Von Arno Orzessek

Die "Süddeutsche Zeitung" schaut in die Zukunft und sammelt 18 Trends des Jahres 2008. Der Künstler Anselm Kiefer sinniert im "Tagesspiegel" über Himmel, Erde und das Leben. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sorgt sich um ausreichend Kindernachwuchs in Ost- und Westdeutschland.
Es ist noch nicht Sylvester, aber das feuilletonistische Prognosenwesen blüht. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) hat nicht weniger als 18 Ideen und Trends gesammelt, die das Jahr 2008 bestimmen werden.

"Berlin, New York und London waren gestern. Jetzt kommt München,"

heißt die erste Prognose. Sie stützt sich darauf, dass die Stadt an der Isar vor dem 850. Geburtstag vom Lifestylemagazin Monocle und der International Herald Tribune "zur lebenswertesten Stadt der Welt" erklärt worden ist.

Ein anderer, womöglich wichtigerer Trend: Die Neo-Konservativen und die Neo-Imperialisten in den USA - grob gesagt die Vordenker der Truppen um George W. Bush - werden zu Neo-Realisten.

"Der moralische Auftrag Amerikas, die Welt Demokratie zu lehren, scheint passé zu sein,"

heißt es auf der SZ-Ideenseite.

Der Berliner Tagesspiegel prognostiziert nicht, sondern summiert einfach: "Was wir uns für 2008 erhoffen. - Ein Jahr ohne Jonathan Meese"," heißt einer der frommen Wünsche, die auf keinen Fall in Erfüllung gehen werden. Der Tagesspiegel weiß es ja selbst:

""Theater, Oper, Installation, Performances von Wagner bis Heiner Müller, Ausstellungen in Paris, Wien, Innsbruck, Amsterdam, Artikel von ’Bild’ bis ’Vogue’: der Mann in Dürer-Look und Jesuslocken ist überall."

Lobenswert findet es dagegen auf derselben Wunschpunsch-Seite der Autor Daniel Völzke, dass ein anderer Guru, nämlich Schriftsteller Rainald Goetz, wieder in die Tasten haut - und zwar für den Blog namens "Klage", der zum Internet-Auftritt der Zeitschrift Vanity Fair gehört.

"Hinter allem liegt bei Rainald Goetz der Glauben an die unumstößliche, besänftigende Allmacht nichtautoritärer Kunst. Nun hat die Gegenwart und ihre Kunst ihren besten Sänger zurück, und wenn es 2008 so bleibt, dann weine nicht - klage!"

Ob dieses Wortspiel mit dem Klage-Blog nun zum Schreien ist oder nicht - festzuhalten bleibt: Rainald Goetz behält offenbar seine Achtung vor der Kunst.

Nicht anders der Dichter Durs Grünbein. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) erzählt Grünbein, wie gern er in die Meisterwerke der Kunstgeschichte, die man als Fenster zur Welt bezeichnet, hineingesprungen ist.

"Alle Klaustrophobie war wie weggeblasen, wenn ich im Geist durch kleine und größere Goldrahmen sprang wie der Tiger durch seinen Feuerreifen. Und wirklich, es brannte immer ein wenig und pritzelte im Nacken, wenn man so sprang, und man bekam leicht davon eine Gänsehaut."

Geistige Erlebnisse mit Gänsehautfaktor - das sind auch die Werke Anselm Kiefers, der jüngst als erster Künstler nach Georges Braque ein Wandgemälde für den Louvre im Auftrag des Louvre malen durfte. Das Selbstbild "Athanor" zeigt den Künstler am Boden liegend, über eine lange Leine mit dem Himmel verbunden. Im Tagesspiegel erklärt Kiefer allerdings, dass er weder im Himmel noch auf Erden Sinn finden kann.

"Wir wissen nicht, woher wir kommen, warum wir hier sind. Unser Universum ist etwas völlig Irrationales. Es gab die Bewegung des Christentums und den Marxismus, um der Welt einen Sinn zu geben. Aber es gibt keinen Sinn."

"Was hält Sie denn am Leben?"," fragt daraufhin der Tagesspiegel.

""Ich bin neugierig"," antwortet Anselm Kiefer, der gern an den letzten Dingen kratzt und bestimmt passend findet, dass das Interview ""Allein unter Sternen" betitelt wurde.

Bleibt nach viel Pathos nur ein harter Bruch, den wir mit der FAZ-Überschrift "Wer verlangt Perfektion? Kinder gehören zum Leben" einleiten. Es hat sich herausgestellt, dass gebildete Frauen mehr Kinder bekommen als bisher angenommen und Mütter in den neuen Bundesländern flexibler sind als die in den alten:

"Ihnen ist der Gedanke, dass vor dem Kind alles perfekt geregelt sein soll, fremd geblieben."

Nach wie vor, so die FAZ, seien die Rollenbilder der Frauen in Ost und West sehr verschieden. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt wird sich bestätigt fühlen. Sie äußert sich in der Frankfurter Rundschau zum jüngst beschlossenen Einheits-Denkmal:

"Viele in Ost und West fühlen sich nicht vereint. Wollen wir denen ein Denkmal hinstellen und sagen: freut euch, wir sind jetzt vereint? So wird das nicht gehen."