Von Arno Orzessek

Unschickliche Töne zum Papstbesuch senden Dr. Martin Luther, die transsexuelle Sängerin Baby Dee und der ewige Kirchenkritiker Karlheinz Deschner. Der Auftakt der Theater- und Opernsaison provoziert auch kein freundliches Echo.
„Wie gefällt dir das, Papstesel?“

wollte am Donnerstag, als der Pontifex in Berlin weilte, ein Star-Autor in der Tageszeitung DIE WELT wissen und zog so richtig vom Leder:

„Wer Gott lesen will, der lese die heilige Schrift, wer den Teufel reden hören will, der lese des Papstes Dekrete und Bullen. O weh, weh, weh dem, der dahin kommt, dass er Papst oder Kardinal wird, dem wäre besser, dass er nie geboren wäre. Judas hat den Herrn verraten und umgebracht, aber der Papst verrät und verdirbt die christliche Kirche […]. Weh dir, Papst!“

drohte in der WELT Dr. Martin Luther. Im Original war sein Wutausbruch unter dem Titel „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“ 1545 erschienen.

Indessen können evangelische Theologen zum Papst auch nett sein. Das zeigte in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Friedrich Wilhelm Graf. Er schrieb „Eine kleine Papstkunde“ und billigte dem obersten Katholiken eine multiple Existenz zu.

„Viele Körper hat der Papst. Neben dem sterblichen Leib des Menschen, […] hat der Papst diverse geistliche und auch zwei weltliche, politische Körper.“

Am Ende seiner Körperkunde hielt Graf fest:

„Wohl in keinem anderen Amt dieser Welt tritt das Individuum so sehr hinter die Amtsperson zurück. Benedikt aber versucht, sich einen Rest von individuellem Selbstsein und lebensgeschichtlicher Kontinuität mit dem einst VW-Golf fahrenden C4-Professor […] zu wahren. Damit kann er nur scheitern.“

Berlin, Erfurt, Freiburg – eine Einladung hat Benedikt nicht angenommen. Nämlich die der transsexuellen Sängerin Baby Dee. Dee wollte den Papst im Berghain sehen, dem Hauptstadtclub, in dem die katholische Sexuallehre selten angewandt wird:

„Wenn er zu meinem Konzert kommt, könnte […] [der Papst] meine Lieblingsliturgien kennenlernen: ‚Die Liturgie vom Sich-selber-annehmen (Du bist nicht die einzige Crackhure im Laden)’; ‚Die Liturgie von Gottes Großem Plan (er wird deinen dicken Hintern in der Hölle rösten)’; und die beliebteste katholische Hymne aller Zeiten: ‚Du sollst in Gottes Haus nicht pinkeln (außer wenn Du wirklich ganz dringend musst)’.“

Das waren – im Sinne Roms – unschickliche Töne. Aber hatte nicht schon am Dienstag die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG gewarnt: „Der Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. wird keine Erholungsreise"?“

Doch, die NZZ hatte gewarnt!

Derweil nannte in der FRANKFURTER RUNDSCHAU Kirchenkritiker Karlheinz Deschner Papst Pius XII., den Benedikt selig sprechen möchte, einen „Faschistenkomplizen“:

„"Natürlich hatte […] [Pius XII.] keine Sympathien für Hitlers Antiklerikalismus, […] aber er schätzte seine Vernichtung der Liberalen, Sozialisten, Kommunisten, nichts konnte ihm willkommener sein.“

Wo wir gerade im braunen Sumpf sind:

„HHhH“ – zwei große Hs, ein kleines h und noch ein großes H hintendran –, „HHhH“ also heißt der Roman des französischen Schriftstellers Laurent Binet, der mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Ums Lachen geht’s allerdings nicht. HHhH steht für Himmlers Hirn heißt Heyderich – ein Zitat von Hermann Göring.

Im Interview mit der Tageszeitung DIE WELT griff Binet – unter Kollegen ist das selten – Jonathan Littell an, Autor des Horrorschockers „Die Wohlgesinnten“ rund um den Massaker-Reisenden Dr. Max Aue:

„Littell reproduziert das Klischee vom kultivierten Nazi, der Kant liest. Aber diese Klischees entstammen eher einer Mythologie, welche die Nazis selbst produziert haben, als der Realität. Die Realität waren eine Million SA-Mitglieder, die brutale Bestien waren, degenerierte Halbadelige wie Göring, oder Leute, die nicht besonders gebildet waren, wie Himmler oder Hitler.“

Am Wochenende vor dem Papst-Besuch hatte in vielen deutschen Städten die Theater- und Opernsaison begonnen, worauf die Feuilletons verlässlich reagierten:

„Pfui über das Kastratentheater!“

schrieb Gerhard Stadelmaier in der FAZ, nachdem er im Frankfurter Schauspielhaus Schillers „Räuber“ in der Regie von Enrico Lübbe und Ferenc Molnárs „Liliom“ in der Regie von Christoph Mehler gesehen hatte:

„An beiden Abenden sind die Figuren nach fünf Minuten fix und fertig – gemacht und erklärt. In gemütlich gegen jede Zugluft gesicherten Innenräumen. Das Theater wäre aber dazu da, sie der weiten Welt auszusetzen. Es könnte sonst dazu kommen, dass die Welt das Theater vergisst“

mahnte der ästhetische Erzieher von der FAZ, Gerhard Stadelmaier.

Noch gründlicher fledderte in der FR Joachim Lange Doris Dörries Inszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ an der Staatsoper Hamburg:

„Was […] [Dörrie] jetzt mit dem ‚Don Giovanni’ angestellt hat, entzieht sich im Grunde […] einer ernsthaften Besprechung. Und zwar durch Flucht in alberne Belanglosigkeit und szenische Hilflosigkeit.“

Die ZEIT lästerte: „Bunt dekorierter Kartoffelbrei“.

Häufiger als ins Theater gehen die meisten Deutschen ins Netz. Die digitale ist ja die größte Revolution unserer Zeit. Und wenn es eine Revolutionspartei gibt, sind es die Piraten, die am vergangenen Sonntag ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt wurden.

In der FAZ unterstellte Stefan Schulz den Piraten allerdings, mit ihrem Konzept demokratischer Teilhabe in die Irre zu gehen:

„Das alltägliche Auseinandersetzen mit Politik ist keine Bereicherung, sondern eine Belastung, wenn nicht Belästigung des gemeinen Bürgers. […] Erfolgreiche Politik wird nicht mit Bürgern gemacht, sondern für sie.“

Nun, man wird sehen. Im Bundestag hat der Papst die ökologische Bewegung der 70er-Jahre gelobt. Vielleicht wird sein Amtsnachfolger 2050 die digitale Bewegung unserer Tage loben.

Wenn aber nicht, wenn die Piraten im „Geisterschiff“ unterwegs sind, wie die ZEIT meint – was tut’s? Laut SZ gibt es eine Lust, die nicht im Erfolg gründet. Es ist – und damit Adieu – die „Lust am verpfuschten Leben.“