Von Arno Orzessek

Die "Taz" mokiert sich über nomadisierende Hipster aus aller Welt in Neukölln. Die FAZ hingegen meckert über das geplante Einheitsdenkmal. Nur die "Süddeutsche" findet lobende Worte und zwar für Herta Müller und ihre Geistesblitze.
Bei uns vor der Tür, dort am Landwehrkanal in Nord-Neukölln, trifft man sie andauernd, seit der Kiez als Berlins Antwort auf die Lower East Side gilt: Diese jungen Leuten, die Arno Frank in der TAGESZEITUNG als "Globalisierungsnomaden" abfertigt.

"Erkennbar sind diese Hipster weniger an ihren Accessoires als vielmehr an der sie umgebenden Blase aus leicht anblasierter Selbstsicherheit, deren ideale Oberflächenspannung aus der Tatsache resultiert, dass diese Leute in aller Regel nicht ihr eigenes Geld ausgeben - sondern das ihrer Eltern", "

spottet Arno Frank, der sich selbst als ein "Alteingesessener mit muränenhafter Griesgrämigkeit" zu erkennen gibt.

Schön schlecht gelaunt also schlägt Frank vor, in Neukölln die aus New York bekannten "hipster traps" aufzustellen, fiese Fallen für nervige Urbanisten:

""Eine Packung American Spirit, eine Idiotensonnenbrille aus grellbuntem Plastik, eine chinesische Mittelformatkamera vom Typ Holga 120 S und eine Flasche Tannzäpfle, schön arrangiert als Köder im rostigen Rachen einer aufgespannten Bärenfalle - der Hipster würde einfach nicht widerstehen können und läge bald 'SCHNAPP!' in seinem Blute."

Wir zitieren Arno Frank natürlich, weil wir seine Schnapp-Ideen teilen. Nord-Neukölln, das war ja einst eine sympathisch-graue Exklave Anatoliens. Jetzt ist man ohne authentisches american-english völlig verloren, zumindest aber so was von out ...

Ähnlich allergisch wie Arno Frank auf die Hipster reagiert Andreas Kilb auf die metallische Riesenschaukel, die der Kulturausschuss des Bundestages zum Einheitsdenkmal erkoren hat - und zwar nach dem Entwurf des Stuttgarter Architektenbüros Milla & Partner sowie der Berliner Choreographin Sascha Waltz.

"Die Bürgerbewegung der DDR war ein Aufbruch zur Selbstbestimmung, die Freiheit, die damals erkämpft wurde, ist ebenso zentraler Bestandteil des Denkmals wie die spätere Einheit. In der Deutschlandwippe von Milla und Waltz aber wird die freie Bewegung zum gelenkten Massenspaß", "

sinniert Andreas Kilb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über Anspruch und Wirklichkeit des geplanten Einheitsdenkmals.

Als die Mauer fiel, da war Lena Mayer-Landrut noch lange nicht geboren. Nun hat sie in Berlin ihre Deutschlandtournee gestartet - und empfängt dafür im Berliner TAGESSPIEGEL von Kai Müller warme Worte.

""Einmalig an diesem Abend ist, dass jedes Wort und jeder unbeholfene Versuch, eine Brücke zwischen den Songs zu bauen oder das Publikum zu mehr Engagement zu bewegen, dass all das, was zum Repertoire einer Entertainerin gehört, noch nicht zum Ritual geworden ist."

TAGESSPIEGEL-Autor Müller lobt Lena also für das, was sie nicht oder noch nicht kann.

Anders Jan Küveler, der Autor der Tageszeitung DIE WELT, der dem englischen Sänger und Drogen-Freund Peter Doherty anlässlich von dessen Deutschlandtournee Substanz zubilligt:

"Doherty singt oft weniger, als dass er murmelnd beschwört. Seine Stimme stellt unendliche Naivität aus, Schutzlosigkeit, Durchlässigkeit. Sie ist klanggewordener Schlafzimmerblick. Wie in dessen gefährlichster erotischer Variante changiert sie bruch- und mühelos zwischen Schmeichelei und Tadel, Unterwürfigkeit und Aggressivität."

Abschließend: E-Kultur. Lothar Müller, der Autor der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, berichtet über das Treffen zwischen Literaturnobelpreisträgerin Hertha Müller und der ehemaligen lettischen Außenministerin Sandra Kalniete in Riga.

Während der sowjetischen Okkupation hätten die Letten ihre Identität durch ihre Sprache bewahrt, behauptete Kalniete. Hertha Müller indessen, so Lothar Müller, ließ sich auf den Topos "Sprache ist Heimat" nicht ein, sondern konterte mit einem Zitat Jorge Sempruns:

"Nicht Sprache ist Heimat, sondern das, was gesprochen wird."

So Jorge Semprun, gedankenschnell zitiert von Hertha Müller in Riga, nachzulesen in der SZ.

Woran man sieht, dass man stets bei sich tragen sollte, was in einer SZ-Überschrift so heißt:

""Eine Tüte Geistesblitze"."