Von Arno Orzessek

Komiker Mario Barth blödelt sich in die Feuilletons der überregionalen Blätter. Der Philosoph Jürgen Habermas schreibt in der "Zeit" über Politik und Religion. Über das richtige Skript zum richtigen Film sprechen die Regisseur Ridley Scott und Jean-Luc Godard in der "Welt" und ebenfalls in der "Zeit".
Wollte man die Feuilletons der vergangenen Woche nach der Dignität ihrer Gegenstände ordnen und unten beginnen, käme man auf den extrem erfolgreichen, extrem verachteten Blödel Mario Barth. Im Juli 2008 wird Barth vor 75.000 Zuschauern im bereits ausverkauften Berliner Olympiastadion die wahrscheinlich größte Solo-Komiker-Show aller Zeiten absolvieren.

Im TAGESSPIEGELl beschrieb Johannes Gernert, was von einem Barth - der die Menstruation in einer seiner komplexeren Formulierungen "die weibliche Meinungsverschiedenheit mit sich selber" nannte - aus feministischer Sicht zu erwarten ist.

"Gefletschte Zähne, erhobener Zeigefinger, schmerzverzerrtes Gesicht. Vor allem aber: vollste Verwunderung. Über dieses Freundinnenwesen, dessen Stimme er gelegentlich imitiert. Das klingt dann sehr nach Teletubbies, ein bisschen grenzdebil."

Weil alles Hämische über Barth schon andere gesagt haben, fixierte Jürgen Thomann in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG den Rang, der dem Sottisen-Reißer in der Mediengeschichte zusteht.

"So lässt Barth seinen Geschlechterkampf vor der Kulisse einer heilen Welt toben, die die Zumutungen des modernen Lebens nicht kennt, und liefert der Globalisierungsgeneration mit seinem Programm das, was für ihre Großeltern der Heimatfilm war."

Am anderen Ende der feuilletonistischen Dignitätsskala steht Jürgen Habermas, der Denker der Öffentlichkeit, die sich heute so sehr zerstreut und zersplittert hat.

Habermas versicherte in der ZEIT, "zwar alt, aber nicht fromm geworden zu sein" und setzte sich mit Paolo Flores d’Arcais auseinander. Habermas befand, dass der italienische Kollege seine Thesen zu Politik und Religion völlig verkenne, und statt sich "mit langatmigen Richtigstellungen aufzuhalten"," zitierte er sich den ganzen Artikel lang selbst.

""Die demokratische Mehrheitsgesellschaft schlägt in religiöse Tyrannei um, wenn eine Mehrheit im Prozess der Gesetzgebung und der Gesetzesanwendung auf religiösen Argumenten beharrt und sich weigert, jene Art öffentlich zugänglicher Begründung zu liefern, welche die unterlegene Minderheit im Lichte allgemein gültiger Standards beurteilen kann."

Das ist der Habermas-Sound, der die Bundesrepublik Deutschland seit dem epochalen Werk Strukturwandel der Öffentlichkeit treu begleitet hat und mal ehrlich - möchte wir ihn missen?

Eine Autobiografie von Habermasschen Dimensionen, nämlich mit 1099 Seiten, hat Florian Havemann geschrieben, der Sohn des Widerstandskämpfers Robert Havemann, der von den Nazis zum Tode verurteilt wurde und nach erfolgreicher Flucht es auch in der DDR zum Ruhm einer vorzeitigen Entlassung gebracht hat. Der "quälenden Autobiografie" des Sohnes nun kreidet die FRANKFURTER RUNDSCHAU (FR) Wichtigtuerei, Leser-Bevormundung und Unkonzentriertheit an.

"Die Geschwätzigkeit mag Florian Havemann für Produktivität halten - doch es ist bloß die Tonnen-Ideologie des alten Ostblocks: Die Masse muss es bringen. Der tatsächliche Ertrag bleibt gering, erst auf Seite 1026 findet sich die später Erkenntnis: ‚Ich leide offensichtlich unter Wiederholungszwang.’"

So - schön polemisch - Yaak Karsunke in der FR. Eckhard Fuhr liest dasselbe Buch in der WELT unter der Überschrift "Ein fauler Sack und Weiberheld" mit deutlich mehr Wohlwollen und nennt Havermanns Opus magnum einen "Familienroman".

"Sein Buch ist eine vor Hassliebe triefende Abrechnung mit dem Vater. Doch Florian Havermann kämpft nicht nur verbissen darum, aus dem Vaterschatten herauszukommen. Er sonnt sich gleichzeitig in der Familienaura und hält das Zeichen der Sippe hoch, eben doch als treuer Sohn."

Aber wer sich publizistisch selbst darstellen will, muss längst keine 1000-seitigen Autobiografien schreiben, die dann bei Suhrkamp erscheinen. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hat Ijoma Mangold unter dem Titel "Ich" die neue Mode des journalistischen Videoblogs untersucht.

Gemeint ist der Auftritt von zumeist aus den Printmedien bekannten Persönlichkeiten in der Halböffentlichkeit seines Blogs - ZEIT-Redakteur Gero von Randow lässt sich in seinem Büro filmen, SPIEGEL-Kulturchef Matthias Matussek gilt als größter Showmaster der Branche.

"Bei allen Weblogs liegt der Akzent auf dem Inoffiziellen. Es wird gewissermaßen ohne Krawatte gesprochen. Das Moment der Mündlichkeit wird möglichst stark ausgereizt. Ablesen ist nicht. Der Preis dafür ist umgekehrt, dass hemmungslos durchgeplaudert wird."

Michael Rutschky hat aus Anlass des 150. Geburtstags von Josef Conrad in der FRANKFURTER RUNDSCHAU gleich vier neue biografische Bücher besprochen, in denen wie seit eh und je über Conrad geschwärmt wird. Rutschky findet das problematisch, weil Conrad im Schwärmen selbst große Klasse war - so groß, dass er es "immer wieder in Richtung des Prahlens und Schwadronierens überschritten hat. Zwar begegnet das Mitglied der britischen Handelsmarine Urgewalten von metaphysischer Qualität - doch möchte er davon den Kumpels beim Saufen in der Kneipe erzählen"."

Auch nicht frei vom großen Pathos und der Wechselwirkung zwischen Erhabenheit und Trash in der Regisseur Ridley Scott, berühmt für Filme wie Alien, Bladerunner und Thelma und Luis, der seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. Die WELT fragte Scott, ob er noch das Gefühl der Angst beim Filmemachen kenne.

""Jeden Tag: Wenn du diese Angst nicht genießt, dann mach diesen Job nicht. Aber ich weiß genau, wie ich damit umgehen kann. Am Set warten 1000 Leute auf mich, aber ich bin völlig auf das konzentriert, was ich tun muss."

Befragt zum Erfolg der neuen 3-D-Technologien, wie etwa Kollege James Cameron sie einsetzt, hob Scott - wie in der Vorwoche Robert Redford - die Bedeutung des Skripts hervor:

""Das Kino verlangt immer mehr Tricksereien. Dabei übersehen wir nur eines: Was du nicht auf dem Papier hast, das hast du nicht auf dem Film. Wir sollten unser Augenmerk lieber auf bessere Autoren richten. Denn das Schreiben ist der schwierigste Job von allen - nicht die Regie","

sagte Regisseur Ridley Scott in der der WELT. In die gleiche - sagen wir logozentristische - Kerbe haute in der ZEIT Jean-Luc Godard. Man werde nicht müde, von der Allmacht der Bilder zu reden, so Godard, ""aber wenn das Bild nicht vorher geschrieben ist, existiert es offenbar nicht"."