Von Arno Orzessek

Die Buchmesse beherrschte die Feuilletons der Zeitungen in dieser literarischen Woche. Natürlich vorne mit dabei: Island, das diesjährige Gastland. Neben Büchern weitere Themen: der Bundestrojaner und die Band Kraftwerk.
Feuilleton-Thema Nr. 1 war in der vergangenen Woche die Frankfurter Buchmesse.

"So wenig gelesen wurde auf der Buchmesse [noch] nie", resümierte die Tageszeitung DIE WELT und befand begeisterungslos:

"Eine Branche baut sich um. Unsicherheit, Furcht und viele neue Konzepte mit englischen Bezeichnungen [dominieren] in Frankfurt."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG dagegen freute sich für das Gastland Island: "Selten hatte ein Land so viel Erfolg auf der Frankfurter Buchmesse." Allemal vermittelte sich der Eindruck: Der Spaß ist ein Meister aus Island.

In der FRANKFURTER RUNDSCHAU rezensierte Sarah Brasack den Roman "Eine Frau bei 1000 Grad" von Hallgrimur Helgason und stellte die Hauptfigur Herbjörg Maria Björnsson, die mit Laptop und Handgranate in einer Garage lebt, wie folgt vor:

"Helgasons kratzbürstige Protagonistin ist 80 Jahre alt, wiegt nur noch 40 Kilo, raucht wie ein Schlot und hat Krebs im Endstadium. Ihr einziger Kontakt zur Außenwelt sind die zwei Frauen von einem Pflegedienst [ ... ] - das 'liebe Ding von der Frühschicht' und die mürrische 'Spätschichtscheuche mit kalten Händen und Mundgeruch'. Und dann sind da die rund 700 Facebook-Freunde. Unter verschiedenen Identitäten mischt die 'Matratzenhyäne' das große 'Facebuch' kräftig auf [ ... ]. Und sie bestellt die eigene Einäscherung bei 1000 Grad telefonisch vor."

Gar nicht lustig fanden die Feuilletonisten den Bundes- oder Staats-Trojaner, der hiesigen Behörden im Zweifelsfall die Totalüberwachung privater Personalcomputer inklusive deren Manipulation ermöglicht.

Unter dem Titel "Kontrolle außer Kontrolle" warnte Dietmar Dath in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:

"Die Staatsmacht probt die Einrichtung der Gedankenpolizei im Welthirn Internet. Was Sicherheit herstellen soll, vermehrt die Unsicherheit gewaltig."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG sprach mit Constanze Kurz und Frank Rieger, beide Sprecher des Chaos Computer Clubs, der den Staatstrojaner geknackt hatte. Laut Rieger reicht der bestehende Rechtsrahmen nicht aus, um die User vor ihrem Staat zu schützen:

"Bei Hausdurchsuchungen oder Computer-Beschlagnahmen sehen wir immer wieder eine Tendenz zur Überschreitung des gesetzlichen Rahmens. Selbst Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts werden ignoriert. Wir beobachten auch illegale Überwachungsmaßnahmen [ ... ]. Typisch ist die Aufblähung des Anfangsverdachts. So kommt man leichter an richterliche Genehmigungen [ ... ]. Hinterher ist dann von dem dramatischen Verdacht keine Rede mehr, aber die [ ... ] gewonnenen Daten werden gleichwohl genutzt."

So Frank Rieger über Datensicherheit in Zeiten von Staatstrojanern.

Um noch ernster zu werden: Der Film der Woche, "Restless" von Gus Van Sant, handelt von der jungen Annabel, die Krebs im Endstadium hat. Allerdings - das betonte Susan Vahabzadeh in der SZ - geht es ein weiteres Mal nicht um einen jener Tumore, die den Körper des Erkrankten unästhetisch hinrichten:

"Gus Van Sant [ ... ] hat eine goldene Regel beachtet: Annabel hat einen Hirntumor, eine der Krebsarten, die Hollywood favorisiert, weil man sich da nicht mit Amputationen oder künstlichen Darmausgängen herumschlagen oder sich allzu weit in die physische Privatsphäre vorwagen muss. Brustkrebs gibt es im Kino so gut wie gar nicht."

Keine Trauermusik wird man von der Düsseldorfer Elektro-Combo Kraftwerk erwarten, die zur Zeit im Münchener Lehnbachhaus in einer 3D-Video-Installation zu sehen und zu hören ist.

Unter dem Titel "Sing den Bundestrojaner" schrieb Elias Kreuzmair in der TAZ:

"Keine Frage [ ... ], Kraftwerk haben sich ihren Platz im Museum verdient. Durch ihre musikhistorischen Verdienste von Elektro-Pop bis Techno, durch ihr von kunsthistorischen Referenzen gespicktes visuelles Werk - das reicht von den Film-Expressionisten wie Fritz Lang bis zu Warhol - und durch ihre politische Relevanz."

So weit, so nüchtern. Restlos hingerissen beschrieb dagegen SZ-Kritiker Andrian Kreye Kraftwerk als "Echo des Urknalls", nannte die Düsseldorfer Jungs "Schöpfergötter des Elektropop" und komponierte folgende Eloge:

"Als 'Radioaktivität' im November 1975 erschien, war das erste Anhören ein popkulturelles Erweckungserlebnis [ ... ]. Die kristallklaren Elektroklänge waren in ihrer Schlichtheit ein akustischer Eisbrecher im Klangsumpf der damals gängigen Rockgenres [ ... ]. Vor allem aber waren Kraftwerk das Gegengift für die latente Depression des Pop, weil der Blues Mitte der siebziger Jahre längst im larmoyanten Pathos erstickt war. Der Retrofuturismus der vier Klangingenieure [ ... ] war vom strahlenden Optimismus einer vordigitalen Techno-Utopie getragen."

Der Beifall für das E-Ensemble Kraftwerk fiel einhellig aus. In den Applaus für Eugen Ruge, der für sein Romandebüt "In Zeiten des abnehmenden Lichts" den Deutschen Buchpreis erhielt, mischten sich Pfiffe:

"Mutlose Mitte" - "Kompromisskandidat", maulte die SZ.

Welt-Autor Elma Krekeler lobte Ruge so lange, bis sein Lob in Sarkasmus umschlug:

"Ruge zieht in vielen Farben und mit höchst lebendigen, vielschichtigen Figuren das Panorama eines (kommunistischen) deutschen Jahrhunderts auf. Mit geschliffenen Dialogen, mit ausgepichtem Humor [ ... ]. Ein süffiger, soghafter, beinahe so makellos wie konservativ gebauter und erzählter Familienroman. Damit kann man leben, das kann, sollte man lesen. Das wird sich verkaufen und muss man dem Ausland nicht erklären."

Zum Schluss die Frage der Woche, gestellt von der SZ:

"Wer aus der Zeit fällt, wo landet der?"