht es viele junge Leute in eine andere Stadt. Und ob die in Frankreich liegt, in Deutschland, Tschechien oder Dänemark - das scheint gar nicht mehr so wichtig zu sein. Aber ganz so einfach, wie es scheint, ist es dann doch nicht, sich im anderen Land anzusiedeln.
Lucas, Charles und Jean-Baptiste laden Mikrophonständer und schwarze Koffer aus ihrem Auto, schleppen alles in ein altes Industriegebäude, von denen es in Leipzig so viele gibt. Unsaniert und billig.

Die drei sind Tontechniker und kommen aus Frankreich. Nach ihrem Studium wollten sie in die Welt hinaus und den Traum von einem eigenen Tonstudio verwirklichen. Von Freunden und Bekannten hörten sie, dass Leipzig die Stadt überhaupt ist für Existenzgründer, Musik, und alternative Kultur:

Charles: "Es gibt keine Platz wie Leipzig in Frankreich, wo es gibt viele Freiraum, viele Musik und viele, ja, Projekte, wie die Hausprojekte. Es gibt keine Hausprojekte in Frankreich. Oder, nicht in der Stadt. Aber ich glaub es ist auch nicht wie Leipzig in die anderen Stadt in Deutschland."

Am auffälligsten an Charles ist sein breites Lächeln. Es nimmt das ganze Gesicht ein und strahlt eine unverwüstliche Zuversicht aus. Die drei Freunde sind sonst eher unauffällig. Tragen seriöse Frisuren, sprechen leise, sind höflich und zurückhaltend:

Eine Stunde, bevor die Musiker der Band Annuluk aufschlagen, betreten Lucas, Charles und Jean-Baptiste den Proberaum. Es ist dunkel und kalt. Die drei finden schließlich Lichtschalter und Heizung, schauen sich interessiert um:

Im Sommer sind sie von Brest nach Leipzig gezogen und betreiben seitdem ein mobiles Tonstudio. Mobil - das klingt modern und nach Konzept. Tatsächlich haben sie einfach noch keinen passenden Raum gefunden und müssen deshalb ihre Ausrüstung immer wieder neu aufbauen. Wie jetzt. Zwischen Keyboard, Kongas und Kabeln, die quer über den Boden laufen.

Das bringt überhaupt nichts, sagen die drei und müssen lachen. "Die Eier", flachst Lucas, "wurden alle umsonst gegessen". Aus dem Proberaum ein Stockwerk höher stört ein Schlagzeug. Die drei jungen Franzosen schütteln nur mit dem Kopf.

Dann trudeln nach und nach trudeln die Musiker ein. Zehn junge Menschen drängeln sich jetzt in dem kleinen Raum. Deutsche, Tschechen, Italiener, Franzosen und ein Bulgare begrüßen und umarmen sich. Sie alle haben sich in den letzten Monaten gut kennengelernt, als sie das erste Album der Band aufgenommen haben. In irgend einem anderen Raum in der Stadt, irgend einem anderen Hausprojekt.

Haushalten e.V., ein Verein, der in Leipzig Wächterhäuser betreibt - stark renovierungsbedürftige Häuser, für die die Mieter einen Fünfjahresvertrag bekommen, sehr wenig Miete zahlen, und das Haus dafür vor dem Verfall bewahren sollen.

Jean-Baptiste: "Es ist nicht so gut für kleine Projekt, und alternative Projekt und Mentalität."

Denn nach fünf Jahren müssen die Mieter das Haus wieder verlassen, und die Arbeit, die sie in die Räume gesteckt haben, ist verloren. Leipzig hat nicht zuletzt durch die Wächterhäuser den Ruf, dass es in der Stadt viel Platz, viel Freiraum gibt, vor allem für junge Leute. Etwas, was man in französischen Städten kaum noch findet. In Leipzig aber Räume zu finden, die billig und gut sind - das, sagt Charles, ist dann doch nicht ganz so einfach.

Im Proberaum sind nur etwa die Hälfte der Anwesenden deutsche Muttersprachler - trotzdem läuft hier alles auf Deutsch ab. Die Franzosen bestehen darauf:

Charles: "Es ist doch normal, die Sprache von dem Platz, wo du lebst, zu sprechen. Das ist glaub ich normal."

Normal ist es längst auch, innerhalb von Europa umzuziehen. In welchem Land eine interessante Stadt liegt, ist erstmal zweitrangig. Und ob Ost- oder Westdeutschland sowieso. Beim Fall der Mauer waren die drei noch nicht mal in der Schule. Lucas, Charles und Jean-Baptiste waren im Frühjahr 2012 für ein paar Tage in Leipzig, das war alles an Vorbereitung. Überrascht hat sie jetzt, dass es - anders als zu Hause - in Deutschland keinen Mindestlohn gibt.

Lucas: "Ich habe zwei Kontakte für Französischunterricht."
Charles: "Und ich bin jetzt Pizzafahrer. Und Jean-Baptiste..."
Jean-Baptiste: "Ich arbeite bei Spreadshirt, in die französische Kundenservice."

Dass sie mit dem Studio erst mal kein Geld verdienen würden, hatten sie erwartet. Dass es in Deutschland schwieriger werden würde, Jobs zu finden als in Frankreich, auch. Aber nicht, dass sie so schlecht bezahlt werden. Charles verdient als Pizzafahrer fünf Euro die Stunde. Heute will er sich endlich um eine Krankenversicherung kümmern.

Nach der Bandprobe steigt er auf sein Fahrrad und fährt zur Krankenkasse. Ein imposantes, neoklassizistisches Gebäude mit einer riesigen, leeren Eingangshalle. Etwas einschüchternd. Meldebestätigung, Arbeitsbescheinigung, Ausweis vorlegen. Am Ende geht alles ganz schnell. Nur muss er die Krankenversicherung rückwirkend ab November bezahlen:

"Das ist nicht so cool, weil es ist sehr teuer, und ich habe jetzt nur eine Minijob, so das ist vielleicht ein halb von meinem Lohn. So es ist sehr viel Geld. In Frankreich, wenn du arbeitest, du hast eine Versicherung."

Wenig später aber lächelt Charles schon wieder sein unverwüstliches Lächeln. Schwingt sich beherzt auf sein Fahrrad und radelt zurück in die kleine Wohnung, die er sich mit den anderen teilt. In Leipzig, ihrem neuen Zuhause.
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