Von Arno Orzessek

Die überregionalen Blätter rezensieren Jonathan Littells Roman "Die Wohlmeinenden". Im "Focus" stellt Hans Magnus Enzensberger sein neues Buch Hammerstein vor. Tom Tykwer begeistert sich in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für Paul Thomas Andersons Film "There will be blood".
Es ist - natürlich - eine Frage des Anspruchs.

Man kann Jonathan Littells nun ins Deutsche übersetzten und bereits legendären Roman "Die Wohlmeinenden" so rezensieren, wie es Rainer Schmitz im Focus tut. Dort werden die fiktiven Erinnerungen des mörderischen SS-Offiziers Dr. Max Aue zum "beeindruckendsten Antikriegsroman der vergangenen Jahrzehnte" geadelt.

"Dieses Buch ist ein Monstrum, ein Wahngebilde des Schreckens, eine Orgie der Gewalt. In suggestiver, mitreißender Sprache zeichnet Littell schmerzhaft genaue Bilder von Brutalität, Grausamkeit in einer Intensität, die Grenzen überschreitet."

Das sind Klischees über einen klischeehaften Roman, würde der Schriftsteller Georg Klein womöglich mäkeln. Die Süddeutsche Zeitung hat ihm die gesamte Literaturseite für seine Lektüre der "Wohlmeinenden" eingeräumt - und Kleins Urteil, erteilt von der hohen Warte der Kunst, stutzt das Werk des Recherchejunkies Littell kurzerhand zu einem "trivialen Roman" zurecht.

"Der Leser erfährt vordergründig scheinbar alles, was geschehen ist, und alles, was die Beteiligten empfunden haben. Das Böse jedoch, das in der Literatur nicht nur eine Qualität der Handlung, sondern auch eine Qualität des Stils sein müsste, bleibt unsichtbar."

Man bemerkt an jeder Zeile Georg Kleins, dass hier ein Schriftsteller mit seinem Kollegen und dem Problem des Erzählens überhaupt ringt - ein wirklich starkes, ein zähes Stück, das sich im Meer der Meinungen nicht so leicht auflöst.

Auch die Kritik der Hamburger Ausstellung "Schrecken und Lust. Die Versuchung des Heiligen Antonius" hat die Süddeutsche Zeitung der schreibenden Kunst, nämlich der Schriftstellerin Brigitte Kronauer überlassen. Sie hält die teils monsterhaften, teils knusprig-erotischen Gestalten, von denen sich der Eremit in der Wüste umgeben sah, für Erscheinungen, die auch heute vorkommen können - etwa bei exzessiver Körperertüchtigung.

"Antonius gerät in die Faust des Magischen. Bergsteiger in Extremsituationen berichten ebenfalls von solchen Halluzinationen. Wer aufgrund eines banalisierten Vernunftbegriffs derartige Wahrnehmungen glatt von der Hand weist, ist an einer zivilisatorischen, nein eigentlich auch kulturellen Mangelerscheinung erkrankt."

Die "Faust des Magischen"? Irgendetwas an dieser Metapher scheint den Zauber des Zauberhaften abzuwürgen - aber vielleicht hat Brigitte Kronauer genau das beabsichtigt. Die Versuchungen des Heiligen Antonius waren schließlich spirituelle Kämpfe mit dem Teufel und keine inneren Feelgood-Movies eines wüstenliebenden Outdoor-Freaks.

Georg Klein über Jonathan Littell, Brigitte Kronauer über die Maler des Heiligen Antonius - das Verbindende ist, dass Künstler im Feuilleton über Kunst urteilen. Dazu passt reibungslos, dass Regisseur Tom Tykwer im Rahmen der Berlinale ein Auge auf Paul Thomas Anderson geworfen hat.

"Tom Tykwer war von dem Film ’There will be blood’ so begeistert, dass er für uns mit seinem Kollegen sprach","

überschreibt die Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Interview der Künstlerkollegen.

Erwartungsgemäß kommen die beiden von der Besprechung des Films, der Oscar-Favorit ist, zügig auf Tiefenschichten der Kreativität zu sprechen. Anderson berichtet von Glücksempfindungen, wenn ihm nach einer durchschriebenen Nacht am nächsten Mittag sein eigenes Drehbuch befremdlich erschien.

""Das war toll, denn das Schlimmste und Unerträglichste ist das Gefühl, dass du dich selbst, durch deine Zeilen hindurch, mit deiner privaten Fratze angrinst und nicht über dich hinaus oder von dir weg hast bewegen können. Eigentlich ist nichts furchtbarer, als sich selbst in den eigenen Worten wiederzuerkennen."

Viele Schriftsteller würde eine derartige Selbstentfremdung durch Schreibkunst weit von sich weisen - kaum aber Hans Magnus Enzensberger, der in seinem neuen Buch Hammerstein lieber über eine alten, unbekannten General als sich selbst schreibt.

"Der eigene Lebenslauf bietet mir zu wenige Überraschungen","

gesteht Enzensberger im Focus-Interview, weigert sich, auch nur einen Mucks zum 40. Geburtstag von 1968 zu machen und findet eine uneingeschränkt passende Metapher:

""Ach, das ist doch alles tausendmal durch alle Talkshows püriert worden."