Von Arno Orzessek

"Die Welt" beschäftigte sich diese Woche mit der Biografie über Steve Jobs. "Die Zeit" gab sich enttäuscht über Steven Spielbergs Tim-und-Struppi-Verfilmung. Und in der "Berliner Zeitung" verglich Ex-Moderator Dieter Thomas Heck Kritiker generell mit Eunuchen.
Um mit dem Tod, aber keineswegs mit der Verklärung zu beginnen: Am 5. Oktober starb Apple-Gründer Steve Jobs - und schon in der vergangenen Woche erschien die autorisierte Jobs-Biografie von Walter Isaacson, die um die "Dichotomie Held-Mistkerl" kreist. In der Tageszeitung DIE WELT verwunderte sich Hannes Stein darüber, dass alle Jobs-Klischees wahr sind:

"Er ist als junger Mann wirklich zottelig und stinkend herumgelaufen. Damals vertrat er die Theorie, wer sich von Früchten ernähre, benötige weder Deos noch Duschen. Die Firma Apple trägt ihren Namen deshalb, weil Jobs zeitweilig kaum etwas anderes aß als Äpfel. Die Firma wurde tatsächlich [ ... ] in einer Garage [ ... ] gegründet: von Jobs und seinem Freund Steve Wozniak, [ ... ] der Baupläne gern für lau an die ganze Welt verteilt hätte. Steve Jobs nicht."

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG verglich Bernd Graff Steve Jobs nach seiner Isaacson-Lektüre fast wahllos mit mythischen Figuren der Antike:

"Wenn Steve Jobs auch mitunter wie ein Korken auf dem Wasser trieb, blieb er dennoch der Navigator seines Lebens. So jedenfalls zeichnet ihn Isaacson: talentiert und furchtlos, manchmal orientierungslos. In seiner in jeder Hinsicht ungebremsten Wucht eine Ausnahmeerscheinung als Firmenlenker: cholerisch, kontrollversessen, detailverliebt und unbelehrbar. Ein Mann, der um seine Ausnahmestellung wusste, sich gerne für einen Prometheus hielt und bestimmt kein Philanthrop war. Ein Ikarus,
ein Phoenix, ein Midas - ein Stehauf-Apfelmännchen, wenn man so will."

Die Möglichkeiten des Digitalen auf die Spitze getrieben, das hat - im Rahmen des Kinos - oft genug der Regisseur Steven Spielberg. Im neusten Werk, der Tim-und-Struppi-Verfilmung "Das Vermächtnis der Einhorn", macht Spielberg regen Gebrauch vom Performance Capture-Verfahren. Echte Schauspieler werden dabei zu Vorlagen für animierte Figuren. Geht es nach der Mehrzahl der Kritiker, ist's misslungen.

"Pustekuchen", überschrieb Georg Seesslen in der Wochenzeitung DIE ZEIT seine Kritik zwar nicht, wohl aber "Pusteblume!" - und wurde dann abstrakt:

"Im Gegensatz zum Comic-Tintin ist der Film-Tim nicht, sondern er geschieht. Sieht man ihn einmal nicht in Bewegung, so beginnen schon Selbstzweifel und Verzagtheit; Tim ist von der 'Leerstelle' nicht zu einer Person geworden, sondern: zu einem postidentischen Akteur, für den Zeit und Raum - das rein technisch erzeugte 'Volume' des Lebens - nur als beliebig vorstellbar sind."

In die gleiche Kerbe, aber tiefer, schlug in der SZ Fritz Göttler:

"Dieser 'Tim und Struppi'-Film [ ... ] handhabt [ ... ] das 'Performance Capture'-Verfahren so perfekt, dass er in einem toten Niemandsland landet, mit monströsen Figuren, die bei aller Rasanz, zu der die Dramaturgie sie verdonnert, ihre plastilinöse Plumpheit nicht kaschieren können. Sie sind nicht Mensch und nicht Phantasiewesen, kennen keinen Ort und keine Zeit, die ihnen gehören, haben keine kinetische Intelligenz, keine Leichtigkeit und Eleganz, keine Transparenz."

Ob es Steven Spielberg trösten würde oder nicht: Über den Kritiker als solchen lästerte Dieter Thomas Heck, Ex-Moderator der ZDF-Hitparade, in der BERLINER ZEITUNG:

"Ein Kritiker ist für mich wie ein Eunuch. Er weiß, wie es geht, aber er kann es nicht."

Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius äußerste seine Kritikerkritik im Berliner TAGESSPIEGEL. Gerrit Bartels hatte erfahren wollen, wie das ist: Wenn man den Büchner-Preis zugesprochen bekommt, aber von den Feuilletonisten für zu leicht befunden wird für die bedeutungsschwere Auszeichnung:

"Das ist üblich, das wird oft so gemacht [sagte Delius]. Ich bin seit über 40, nein, [ ... ] seit fast 50 Jahren in diesem Literaturbetrieb. Ich kenne die Rituale. Da ein Kritiker im Schnitt vielleicht ein, zwei Bücher von den namhaften Autorinnen und Autoren kennt, da alle wenig oder fast nichts voneinander wirklich gelesen haben, hat dieser Betrieb börsenhafte Züge."

In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG erklärte Literatur-Nobelpreisträger John M. Coetzee, warum er öffentliche Äußerungen für problematisch hält:

"Es ist ein trauriger Aspekt des Literaturunterrichts, dass in Artikeln, Arbeiten und Dissertationen über zeitgenössische Autoren die Kommentare, die Schriftsteller in Interviews [ ... ] über ihre eigenen Werke abgeben, als verbindliche Interpretationshilfe angesehen werden. Ich würde vorschlagen, dass man sie stattdessen mit äußerstem Misstrauen behandeln sollte."

Kein Misstrauen hat die Kunstwelt Wolfgang Beltracchi entgegengebracht. Über den Fälscher, der nun für sechs Jahre ins Gefängnis abgeht, schrieb Niklas Maak in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:

"Der Künstler, der als Wolfgang Fischer-Beltracchi abgelehnt wurde, verkleidet sich also als Max Ernst, als Derain - und wird geliebt und trickst ein System aus, das in der Öffentlichkeit ohnehin keinen guten Ruf hat. Am Ende hat er mehr als zehn Millionen Euro verdient, die Weltelite der Experten und Auktionatoren düpiert und mindestens fünfundfünfzig, aber in Wirklichkeit wohl viel mehr 'Meisterwerke der Moderne' erfunden."

Wie ein Kommentar zum Fall Beltracchi las sich eine Einsicht des Kunsthistorikers Beat Wyss in der NZZ:

"Das Magische an der Kunst steht nicht im Gegensatz zum Marktgeschehen; vielmehr ist es der Markt selber, der als großer Magier die Kunst verzaubert."

Frank Castorf dürfte dem zustimmen - auf sein Genie setzt der Berliner Theatermacher jedenfalls nicht. Was Castorf denkt, wenn ihm die Leute - Originalzitat - "in den Arsch kriechen" wollen, machte er in der SZ bekannt:

"Bitte, ihr wisst doch, was für ein Scharlatan ich bin. Ich bin ein Faxenmacher. Mein Theater hat ganz viel mit Kinderspielen zu tun, mit dieser Infantilität von Pissi-Pippi-Kacka."

Steve Jobs als Mistkerl entlarvt, Steven Spielberg als schlechten Animateur, die Kritiker als Eunuchen, Beltracchi als Fälscher, Frank Castorf als Faxenmacher - es war eine Woche der Desillusionierungen. Und zum Schluss auch noch diese Enttäuschung. In der ZEIT hieß es unter der Überschrift "Wetten dass ... ?":

"Angela Merkel wird nicht die Nachfolgerin Thomas Gottschalks."