Von Berlin nach Istanbul

Von Udo Pollmer |
Sinnbild der türkischen Küche ist zweifelsohne der Döner. Halten wir damit ein Stück Anatolien in der Hand? Kaum, denn der Döner stammt wie auch die Currywurst aus Berlin, genauer gesagt von einer Imbissbude am Bahnhof Zoo.
Dort wurde er um 1971 erstmals gesichtet. Es wird kolportiert, ein türkischer Gastarbeiter hätte es zunächst mit Gerichten aus seiner Heimat probiert. Dazu gehörte wohl auch ein Teller geschnetzeltes Grillfleisch mit Tomaten und Knoblauchsoße. Doch die hektischen Deutschen hatten dafür keine Zeit. Der Erfolg stellte sich aber schnell ein, als er das Gericht in Fladenbrot steckte – zum Mitnehmen. Die senkrechten Drehspieße kamen wohl erst später – als Zugeständnis an den notorischen Platzmangel in Imbissbuden. Unser Döner war in der Türkei unbekannt.

Heute hat der Döner sogar den Hamburger als wichtigstes Fastfood überrundet. Was ist der Grund für den Erfolg? Der Döner entspricht physiologisch einer Bulette bzw. einem Hamburger: Eine Mischung aus zerkleinertem Fleisch und Weizenbrot. Früher waren es beim Döner Fleischscheiben, heute ist es meistenteils Hack, das sich am Spieß dreht. Dazu kommt eine Soße, die den Speichelfluss anregt: Beim Hamburger der Ketchup und bei seinem Vorbild, der Bulette, der Senf. Da der Döner fetter ist als der Hamburger, entspricht er eher den Bedürfnissen des Körpers, vor allem wenn sein Besitzer ansonsten versucht, "Fett zu sparen". Beim Geflügeldöner wird der Fettgehalt mit Geflügelhäuten aufgebessert. Zudem liefert die Soße Milchfett, so wie beim Cheeseburger die Käsescheibe.

Die türkische Küche hat ihren Ursprung sicher nicht in Berlin. Es heißt ja, sie sei nomadischen Ursprungs? Ganz im Gegenteil. Sie stammt zwar nicht aus Berlin, sondern aus einer anderen Hauptstadt: Aus Konstantinopel. Die Köche im Topkapi-Palast der osmanischen Herrscher, die Köche der Sultane und des Adels zelebrierten jene Haute Cuisine, die wir heute als türkische Küche bezeichnen. Aber nicht nur dort. Ihre Kebabs und Pilafs blieben nach dem Niedergang des Reiches in den Küchen der unterworfenen Länder erhalten – egal ob in Ungarn, den Balkanstaaten, im Süden Russlands. Die typische Küche Griechenlands ist rein türkisch.

In hiesigen Kochbüchern, die sich der türkischen Küche widmen, nehmen Rohkostplatten, sparsam mit Olivenöl beträufelt, einen immer größeren Platz ein. Als Reisender hingegen begegnet man vor allem Gemüse, das seit Stunden vor sich hin köchelt. Salat in Form einer Rohkostplatte ist eine typisch deutsche Marotte. Aber es gibt natürlich auch in der Türkei – neben Zaziki, das dort Cacik heißt – Salate. Typisches Beispiel: der Beyin Salatasi. Dazu nimmt man Schafshirne, die zehn Minuten lang mit Essig, Salz und Zwiebeln bei milder Hitze gekocht werden. Nachdem die Haut abgezogen wurde, werden die Hirne in Scheiben geschnitten und auf einer Servierplatte mit Olivenöl und Oliven angerichtet. Da das Hirn und die Augen als die delikatesten Teile eines Tieres galten, darf es als typische Spezialität hier nicht fehlen. Diese Vorspeise ist sehr nahrhaft, denn Hirn liefert Eiweiß, tierisches Fett und viel Cholesterin.

Kommen wir lieber zum Gemüse zurück. Alles mausetot gekocht und im Fett schwimmend – warum das denn? Mit dieser Kost gedieh ein großes Reich. Das lange Köcheln sorgt für den Abbau der vielen gesundheitlich bedenklichen sekundären Pflanzenstoffe. Bei manchen Rohstoffen ist das auch zwingend notwendig wie bei Bohnen. Das Fett nährt, es liefert das, was beim Essen am allerwichtigsten ist und dem Gemüse fehlt: Die Kalorien. Unser Körper isst nicht wegen der "Vitamine" sondern um sich mit Energie zu versorgen. Hinter unserer populären Vorstellung, daß ein magerer Körper erstrebenswert ist, steckt nicht zuletzt das christliche Weltbild. Jahrhunderte lang wurde gepredigt, nur ein ausgezehrter Körper käme in den Himmel. Dem Islam ist dieses Denken bisher noch fremd.

Unstrittig ist, dass die türkische Küche kein Schweinefleisch verwendet, da es ein islamisches Land ist. Oder gibt’s da auch Widerspruch? Natürlich: Denn auch in der Türkei wird von den Metzgern Schweinefleisch in erklecklicher Menge verwurstet – aber standesgemäß als "Schaf" verkauft. Die Haltung von Schweinen bietet sich überall dort an, wo es ausreichend Wasser und erhebliche Mengen an Lebensmittelabfällen gibt. Das trifft für die großen Städte zu. In Istanbul wurden unlängst zahlreiche große Schweinemästereien ausfindig gemacht. Anlass war ein Gesundheitsproblem: In den Krankenhäusern der Westtürkei mehrten sich Fälle von Befall mit Schweinebandwurm. Da es dort nicht legal ist, Schweine zu mästen, wurde, um nicht aufzufallen, auf eine Fleischbeschau verzichtet. Und schon ist Schweinefleisch ungesund.

Literatur:
Krauß I: Vom Drehspieß ins Fladenbrot. Deutsche Lebensmittelrundschau 2008; 104: 135-137
Fernandez-Armesto F: Food – A History. Pan Macmillan, London 2002
S. Güsten: Skandal um illegale Schweinefarmen in der Türkei. Stuttgarter Nachrichten vom 30.1.2004