Von Autoren, Sichtern, Administratoren
Martin Haase ist Professor für romanische Sprachwissenschaft an der Universität Bamberg und schreibt seit 2003 für Wikipedia. Er erklärt, wie Autoren, Sichter und Administratoren arbeiten.
Dieter Kassel: Morgen feiert die Online-Enzyklopädie Wikipedia ihren zehnten Geburtstag. Die Geschichte der Wikipedia ist ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte, allein in Deutschland werden jeden Tag 27 Millionen Mal Wikipedia-Seiten angesurft, weltweit ist das ähnlich. Es gibt Ausgaben in fast 250 Sprachen und Dialekten inzwischen, aber Erfolg kostet ja immer einen gewissen Preis. Ob dieser Preis vielleicht darin besteht, dass der zweite Teil des Wikipedia-Mottos, also jeder darf auch was drin schreiben, so gar nicht mehr gilt, das wollen wir gleich besprechen. Vorher blickt Philip Banse zurück auf die Wikipedia-Geschichte.
Philip Banse über die Geschichte der internationalen und auch der deutschen Wikipedia. Anlass für ein Gespräch, das wir jetzt führen wollen, ist der Wikipedia-Geburtstag – morgen, sage ich für alle Besserwisser, morgen, am 15., ist es wirklich so weit. Bei mir im Studio ist jetzt Martin Haase, er ist Professor für romanische Sprachwissenschaft an der Universität Bamberg und ist seit 2003 Autor der deutschsprachigen Wikipedia. Schönen guten Tag!
Martin Haase: Guten Tag!
Kassel: Weil das gerade zum Schluss kam, müssen wir sofort die Fronten klären: Sind Sie ein Exklusionist oder ein Inklusionist?
Haase: Ja, also ich bin ein Inklusionist, ich würde allerdings das Inkludist nennen, aber ich weiß, dass die Wikipedia-Gemeinde eher Inklusionist sagt, das ist eben die Form, die aus dem Englischen entlehnt wurde.
Kassel: Was wäre denn jetzt – da sind wir doch mitten in diesem Thema –, wenn Sie jetzt einen Artikel verfassen würden über Inklusisten und würden …
Haase: Inkludisten!
Kassel: Inkludisten – ich wäre sowieso sofort draußen, wenn ich das machen würde, wir merken es gerade – Inkludisten, und Sie würden sagen, Inkludist, der, und dann erklären Sie es, und jemand anders sagt, das heißt aber Inklusionist, was würde dann passieren?
Haase: Na, es könnte einen Editor geben, aber da ich deutlich sehe, dass Inklusionist tatsächlich die gebräuchlichere Form ist, würde ich natürlich nicht so sehr auf Inkludist beharren. Dann könnte aber jemand kommen und sagen, na ja, aber eigentlich ist das Thema nicht wirklich relevant, weil das ein Thema ist, was ja nur die Wikipedia betrifft und da auch, ja, nur so ein einzelnes Phänomen, und das ist eigentlich nicht wert, in einer Enzyklopädie zu stehen. Und dann würde der Artikel zur Löschung vorgeschlagen werden, dann gibt es also die Möglichkeit, einen sogenannten Löschantrag zu stellen. Dann wird sieben Tage diskutiert darüber, ja, und dann kommt ein Administrator, schaut sich diese Diskussion an und überlegt, welche Argumente ihn mehr überzeugen. Ja, und dann löscht er den Artikel unter Umständen, wenn ihn die Löschargumente mehr überzeugen.
Kassel: Ich finde es extrem schwierig, Herr Haase, bei dem, was Sie gerade beschrieben haben, diesen Prozess zu entscheiden zwischen zwei Extremen. Ist das hoch professionell oder ist das Kindergarten? Ist es eins von beidem oder ist es was dazwischen?
Haase: Ja, es ist schon leicht – es hängt davon ab. Also manchmal hat man tatsächlich den Eindruck, dass es Kindergarten ist, also gerade auch bei den Löschdiskussionen. Es gibt ja sogar eine Seite, wo die längsten Löschdiskussionen verzeichnet sind, und wenn man sich das anschaut, dann fragt man sich wirklich, haben die Leute nichts anderes zu tun? Da gibt es bei einem Artikel eine Löschdiskussion, die kann man schon als kleines Buch ausdrucken, und das ist natürlich schon eher in Richtung Kindergarten. Na ja, gut. Wenn man jetzt sich vorstellt, wie das zum Beispiel in einer Lexikonredaktion eines traditionellen Lexikons geschieht, da gibt es natürlich auch viele Diskussionen, nur die Leute sitzen zusammen um einen Tisch, streiten sich da, werden da auch ausfallend und es ist nicht dokumentiert. Und in der Wikipedia wird eben alles dokumentiert und ist für alle Zeiten aufgehoben.
Kassel: Außerdem sitzen ja bei einer klassischen Enzyklopädie, solange sie die noch geben mag, bezahlte Leute, die in der Regel auch irgendeine Hierarchie haben nebeneinander, vom Chefredakteur bis zum Ressortleiter Naturwissenschaften bis zum Assistenzlektor. Und wenn der Assistenzlektor stur ist, dann wird er sich oftmals nicht durchsetzen am Ende. Bei der Wikipedia sind es ich glaube aktuell in Deutschland 282 Administratoren und dann gibt es noch andere, aber wer sucht die eigentlich aus und was legitimiert die?
Haase: Ja, die werden nicht ausgesucht, also man kann vorgeschlagen werden als Administrator oder sich selbst vorschlagen, und dann wird darüber diskutiert, ob man diese Person als Administrator haben will oder nicht. Das ist jetzt keine Wahl, sondern mehr so eine Art Akklamation. Also, auf einer Seite werden dann Pro- und Kontra-Stimmen abgegeben, und wenn die Pro-Stimmen überwiegen, dann wird derjenige Administrator, wenn die Kontra-Stimmen überwiegen, dann eben nicht. Also das läuft mehr auf dem Weg der Akklamation ab, und dadurch, ja, ist es natürlich auch ein bisschen, ja, ich würde nicht sagen willkürlich, aber es ist natürlich schon so, dass einfach nicht jeder Administrator wird, aber jeder, der sich etwas bemüht, kann das halt werden und bleibt es dann in der Regel auch.
Kassel: Eines der Argumente dafür, eben nicht jedes Stichwort zuzulassen und als von dieser Gruppe irrelevant diskutierte Themen zu streichen, ist ja neben der Seriosität einer solchen Enzyklopädie auch die Übersicht. Ich habe mir das zugegebenermaßen nicht im Kopf ausgerechnet, aber man kann es leicht ausrechnen, wenn wir von 1,1 Millionen Artikeln aktuell, deutschsprachig, ausgehen, 282 Administratoren, kommt eine ziemlich gerade Zahl raus, 3900 Artikel, rein rechnerisch, pro Administrator – kann doch ein Mann oder auch eine Frau nicht allein kontrollieren. Also allein um die Übersicht zu bewahren, ist es doch vielleicht ganz sinnvoll, ein paar Artikel rauszuhalten?
Haase: Na ja, nein, nein, nein, ich glaube, das kann man so nicht sehen, denn es ist ja nicht Aufgabe der Administratoren, da alles durchzusehen. Die Administratoren machen ja nur das administrative Geschäft, also das Löschen, wenn es eben vorgeschlagen ist und so, oder auch das Sperren von Nutzern, das ist Aufgabe der Administratoren. Das Durchsehen der Artikel ist eigentlich Aufgabe aller, außerdem gibt es noch den Status der Sichter, also Leute, die Artikel sichten können und dann eben auch besonders kennzeichnen können als gesichtet, also frei von Vandalismus. Das ist aber ein Status, den sehr viele Leute haben, den bekommt man nämlich automatisch nach ungefähr, nein, nach genau 200 Edits wird man automatisch Sichter und hat damit dieses Privileg, und das sind natürlich sehr viele. Also es ist nicht jetzt Aufgabe der Administratoren, 3900 Artikel zu bewachen, also das ist gar nicht der Fall. Es ist auch so, dass nicht eine Person sich mit allen Artikeln beschäftigt, sondern es ist ganz klar, es gibt Schwerpunkte nach Interessen – also verschiedene Wikipedianer haben verschiedene Interessen und sind dann in verschiedenen Bereichen tätig. Und es gibt sicherlich auch Bereiche, in denen man einen Administrator erst dazurufen muss, weil es eben so ein entlegenes Fachgebiet ist, wo nur ganz wenig Leute sich tummeln.
Kassel: Wie viel Leute schreiben denn am Ende wirklich die Artikel? Von der Idee her müssten es doch Zehntausende, Hunderttausende, vielleicht Millionen sein. Die Realität sieht anders aus, oder?
Haase: Ja, die Realität sieht anders aus. Es ist also schwer zu sagen. Also, es gibt ja die Möglichkeit, nachzuschauen, wer in der letzten Woche ab fünf Edits gemacht hat, das sind dann immer so 7000 etwa. Das heißt natürlich nicht, dass das jetzt wirklich 7000 Aktive sind. Die Leute, die wirklich umfangreich arbeiten an der Wikipedia, richtig viel, sind deutlich weniger natürlich, aber natürlich mehr als die 300 Administratoren. Und da kann man halt nur schätzen. Also vielleicht so, ich denke mal so anderthalb Tausend, die wirklich ganz intensiv arbeiten.
Aber natürlich gibt es viele Leute, die mal was machen, und das macht es ja eben aus. Diese große Zahl von Artikeln und von Material kommt ja dadurch zustande, dass sehr viele Leute mal was machen. Das Problem ist nur, es wäre schön, wenn man diese Leute auch langfristig binden könnte an die Wikipedia. Wenn die jetzt aber gleich auf Widerstand stoßen – was leider im Moment oft der Fall ist –, dann schreckt das natürlich viele Leute ab. Und das ist natürlich gar nicht schön. Also insbesondere ist das nicht schön, wenn man auf diese Weise Experten verliert, und das kann aber leicht passieren. Gerade jemand, der Experte auf einem Gebiet ist und denkt, ja, ich schreib das jetzt mal so, und dann kommt aber jemand und sagt, nee, ist nicht relevant, oder nee, das …
Kassel: … stimmt nicht, was du da geschrieben hast.
Haase: … stimmt nicht, dann ist der natürlich erst mal so ein bisschen vor den Kopf geschlagen. Und da fehlen auch, da gibt es zwar schon Maßnahmen, dass Leute an die Hand genommen werden, aber da könnte noch sehr viel mehr geschehen.
Kassel: Vielleicht sollte man an dieser Stelle auch noch mal deutlich unterscheiden zwischen der weltweiten Wikipedia oder auch der englischen Ausgabe, mit der es losging vor zehn Jahren, und der deutschen. Es scheint mir so – Sie können das ja jetzt abstreiten -, aber mein Eindruck ist, dass in Deutschland diese Neigung, Regeln aufzustellen, Relevanz und sonstige Regeln, Diskussionen zu führen und am Ende nicht selten auch Verbote auszusprechen, schon ein bisschen verbreiteter ist als zum Beispiel in der englischsprachigen Wikipedia.
Haase: Ja, also ich würde dem nicht widersprechen, also Regeln werden sicherlich auch woanders formuliert, nur der Umfang dieser Regeln ist in der deutschen Wikipedia deutlich größer. Also allein die Liste der Relevanzkriterien ist beeindruckend – wenn man das ausdruckt, hat man schon ein ganzes Buch. Das ist schon sehr beeindruckend. Und dazu auch der Wunsch von Leuten, diese Regeln durchzusetzen. Es gibt ja das Wikipedia-Motto: Ignoriere alle Regeln! Das ist auch sicherlich eine gute Herangehensweise, aber in Deutschland fällt das sehr schwer, weil sehr viele Leute da sind, die tatsächlich Regeln versuchen durchzusetzen und tatsächlich auf diese Weise auch Verbote aussprechen. Also ein kanadischer Wikipedianer hat mir mal gesagt, das einzige deutsche Wort, was er kenne, sei "verboten", und in der Wikipedia gibt es tatsächlich viele Leute, die da eben tatsächlich mit Verboten kommen und Dinge halt auch durchsetzen wollen.
Kassel: Martin Haase, Professor für Romanistik an der Universität Bamberg und seit – Kopfrechnen – acht Jahren, logischerweise, Autor der deutschsprachigen Wikipedia. Danke Ihnen sehr, dass Sie zu uns gekommen sind! Und wer noch viel mehr wissen möchte über den Geburtstag der Wikipedia und darüber, wie es weitergehen könnte mit der deutschsprachigen unter anderem, morgen um 14:05 Uhr in unserer Sendung "Breitband" ist das das Schwerpunktthema.
Philip Banse über die Geschichte der internationalen und auch der deutschen Wikipedia. Anlass für ein Gespräch, das wir jetzt führen wollen, ist der Wikipedia-Geburtstag – morgen, sage ich für alle Besserwisser, morgen, am 15., ist es wirklich so weit. Bei mir im Studio ist jetzt Martin Haase, er ist Professor für romanische Sprachwissenschaft an der Universität Bamberg und ist seit 2003 Autor der deutschsprachigen Wikipedia. Schönen guten Tag!
Martin Haase: Guten Tag!
Kassel: Weil das gerade zum Schluss kam, müssen wir sofort die Fronten klären: Sind Sie ein Exklusionist oder ein Inklusionist?
Haase: Ja, also ich bin ein Inklusionist, ich würde allerdings das Inkludist nennen, aber ich weiß, dass die Wikipedia-Gemeinde eher Inklusionist sagt, das ist eben die Form, die aus dem Englischen entlehnt wurde.
Kassel: Was wäre denn jetzt – da sind wir doch mitten in diesem Thema –, wenn Sie jetzt einen Artikel verfassen würden über Inklusisten und würden …
Haase: Inkludisten!
Kassel: Inkludisten – ich wäre sowieso sofort draußen, wenn ich das machen würde, wir merken es gerade – Inkludisten, und Sie würden sagen, Inkludist, der, und dann erklären Sie es, und jemand anders sagt, das heißt aber Inklusionist, was würde dann passieren?
Haase: Na, es könnte einen Editor geben, aber da ich deutlich sehe, dass Inklusionist tatsächlich die gebräuchlichere Form ist, würde ich natürlich nicht so sehr auf Inkludist beharren. Dann könnte aber jemand kommen und sagen, na ja, aber eigentlich ist das Thema nicht wirklich relevant, weil das ein Thema ist, was ja nur die Wikipedia betrifft und da auch, ja, nur so ein einzelnes Phänomen, und das ist eigentlich nicht wert, in einer Enzyklopädie zu stehen. Und dann würde der Artikel zur Löschung vorgeschlagen werden, dann gibt es also die Möglichkeit, einen sogenannten Löschantrag zu stellen. Dann wird sieben Tage diskutiert darüber, ja, und dann kommt ein Administrator, schaut sich diese Diskussion an und überlegt, welche Argumente ihn mehr überzeugen. Ja, und dann löscht er den Artikel unter Umständen, wenn ihn die Löschargumente mehr überzeugen.
Kassel: Ich finde es extrem schwierig, Herr Haase, bei dem, was Sie gerade beschrieben haben, diesen Prozess zu entscheiden zwischen zwei Extremen. Ist das hoch professionell oder ist das Kindergarten? Ist es eins von beidem oder ist es was dazwischen?
Haase: Ja, es ist schon leicht – es hängt davon ab. Also manchmal hat man tatsächlich den Eindruck, dass es Kindergarten ist, also gerade auch bei den Löschdiskussionen. Es gibt ja sogar eine Seite, wo die längsten Löschdiskussionen verzeichnet sind, und wenn man sich das anschaut, dann fragt man sich wirklich, haben die Leute nichts anderes zu tun? Da gibt es bei einem Artikel eine Löschdiskussion, die kann man schon als kleines Buch ausdrucken, und das ist natürlich schon eher in Richtung Kindergarten. Na ja, gut. Wenn man jetzt sich vorstellt, wie das zum Beispiel in einer Lexikonredaktion eines traditionellen Lexikons geschieht, da gibt es natürlich auch viele Diskussionen, nur die Leute sitzen zusammen um einen Tisch, streiten sich da, werden da auch ausfallend und es ist nicht dokumentiert. Und in der Wikipedia wird eben alles dokumentiert und ist für alle Zeiten aufgehoben.
Kassel: Außerdem sitzen ja bei einer klassischen Enzyklopädie, solange sie die noch geben mag, bezahlte Leute, die in der Regel auch irgendeine Hierarchie haben nebeneinander, vom Chefredakteur bis zum Ressortleiter Naturwissenschaften bis zum Assistenzlektor. Und wenn der Assistenzlektor stur ist, dann wird er sich oftmals nicht durchsetzen am Ende. Bei der Wikipedia sind es ich glaube aktuell in Deutschland 282 Administratoren und dann gibt es noch andere, aber wer sucht die eigentlich aus und was legitimiert die?
Haase: Ja, die werden nicht ausgesucht, also man kann vorgeschlagen werden als Administrator oder sich selbst vorschlagen, und dann wird darüber diskutiert, ob man diese Person als Administrator haben will oder nicht. Das ist jetzt keine Wahl, sondern mehr so eine Art Akklamation. Also, auf einer Seite werden dann Pro- und Kontra-Stimmen abgegeben, und wenn die Pro-Stimmen überwiegen, dann wird derjenige Administrator, wenn die Kontra-Stimmen überwiegen, dann eben nicht. Also das läuft mehr auf dem Weg der Akklamation ab, und dadurch, ja, ist es natürlich auch ein bisschen, ja, ich würde nicht sagen willkürlich, aber es ist natürlich schon so, dass einfach nicht jeder Administrator wird, aber jeder, der sich etwas bemüht, kann das halt werden und bleibt es dann in der Regel auch.
Kassel: Eines der Argumente dafür, eben nicht jedes Stichwort zuzulassen und als von dieser Gruppe irrelevant diskutierte Themen zu streichen, ist ja neben der Seriosität einer solchen Enzyklopädie auch die Übersicht. Ich habe mir das zugegebenermaßen nicht im Kopf ausgerechnet, aber man kann es leicht ausrechnen, wenn wir von 1,1 Millionen Artikeln aktuell, deutschsprachig, ausgehen, 282 Administratoren, kommt eine ziemlich gerade Zahl raus, 3900 Artikel, rein rechnerisch, pro Administrator – kann doch ein Mann oder auch eine Frau nicht allein kontrollieren. Also allein um die Übersicht zu bewahren, ist es doch vielleicht ganz sinnvoll, ein paar Artikel rauszuhalten?
Haase: Na ja, nein, nein, nein, ich glaube, das kann man so nicht sehen, denn es ist ja nicht Aufgabe der Administratoren, da alles durchzusehen. Die Administratoren machen ja nur das administrative Geschäft, also das Löschen, wenn es eben vorgeschlagen ist und so, oder auch das Sperren von Nutzern, das ist Aufgabe der Administratoren. Das Durchsehen der Artikel ist eigentlich Aufgabe aller, außerdem gibt es noch den Status der Sichter, also Leute, die Artikel sichten können und dann eben auch besonders kennzeichnen können als gesichtet, also frei von Vandalismus. Das ist aber ein Status, den sehr viele Leute haben, den bekommt man nämlich automatisch nach ungefähr, nein, nach genau 200 Edits wird man automatisch Sichter und hat damit dieses Privileg, und das sind natürlich sehr viele. Also es ist nicht jetzt Aufgabe der Administratoren, 3900 Artikel zu bewachen, also das ist gar nicht der Fall. Es ist auch so, dass nicht eine Person sich mit allen Artikeln beschäftigt, sondern es ist ganz klar, es gibt Schwerpunkte nach Interessen – also verschiedene Wikipedianer haben verschiedene Interessen und sind dann in verschiedenen Bereichen tätig. Und es gibt sicherlich auch Bereiche, in denen man einen Administrator erst dazurufen muss, weil es eben so ein entlegenes Fachgebiet ist, wo nur ganz wenig Leute sich tummeln.
Kassel: Wie viel Leute schreiben denn am Ende wirklich die Artikel? Von der Idee her müssten es doch Zehntausende, Hunderttausende, vielleicht Millionen sein. Die Realität sieht anders aus, oder?
Haase: Ja, die Realität sieht anders aus. Es ist also schwer zu sagen. Also, es gibt ja die Möglichkeit, nachzuschauen, wer in der letzten Woche ab fünf Edits gemacht hat, das sind dann immer so 7000 etwa. Das heißt natürlich nicht, dass das jetzt wirklich 7000 Aktive sind. Die Leute, die wirklich umfangreich arbeiten an der Wikipedia, richtig viel, sind deutlich weniger natürlich, aber natürlich mehr als die 300 Administratoren. Und da kann man halt nur schätzen. Also vielleicht so, ich denke mal so anderthalb Tausend, die wirklich ganz intensiv arbeiten.
Aber natürlich gibt es viele Leute, die mal was machen, und das macht es ja eben aus. Diese große Zahl von Artikeln und von Material kommt ja dadurch zustande, dass sehr viele Leute mal was machen. Das Problem ist nur, es wäre schön, wenn man diese Leute auch langfristig binden könnte an die Wikipedia. Wenn die jetzt aber gleich auf Widerstand stoßen – was leider im Moment oft der Fall ist –, dann schreckt das natürlich viele Leute ab. Und das ist natürlich gar nicht schön. Also insbesondere ist das nicht schön, wenn man auf diese Weise Experten verliert, und das kann aber leicht passieren. Gerade jemand, der Experte auf einem Gebiet ist und denkt, ja, ich schreib das jetzt mal so, und dann kommt aber jemand und sagt, nee, ist nicht relevant, oder nee, das …
Kassel: … stimmt nicht, was du da geschrieben hast.
Haase: … stimmt nicht, dann ist der natürlich erst mal so ein bisschen vor den Kopf geschlagen. Und da fehlen auch, da gibt es zwar schon Maßnahmen, dass Leute an die Hand genommen werden, aber da könnte noch sehr viel mehr geschehen.
Kassel: Vielleicht sollte man an dieser Stelle auch noch mal deutlich unterscheiden zwischen der weltweiten Wikipedia oder auch der englischen Ausgabe, mit der es losging vor zehn Jahren, und der deutschen. Es scheint mir so – Sie können das ja jetzt abstreiten -, aber mein Eindruck ist, dass in Deutschland diese Neigung, Regeln aufzustellen, Relevanz und sonstige Regeln, Diskussionen zu führen und am Ende nicht selten auch Verbote auszusprechen, schon ein bisschen verbreiteter ist als zum Beispiel in der englischsprachigen Wikipedia.
Haase: Ja, also ich würde dem nicht widersprechen, also Regeln werden sicherlich auch woanders formuliert, nur der Umfang dieser Regeln ist in der deutschen Wikipedia deutlich größer. Also allein die Liste der Relevanzkriterien ist beeindruckend – wenn man das ausdruckt, hat man schon ein ganzes Buch. Das ist schon sehr beeindruckend. Und dazu auch der Wunsch von Leuten, diese Regeln durchzusetzen. Es gibt ja das Wikipedia-Motto: Ignoriere alle Regeln! Das ist auch sicherlich eine gute Herangehensweise, aber in Deutschland fällt das sehr schwer, weil sehr viele Leute da sind, die tatsächlich Regeln versuchen durchzusetzen und tatsächlich auf diese Weise auch Verbote aussprechen. Also ein kanadischer Wikipedianer hat mir mal gesagt, das einzige deutsche Wort, was er kenne, sei "verboten", und in der Wikipedia gibt es tatsächlich viele Leute, die da eben tatsächlich mit Verboten kommen und Dinge halt auch durchsetzen wollen.
Kassel: Martin Haase, Professor für Romanistik an der Universität Bamberg und seit – Kopfrechnen – acht Jahren, logischerweise, Autor der deutschsprachigen Wikipedia. Danke Ihnen sehr, dass Sie zu uns gekommen sind! Und wer noch viel mehr wissen möchte über den Geburtstag der Wikipedia und darüber, wie es weitergehen könnte mit der deutschsprachigen unter anderem, morgen um 14:05 Uhr in unserer Sendung "Breitband" ist das das Schwerpunktthema.