Von Arno Orzessek

Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit dem neuesten Werk von Julian Nida-Rümelin, mit Partykönig Rolf Eden und mit der „Patchwork-Lüge“.
Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit dem neuesten Werk von Julian Nida-Rümelin, mit Partykönig Rolf Eden und mit der „Patchwork-Lüge“.

„Der ökonomische Mensch ist nicht freundschaftsfähig.“

So lautet eine steile These des Philosophen Julian Nida-Rümelin, mit der wir die Kulturpresseschau gern begonnen hätten.

Allein, das Zitat steht nicht im redaktionellen Teil des Feuilletons der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, sondern in der Werbung des Irisiana-Verlags, der in der SZ für Nida-Rümelins neuestes Werk „Die Optimierungsfalle“ wirbt – und Werbetexte gehören nicht in unser Beuteschema.

Deshalb beginnt die Kulturpresseschau mit einer Überschrift aus der BERLINER ZEITUNG: „Und dann kauf ich ihr einen neuen Busen.“

Gesagt hat das der generöse Playboy Rolf Eden, von dessen Leben und Werk Peter Dörflers Doku¬men¬tarfilm „The Big Eden“ handelt.

„Der Film von Peter Dörfler, durchaus unterhaltsam, ufert doch ziemlich aus, wenn er sich zunehmend an der Selbstbespiegelung seiner Hauptfigur ergötzt. Er ist zu einer lichten Hommage an einen Lebemann geraten, wie dieser sich selbst sieht. Er spart keine Peinlichkeit aus, verfolgt den alten Mann bis vor den Spiegel im Bade, er trägt keine Schichten ab, um zum Wesen [….] vorzudringen",“

bedauert Birgit Walter in der BERLINER ZEITUNG.

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zeigt sich Rüdiger Suchsland hingegen begeistert: „"Berlins Partykönig Rolf Eden schaufelt mit beiden Händen Lebensfreude ins Kino.“

Hochkulturjunkies könnten nun vermuten, Suchslands Eden-Eloge sei ironisch gemeint. So ist es aber nicht – wie die dialektischen Ausführungen des FAZ-Autors zeigen:

„Es gibt Augenblicke in diesem Film, da muss man sich einfach nur fremdschämen. Dann wieder gibt es Momente, an denen man sich fragt, ob man nicht sofort gerne tauschen würde mit Edens Leben vor 30, 40, 50 Jahren – und das vielleicht nicht nur als männlicher Zuschauer. Denn Eden ist einer, der sich von allen Vorgaben und gesellschaftlichen Zwängen emanzipiert hat, der es immer verstand, selbstbestimmt zu leben.“

Genau das wollen viele Frauen. Es gelingt ihnen auch.

Aber dann kommt FAZ-Autorin Melanie Mühl und verdirbt ihnen den Spaß mit solchen Thesen:

„Vergnügt genießt […] [eine ganze Generation junger Frauen] die Illusion, sie hätte alle ihre Lebensumstände frei gewählt. Das ist naiv.“

Melanie Mühl, die den Deutschen die „Patchwork-Lüge“ um die Ohren geschlagen hat, knöpft sich nunmehr ihre hedonistischen Geschlechtsgenossinnen vor:

„Die Generation junger, angeblich selbstbewusster Frauen hat sich in die Bequemlichkeit der Selbstlüge gerettet. Sie geht lieber zum Brazilian-Waxing als zum Wählen, denkt intensiver über Körperoptimierung als über Lohndiskriminierung nach, […] und findet, Ehrenämter seinen eine Sache für Rentner. Währenddessen zieht sie mit einer Gehässigkeit über das eigene Geschlecht her, dass einem schlecht wird.“

Verstehen wir irgendetwas falsch – oder zieht FAZ-Autorin Mühl hier gehässig über das eigene Geschlecht her? -
„Wahnsinn war weiblich“ heißt der SZ-Artikel, in dem Franka Nagel der Frage nachgeht, „warum Hysterie und Ekstase als typische Frauenkrankheiten galten“ – und zwar bis ins 20. Jahrhundert.

Nagel zitiert einen zeitgenössischen Bericht, der die Anfälle einer gewissen Maria von Mörl beschreibt, auch bekannt als „die stigmatisierte Jungfrau von Kaltern“:

„’Bald rochte sie wie ein Bär, bald stöhnte und grollte sie wie ein Hund, jetzt krümmte sie sich bogenförmig, jetzt wieder sichelförmig, der Mund zog sich oft zu einem Fingerspitzen zusammen, die Augen zogen sich wie bei einer Sterbenden in den Kopf zurück, und machten glauben, dass sie nimmer erscheinen würden.’“

Wir vermuten, dass Rolf Eden in diesen Worten keineswegs weibliche Hysterie, sondern eine bestimmte Form weiblicher Ekstase beschrieben sähe.

Und weil wir nun im Schlüpfrigen ausgerutscht sind, soll Paradiesvogel Eden auch das letzte Wort haben:

„’Nach dem Tod gibt’s nichts mehr, deswegen will ich bis dahin jede Sekunde schön leben!’“

Kommentar des faszinierten Eden-Bewunderers und FAZ-Autors Suchsland:

„Das ist dann doch nicht so dumm, wie es manchem vielleicht recht wäre.“