Von Arno Orzessek

„Don Giovanni“ in Mailand und Guttenberg in Buchform bieten bösen Zungen reichlich Stoff. Vom Papst bis zum Playboy, von Jena bis zu Christa Wolf reichten sonstige Beiträge in den Feuilletons dieser Woche.
Mozarts Don Giovanni und Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT, haben einiges gemeinsam. Beide ernten regelmäßig die Sympathien der Frauen, beide tendieren zu Geckenhaftigkeit – und beide bekamen in der vergangenen Woche keine gute Presse.

Unter der Überschrift „Logenplätze für die Untoten“ zerfledderte Manuel Brug in der Tageszeitung DIE WELT die von Daniel Barenboim verantwortete Don Giovanni-Aufführung, mit der die Mailänder Scala ihre Saison eröffnet hat:

„[Barenboims Mozart-Verständnis] ist ganz im Gestrigen festgetackert. Dieser ‚Don Giovanni’ glich […] einer eigentlich ungenießbaren Mischung aus altem Hausschuh und aufgekochtem Teebeutel: völlig formlos und muffig geschmacksneutral.“

Etwas milder drückte sich Michael Stallknecht in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG aus:

„Wenn die Rezitative derart davonhuschen, verkommen die Arien und Ensembles zur Nummernrevue für Opernstars. Barenboim trägt die Sänger auf Samtpfötchen durch den Abend.“

Karl-Theodor zu Guttenberg auf Samtpfötchen zurück in die deutsche Politik tragen, das möchte offenbar Giovanni di Lorenzo. Weshalb er KT, dem König der gehobenen Plattitüde, einen großen Auftritt in der ZEIT verschafft hat und überdies in dem Föhnfrisurendialog-Buch „Vorerst gescheitert“ zu Guttenbergs Stichwortgeber abgab.

Die Reaktionen der ZEIT-Leser fasste Björn Wirth in der BERLINER ZEITUNG zusammen:

„Hunderte Kommentare gingen [nach Veröffentlichung des Interviews] auf der Website der Zeit ein. In der nächsten Ausgabe druckte die Wochenzeitung empörte Leserbriefe. ‚Pfui! Pfui! Pfui!“ ist die Doppelseite überschrieben, das Urteil der Leser reicht von ‚skandalös’ bis ‚unerträglich’. […] Der Imageverlust ist gewaltig.“

In der SZ verhöhnte Johann Schloemann Giovanni di Lorenzo wegen dessen Rolle „als flirtender, geschmeidiger Boulevardconferencier“ und knöpfte sich auch den schein-einsichtigen zu Guttenberg selbst vor:

„Je mehr seelische Introspektion vorgeführt wird, desto mehr dient es der kalten Maske der Macht. Es ist eine populistisch-cäsaristische Selbstüberhöhung, die sich in Demutsgesten verkleidet. Widerlich",“

ekelte sich SZ-Autor Schloemann.

Lassen wir nun die Giovannis, kommen wir zu Papst und Playboy.

Während in Nanni Morettis Spielfilm „Habemus Papam – ein Papst büxt aus“ der heilige Vater vom alten Michel Piccoli gespielt wird, spielt sich in der Dokumentation „The Big Eden“ der alte Silikonbrüste- und Viagra-Sexualist Rolf Eden selbst… Und begeisterte – war damit wirklich zu rechnen? – die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG in Person von Rüdiger Suchsland:

„"Eden ist einer, der sich von allen Vorgaben und gesellschaftlichen Zwängen emanzipiert hat, der es immer verstand, selbstbestimmt zu leben.“

Selbstbestimmt leben, das will auch Kardinal Melville, sobald er in Morettis „Habemus Papam“ zum Papst gewählt worden ist. Deshalb büxt er ja aus.

SZ-Autor Rainer Gansera fand den Film halb so, halb so:

„Die Geschichte [bleibt] merkwürdig flach, kulissenhaft, ein Reigen tändelnder Einfälle […]. Immerhin entschädigt die überragende Präsenz Piccolis. Ihm glaubt man sofort, dass es sich allemal lohn, auf das Amt des Stellvertreters Gottes auf Erden zu verzichten, um beschwingt durch die Straßen Roms flanieren zu können.“

Und womöglich umso beschwingter, weil Italien nicht mehr von Rolf Edens Bruder im Geiste Bunga Bungas, Silvio Berlusconi, regiert wird…

Was den italienischen Schriftsteller und Anti-Mafia-Staatsanwalt Gianrico Carofiglio in der SZ zu einem Seufzer der Erleichterung motivierte:

„Ich habe […] das Gefühl, es ist nun wie mit einem Raum, der sehr lange verschlossen war und die Luft darin verdorben. Dann macht man die Fenster auf, und plötzlich kommt Luft herein, man kann wieder atmen.“

Bis wieder Frischluft durch Europa weht, wird noch einige Zeit vergehen. Trotzdem forderte Navid Kermani die Öffnung des Kontinents für arabische Länder – und genauer:

„Handfeste Beiträge zum Abbau der Massenarmut, also etwa die Aufhebung von Zöllen, […] die Entwicklung der Infrastruktur, von Strom, Wasser, Energie, Bildung, natürlich auch Wirtschaftshilfen und eher kurz- als mittelfristig die Integration [des arabischen Raums] in den europäischen Binnenmarkt.“

So Navid Kermani in der Dankesrede nach der Verleihung des Hannah Arendt-Preises für politisches Denken, dokumentiert von der FRANKFURTER RUNDSCHAU.

Politisch unbedacht fanden viele Kommentatoren die empörte Reaktion der Bürger Jenas auf den aspekte-Beitrag des Schriftstellers Steven Uhly, der Jena als Hort der Fremdenfeindlichkeit porträtiert hatte.

Dirk Pilz stellte sich in der BERLINER ZEITUNG nach dem Besuch der inkriminierten Stadt die Frage „Ist Jena ein braunes Nest?“ und antwortete:

„Nein, Jena ist kein braunes Nest, und nein, der Osten ist kein Nazi-Land. Aber dem Osten steht noch eine Debatte bevor, die in Jena allenfalls angedeutet wurde. Es ist die Debatte über die Neofaschisten in der DDR, über den Umgang im SED-Staat mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, über ein beschwiegenes Erbe.“

Eine wird nicht mehr debattieren. Zum Tod von Christa Wolf, der – laut ZEIT – „berühmtesten und umstrittensten Schriftstellerin der deutschen Nachkriegsliteratur“, schrieb Iris Radisch:

„Moderne Literatur sorgt sich um den Einzelnen, mit dessen Einsamkeit sie sich abgefunden hat; die Literatur, für die Christa Wolf zu Recht berühmt ist, sehnt sich nach der Überwindung seiner Einsamkeit. Sie hat, ob es gefällt oder nicht, eine höhere Herzfrequenz und einen weiteren Horizont.“

Christoph Dieckmann, ebenfalls DIE ZEIT, rief Christa Wolf jene Worte hinterher, die wohl jeder gern hören würde, wenn er einst nichts mehr hören kann – für heute unsere letzten Worte: „Ich habe sie geliebt.“