Von Arno Orzessek

Die Mankell-Verfilmung "Der Chinese" in der ARD ist für die "Süddeutsche" ein "einsamer Höhepunkt an Volksverdummung". Daneben orakeln die Feuilletons über die Ereignisse des bevorstehenden Jahres.
In den aktuellen Feuilletons dominiert das Sehen. Und zwar das vulgäre Fernsehen und das anspruchsvollere In-die-Zukunft-Sehen.

Die Mankell-Verfilmung "Der Chinese" von Peter Keglevic, die an diesem Freitag im Ersten läuft, ist ganz nach dem Geschmack der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.

Dieter Bartetzko lobt vor allem Susanne von Borsody als Richterin Brigitta Roslin:

"Durch von Borsodys phänomenale Präsenz gelingt die riskante Mischung aus Massakergrauen und leisem Ehedrama. Sie trägt auch über die für deutsche Fernsehverhältnisse unglaubliche Länge von drei Stunden: Man wird es nicht müde, den Wandlungen dieser Frau zuzusehen."

Wer keine drei Stunden für die Glotze erübrigen möchte, schlage die TAGESZEITUNG auf. Laut Jens Müller ist "Der Chinese" "langweilig, anspruchslos und klischeebeladen".

Noch aggressiver die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.

"Die Weigerung, einen Millimeter unter die Oberfläche zu dringen, beschert dem Film das sattsam bekannte Übermaß an redundanten Dialogen und Bildern. Das Jahr geht also mit einem einsamen Höhepunkt an Fernsehvolksverdummung zu Ende", höhnt Christopher Schmidt über "ein süß-saures Fernseh-Vergnügen"."

Sehen wir aber nun in die Zukunft. Der FAZ-Autor Dietmar Dath versteht den Artikel "Wie es weitergeht" als einen "Vorab-Ereignis-Kalender zum Aufheben".

""Eine neue Runde von verstörenden Sexskandalen bei der Weltbank, der UNO, im Vatikan, der Republikanischen Partei der Vereinigten Staaten, der Church of Scientology und der Freiwilligen Feuerwehr in Passau geht wegen Übersättigung insbesondere der Online-Info-Elite und sonstiger Stubenhocker an der Weltöffentlichkeit vorüber", orakelt Dietmar Dath.

Außer der FAZ findet auch die SZ Lust an der Prophetie: Alle möglichen Autoren notieren auf einer Feuilleton-Seite 18 "Ideen die uns bleiben", darunter die "Sexy Ziellosigkeit" der Occupy-Bewegung und die "Umgekehrte Steuerflucht" der Superreichen a la George Sorros, die mehr ans Finanzamt zahlen wollen als sie sollen.

Indessen wirkt die Ideen-Seite der SZ insgesamt bieder. Sie ist eine Idee, die besser nicht bleiben sollte.

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG druckt auf ihren vier Feuilleton-Seiten ganz entspannt genau vier Artikel, zuzüglich einer Spalte "Phono Hinweise".

Unter dem Titel "Deutscher Stahl und dunkle Schnüre" befasst sich Samuel Herzog mit der zeitgenössischen Kunst in Katar. Neuestes Objekt ist die 24 Meter hohe Großplastik "7" von Richard Serra.

"Was einem sofort in den Sinn kommt, ist, dass da einer der funkelnden Glätte der Business-Tower im Hintergrund die rohe Wucht unbehandelten Stahls entgegenhält - als wolle er sagen: Ihr werdet euren Glanz bald verloren haben, mir aber kann die Zeit nichts anhaben."

Und so lesen wir und lesen und werden den Verdacht nicht los: Entweder waren die Feuilletons schon mal frischer als zwischen den Jahren - oder wir waren es.

Immerhin, in der FAZ stellt Anja Hirsch auf sympathischste Weise ein Buch von Ambrose Pratt über den Prachtleierschwanz vor. Es war 1933 unter dem Titel "The Lore of the Lyrebird" erschienen. Nun hat es der Verlag Friedenauer Presse in einer bibliophilen Ausgabe samt CD erneut aufgelegt.

"'Menura. Prächtiger Vogel Leierschwanz' ist selbst ein Kunstwesen, das man gerne in der Hand hält, bestaunt und singen hört; eine Kostbarkeit, die an langen Abenden in dunklen Zimmern einen Hauch australischen Frühlings verströmt."

Es sind vermutlich solche Erlebnisse, auf die der SZ-Autor Schmidt hofft, wenn er schreibt:

Die "Fernsehvolksverdummung" "Der Chinese" sei der beste Grund, "ein Buch zu lesen."