Von Blumenkindern und Cowboys

27.06.2008
Den amerikanischen Traum und seine Verkörperungen nimmt die Reporterin und Essayistin Joan Didion unter die Lupe. Der Band "Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben" versammelt Texte von ihr aus den Sechziger- und Siebzigerjahren.
Dieses Buch ist eine Wiederbegegnung mit der Joan Didion der frühen Jahre, der Reporterin, Essayistin und Analytikerin eines jüngeren, anderen Amerika, das inzwischen Geschichte ist.

Die haltlosen Blumenkinder von Haight Ashbury der 1960er Jahre, das quirlige, lebenshungrige New York mit seinen kulturellen Avantgarden in den 1950ern, und die selbstzufriedene Provinzialität der kalifornischen Regierungshauptstadt Sacramento sind hier versammelt, dazu Hollywood mit seinen Partys, Mythen und Ikonen, samt höchst unterschiedlicher Verkörperungen des amerikanischen Traums: John Wayne, Howard Hughes, Joan Baez.

Ausgewählt hat diese Texte, die schon vor längerer Zeit in zwei anderen Büchern von Joan Didion ("Das weiße Album" und "Stunde der Bestie") erschienen und in den 1960er- und 70er-Jahren entstanden sind, die Schriftstellerin Antje Ravic Strubel. Von ihr stammt auch die gelungene Übersetzung, die für jeden dieser komplexen Texte den richtigen Ton findet.

Und das ist wirklich nicht leicht, denn Didion verknüpft Reflexion, Autobiografisches, Berichterstattung und Kommentar zu höchst gehaltvollen, ausgefeilten Gebilden. Sie schreibt fast immer aus dem Inneren des Geschehens, thematisiert ihr eigenes Beteiligtsein und hält doch eine wohltuende Distanz.

Das Ergebnis einer solchen Arbeitsweise ist eine kluge Form der Zeitgenossenschaft: Wie nur wenige Menschen, Intellektuelle eingeschlossen, nimmt Joan Didion die kollektiv geprägten Moden und Konjunkturen des Denkens, des Fühlens und Wollens sehr genau wahr:

"Wir waren damals sehr persönlich, manchmal bis zur Erbarmungslosigkeit",

schreibt sie von ihrer Generation, den Prä-68ern, und vom Aufwachsen in der "Überzeugung, dass das Herz der Finsternis nicht in einem Fehler der gesellschaftlichen Ordnung, sondern dem Menschen im Blut liegt".

Auf der Grundlage dieser Prägung argumentierte und schrieb sie. Und deshalb fehlt ihren Texten jedes Pathos, oft auch jede Hoffnung, aber niemals die Schärfe - der Erkenntnis wie der Formulierung.

Rezensiert von Katharina Döbler

Joan Didion, Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben
Aus dem Amerikanischen von Antje Ravic Strubel
Claassen Verlag 2008
304 Seiten, 22,90 Euro