Von Arno Orzessek
Der ferne Osten stand auch in der vergangenen Woche im Fokus der Feuilletons - allerdings hat sich der Brennpunkt um 3787 Kilometer verschoben: vom Trümmerreaktor Fukushima in Japan zur "Kunst der Aufklärung" im Chinesischen Nationalmuseum in Peking.
Der ferne Osten stand auch in der vergangenen Woche im Fokus der Feuilletons - allerdings hat sich der Brennpunkt um 3787 Kilometer verschoben.
Genau diese Distanz müsste man laut Google Maps bewältigen, wollte man mit Auto und Fähre von den havarierten Reaktoren Fukushimas nach Peking reisen, wo in diesen Tagen im Nationalmuseum die Ausstellung "Kunst der Aufklärung" havariert.
"Es kommt mir [so] vor, als würde die deutsche Kulturpolitik regelrecht winseln um Anerkennung durch China. Ich verstehe nicht, weshalb es die Deutschen sein müssen, die als Allererste Werke für eine Ausstellung in diesem Museumsklotz liefern, der doch nur ein Prestigeobjekt des Regimes ist","
echauffierte sich Hertha Müller laut der Tageszeitung DIE WELT, die das Zitat der Literaturnobelpreisträgerin aus der Wochenzeitschrift "Focus" übernommen hatte.
Es war ebenfalls DIE WELT, in der Johnny Erling vom Desinteresse des chinesischen Publikums berichtete, das sich normalerweise gratis im Nationalmuseum tummeln darf:
""Nirgends im riesigen Museum hat sich jemand die Mühe gemacht, den Weg auszuschildern. Auf alle, die dann doch noch zu 'Die Kunst der Aufklärung' in einem Eckflügel im zweiten Stock finden, wartet eine weitere Überraschung. Sie müssen sich eine Eintrittskarte für 30 Yuan (3,50 Euro) kaufen."
Eine komische Entdeckung immerhin machte Petra Kipphoff, Autorin der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG - allerdings nicht in der Ausstellung selbst, sondern im Katalog:
"In dem Beitrag zweier chinesischer Wissenschafter kommt man zu dem interessanten Schluss, dass der Kommunismus die Ausweitung, um nicht zu sagen die Krönung der Aufklärung sei."
Übrigens: Der Katalog kostet opulente 115 Euro, womit er praktisch nur für chinesische Mercedes- und Phaeton-Fahrer erschwinglich ist.
Angesicht der Nachrichten vom fernöstlichen Flop ließ Kia Vahland in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG alle Hoffnung fahren, das Licht der Aufklärung per Ausstellung nach China zu tragen.
"Nicht das Nationalmuseum in Peking, sondern das Berliner Humboldt-Forum muss ein Ort der Aufklärung werden."
Womit ein anderes Hauptmotiv der Woche - das deutsche Einheitsdenkmal, das vor dem Humboldt-Forum platziert werden soll - leise anklingt.
Doch wir sind noch nicht fertig mit dem China-Komplex.
Wegen des angeblichen Kotaus vor dem chinesischen Regime und der Verharmlosung der Verhaftung des Künstlers Ai Weiwei wurde Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Museen Dresden und einer der Organisatoren von "Kunst der Aufklärung", zum Buhmann der Woche.
Im Berliner TAGESSPIEGEL schrieb Rüdiger Schaper:
"Martin Roth hat den deutschen Kulturbetrieb desavouiert. Er hat sich zu entschuldigen. Er muss sich für Ai Weiwei einsetzen. Sonst hat er in Peking nichts verloren, kann er seine Kunstschätze zurückholen. Museum trifft Aufklärung: Beide tot."
In der SZ wetterte Bernd Scherer, Intendant des Berliner Hauses der Kultur der Welt:
"Wer beklagt, dass sich die westliche Aufmerksamkeit dieser Tage hauptsächlich auf Ai Weiwei konzentriert, versteht nicht, dass individuelle Freiheitsrechte immer nur im Hinblick auf ein konkretes Individuum verlangt werden können. Die chinesische Regierung nimmt doch genau [Ai Weiwei] in dieser spektakulären Aktion fest, um den hundert Anderen vor Augen zu führen, was ihr individuelles Recht gilt."
Die Wochenzeitung DER FREITAG wollte genau wissen, ob Martin Roth überhaupt intendiert hatte, was ihm zur Last gelegt wird - und bat ihn zum Interview.
Frage Uta Baier: "Sie sagten, es gibt Hunderte wie Ai Weiwei. Meinten Sie jene, die regimekritische Kunst machen und dafür einfach verhaftet werden?"
Antwort Roth: "Ich meinte damit Menschen, die sein Schicksal teilen, das heißt, verhaftet werden, ohne dass die Umstände bekannt sind."
"Warum ist das ein Grund, sich nicht für den einen, der gerade verhaftet wurde, einzusetzen","
fragte Baier vom FREITAG.
Roth antwortete: ""Das geschieht doch! Aber was sollen die lauten Betroffenheitsgesten verändern. Glauben Sie, dass die 'Freiheit für …'-Rufe irgendeinen Verantwortlichen in China tangieren?"
Das alles klang irgendwie bockig. Weshalb dahingestellt sei, ob Martin Roth mit dem Interview im FREITAG den Status als Buhmann der Woche ablegen kann.
Ai Weiwei wurde vom Regime nicht etwa zum Buhmann gemacht. Nein. Man zog den Künstler brutal aus dem Verkehr und verschleppte ihn wer weiß wohin. Weshalb der der Lyriker Durs Grünbein in der FAZ die Kern-Frage stellte:
"Ich will nur wissen: Wo ist Ai Weiwei? Ich spreche nicht die Sprache der Bürokratie, mich kümmert der Staat nicht und seine Hysterie. Künstler sind kluge Affen: Sie wollen spielen, sie unterschätzen den blutigen Ernst der Hyänen. Dies ist kein Protestbrief, kein Intellektuellenstück. Nur die Frage des Künstlers: Wo ist Ai Weiwei?"
Natürlich bekam in der weltkulturpolitisch anregenden Woche auch das Rezensionsfeuilleton zu tun; wobei "Lulu" in Berlin noch mehr Aufmerksamkeit erhielt als "Salome" in Salzburg.
In der FRANKFURTER RUNDSCHAU schrieb Dirk Pilz über Robert Wilsons "Lulu"-Inszenierung zur Musik Lou Reeds am Berliner Ensemble zunächst unentschieden, dann aber doch arg abgetörnt:
"Robert Wilson hat alles durchgestylt; das will verfremdendes Installationsmusiktheater sein, ist aber schrecklich nette, zuckerige Zeichenstreuselei."
Nette Zeichenstreuselei - das war auch der Tenor der Geschmacksurteile zum Einheitsdenkmal nach dem Entwurf der Szenografen Milla & Partner.
Eckhard Fuhr beschrieb die Form in der WELT als "Zwitterwesen aus liturgischem Gefäß und Babywippe" – "Salatschüssel der Einheit" höhnte die SZ; "Mehr Demokratie wiegen" empfahl der TAGESSPIEGEL.
Nun werden Sie sich vielleicht fragen, liebe Hörer, ob das noch ewig so weitergeht mit dem Zitieren. Darauf sagen wir mit einer SZ-Überschrift vom Samstag "Ein deutliches 'Ja!'" - aber erst nächste Woche. Bis dann.
Genau diese Distanz müsste man laut Google Maps bewältigen, wollte man mit Auto und Fähre von den havarierten Reaktoren Fukushimas nach Peking reisen, wo in diesen Tagen im Nationalmuseum die Ausstellung "Kunst der Aufklärung" havariert.
"Es kommt mir [so] vor, als würde die deutsche Kulturpolitik regelrecht winseln um Anerkennung durch China. Ich verstehe nicht, weshalb es die Deutschen sein müssen, die als Allererste Werke für eine Ausstellung in diesem Museumsklotz liefern, der doch nur ein Prestigeobjekt des Regimes ist","
echauffierte sich Hertha Müller laut der Tageszeitung DIE WELT, die das Zitat der Literaturnobelpreisträgerin aus der Wochenzeitschrift "Focus" übernommen hatte.
Es war ebenfalls DIE WELT, in der Johnny Erling vom Desinteresse des chinesischen Publikums berichtete, das sich normalerweise gratis im Nationalmuseum tummeln darf:
""Nirgends im riesigen Museum hat sich jemand die Mühe gemacht, den Weg auszuschildern. Auf alle, die dann doch noch zu 'Die Kunst der Aufklärung' in einem Eckflügel im zweiten Stock finden, wartet eine weitere Überraschung. Sie müssen sich eine Eintrittskarte für 30 Yuan (3,50 Euro) kaufen."
Eine komische Entdeckung immerhin machte Petra Kipphoff, Autorin der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG - allerdings nicht in der Ausstellung selbst, sondern im Katalog:
"In dem Beitrag zweier chinesischer Wissenschafter kommt man zu dem interessanten Schluss, dass der Kommunismus die Ausweitung, um nicht zu sagen die Krönung der Aufklärung sei."
Übrigens: Der Katalog kostet opulente 115 Euro, womit er praktisch nur für chinesische Mercedes- und Phaeton-Fahrer erschwinglich ist.
Angesicht der Nachrichten vom fernöstlichen Flop ließ Kia Vahland in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG alle Hoffnung fahren, das Licht der Aufklärung per Ausstellung nach China zu tragen.
"Nicht das Nationalmuseum in Peking, sondern das Berliner Humboldt-Forum muss ein Ort der Aufklärung werden."
Womit ein anderes Hauptmotiv der Woche - das deutsche Einheitsdenkmal, das vor dem Humboldt-Forum platziert werden soll - leise anklingt.
Doch wir sind noch nicht fertig mit dem China-Komplex.
Wegen des angeblichen Kotaus vor dem chinesischen Regime und der Verharmlosung der Verhaftung des Künstlers Ai Weiwei wurde Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Museen Dresden und einer der Organisatoren von "Kunst der Aufklärung", zum Buhmann der Woche.
Im Berliner TAGESSPIEGEL schrieb Rüdiger Schaper:
"Martin Roth hat den deutschen Kulturbetrieb desavouiert. Er hat sich zu entschuldigen. Er muss sich für Ai Weiwei einsetzen. Sonst hat er in Peking nichts verloren, kann er seine Kunstschätze zurückholen. Museum trifft Aufklärung: Beide tot."
In der SZ wetterte Bernd Scherer, Intendant des Berliner Hauses der Kultur der Welt:
"Wer beklagt, dass sich die westliche Aufmerksamkeit dieser Tage hauptsächlich auf Ai Weiwei konzentriert, versteht nicht, dass individuelle Freiheitsrechte immer nur im Hinblick auf ein konkretes Individuum verlangt werden können. Die chinesische Regierung nimmt doch genau [Ai Weiwei] in dieser spektakulären Aktion fest, um den hundert Anderen vor Augen zu führen, was ihr individuelles Recht gilt."
Die Wochenzeitung DER FREITAG wollte genau wissen, ob Martin Roth überhaupt intendiert hatte, was ihm zur Last gelegt wird - und bat ihn zum Interview.
Frage Uta Baier: "Sie sagten, es gibt Hunderte wie Ai Weiwei. Meinten Sie jene, die regimekritische Kunst machen und dafür einfach verhaftet werden?"
Antwort Roth: "Ich meinte damit Menschen, die sein Schicksal teilen, das heißt, verhaftet werden, ohne dass die Umstände bekannt sind."
"Warum ist das ein Grund, sich nicht für den einen, der gerade verhaftet wurde, einzusetzen","
fragte Baier vom FREITAG.
Roth antwortete: ""Das geschieht doch! Aber was sollen die lauten Betroffenheitsgesten verändern. Glauben Sie, dass die 'Freiheit für …'-Rufe irgendeinen Verantwortlichen in China tangieren?"
Das alles klang irgendwie bockig. Weshalb dahingestellt sei, ob Martin Roth mit dem Interview im FREITAG den Status als Buhmann der Woche ablegen kann.
Ai Weiwei wurde vom Regime nicht etwa zum Buhmann gemacht. Nein. Man zog den Künstler brutal aus dem Verkehr und verschleppte ihn wer weiß wohin. Weshalb der der Lyriker Durs Grünbein in der FAZ die Kern-Frage stellte:
"Ich will nur wissen: Wo ist Ai Weiwei? Ich spreche nicht die Sprache der Bürokratie, mich kümmert der Staat nicht und seine Hysterie. Künstler sind kluge Affen: Sie wollen spielen, sie unterschätzen den blutigen Ernst der Hyänen. Dies ist kein Protestbrief, kein Intellektuellenstück. Nur die Frage des Künstlers: Wo ist Ai Weiwei?"
Natürlich bekam in der weltkulturpolitisch anregenden Woche auch das Rezensionsfeuilleton zu tun; wobei "Lulu" in Berlin noch mehr Aufmerksamkeit erhielt als "Salome" in Salzburg.
In der FRANKFURTER RUNDSCHAU schrieb Dirk Pilz über Robert Wilsons "Lulu"-Inszenierung zur Musik Lou Reeds am Berliner Ensemble zunächst unentschieden, dann aber doch arg abgetörnt:
"Robert Wilson hat alles durchgestylt; das will verfremdendes Installationsmusiktheater sein, ist aber schrecklich nette, zuckerige Zeichenstreuselei."
Nette Zeichenstreuselei - das war auch der Tenor der Geschmacksurteile zum Einheitsdenkmal nach dem Entwurf der Szenografen Milla & Partner.
Eckhard Fuhr beschrieb die Form in der WELT als "Zwitterwesen aus liturgischem Gefäß und Babywippe" – "Salatschüssel der Einheit" höhnte die SZ; "Mehr Demokratie wiegen" empfahl der TAGESSPIEGEL.
Nun werden Sie sich vielleicht fragen, liebe Hörer, ob das noch ewig so weitergeht mit dem Zitieren. Darauf sagen wir mit einer SZ-Überschrift vom Samstag "Ein deutliches 'Ja!'" - aber erst nächste Woche. Bis dann.