Von Arno Orzessek

Kicher! Womöglich ist ja die Erika-Kultur wichtiger gewesen als die Suhrkamp-Kultur. Während deutsche Donaldisten den Ruhm der Übersetzerin Fuchs polieren, sind die Meinungen über die Bedeutung des Frankfurter Verlagsarchivs geteilt. Außerdem im Wochenrückblick: Daddeln in Berlin, Revolte in Tunesien und ein Rausch in Wien.
"Bewundert viel und nie gescholten sei diese Übersetzerin, auf immerdar!" - Ausrufezeichen.

Mit solch barockem Ruhmessang feierte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG jene Frau, die bis Anfang der 70er-Jahre rund 1000 Ausgaben von Micky Mouse eingedeutscht und die Nachkriegszeit mit Leichtigkeit bereichert hatte.

SZ-Autor Christoph Haas rezensierte das Buch Nur keine Sentimentalitäten. Wie Dr. Erika Fuchs Entenhausen nach Deutschland verlegte von Ernst Horst, einem deutschen Donaldisten - und ließ sich von dessen Euphorie anstecken:

"Einerseits machte Erika Fuchs sich einen Heidenspaß daraus, […] Klassikerzitate unterzubringen oder zu variieren. Zu den bekanntesten Beispielen zählt der Rütli-Schwur aus Schillers Wilhelm Tell, den Tick, Trick und Track auf ihre Weise formulieren: ‚Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr.’ […] Andererseits hatte Fuchs keine Hemmungen, etwas gröber mit der Sprache umzuspringen […]. Einem Brausegetränk verpasste sie den schön widerlichen Namen Blubberlutsch."

Die SZ-Leser erfuhren auch, dass Erika Fuchs den "Erikativ" erfunden hat, die noch heute beliebte Verb-Verkürzung auf den Wortstamm, etwa in Würg!, Spei! oder Grübel!.

Grübel! - das hätte über den vielen Berichten von einer Tagung im Deutschen Literaturarchiv Marbach stehen können, das sich in den Besitz des Suhrkamp-Archivs gesetzt hat.

In der Tageszeitung DIE WELT gab Richard Kämmerlings unter der Überschrift "Der Zauber der Ablage" seiner Vorfreude über die bevorstehende Öffnung von 20.000 Aktenordnern Ausdruck:

"Natürlich wird es hier tolles Material zu einzelnen Autoren geben. Oder auch zu prägenden Lektorengestalten […]. Doch neben den Nadeln ist auch der Heuhaufen selbst interessant. Visionen der Tagungsteilnehmer richteten sich auf einen ‚Historischen Atlas der intellektuellen Kreise Deutschlands’, eine Geschichte von geistigen Netzwerken aufgrund von Lektoratsbriefwechseln, oder auch eine ‚Fieberkurvenanalyse’ von Theorie-Hypes."

Harry Nutt sah die Sache in der FRANKFURTER RUNDSCHAU unter dem Titel "Der Geist aus der Kiste" vollkommen anders:

"Bei genauerer Betrachtung ist selbst die theoretische Dominanz des Verlages von Versäumnissen durchzogen."

Für FR-Autor Nutt bedeutet die Archiv-Öffnung, dass Suhrkamp mit großer Geste "in die Geschichte entlassen und zugleich als Pathosstätte und Wundertüte lebendig gehalten" wird.

Nicht ohne weiteres zur Suhrkamp-Kultur zählen Computerspiele, obwohl sie 2008 vom Deutschen Kulturrat in den Rang der Kulturgüter erhoben wurden - neben Architektur, Musik, Film usw. Auch darum berichtete DIE WELT über das erste deutsche Computerspielmuseum, das in Berlin eröffnet wurde und die Vorgeschichte der Daddelei im Jahr 670 vor Christus beginnen lässt:

"Die Dauerausstellung dokumentiert […] [die neuere] Entwicklung vom ersten Spiel (mit einem weißen Raumschiff kleine weiße Punkte abschießen) über die großen Spielhallenmaschinen (mit einem grünen Raumschiff rote Raumschiffe abschießen) bis zum 3D-Computerspiel (mit einem bunten Raumschiff durch noch buntere Tunnel fliegen)",

berichtete der angefixte WELT-Autor Sören Kittel.
Wie ein Kommentar dazu las sich in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG der Besinnungs aufsatz "Ich simuliere, also bin ich":

"Wir sind keine Netzbenutzer mehr, sondern Netzbenutzte. […] [Doch] es gibt kein richtiges Leben im Virtuellen"",

pointierte der Publizist Eduard Kaeser… und hätte man seine Ausführungen mit Erikativen schmücken wollen, wären es Seufz! und Stöhn! gewesen.
Ganz im Realen entfaltet sich die Revolution in Tunesien. Im Interview mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG blickte der tunesische Regisseur Fadhel Jaïbi in die Zukunft:

"Es gibt viele intellektuell bestens gerüstete Leute, und es wird auch an begabten Wendehälsen nicht fehlen. Problematisch ist aber die Glaubwürdigkeit beim Volk. Die Ausschaltung der Opposition kam ja nicht erst mit Ben Ali, sondern stammt aus der Zeit Bourguibas, dauert also seit mehr als fünfzig Jahren. Ein Volk, das so lange freier Wahlen entwöhnt ist, braucht besonders starke Persönlichkeiten, die auch breite Schichten ansprechen können. Solche Figuren lassen sich nicht in zwei Monaten hervorzaubern."

Unter den alt-ehrwürdigen Kulturgütern fand die Inszenierung von August Strindbergs Rausch im Wiener Akademietheater die größte Aufmerksamkeit:

"‚Komödie’ hat der Verfasser diese bestellte Arbeit mit schwedischem Brachialhumor genannt, doch wenn die Achterbahnfahrt um Liebes-, Kindes- und Seelentod eine Komödie ist, dann ist die Johannes-Apokalypse eine Comedyshow",

witzelte Dirk Schümer wiederum in der FAZ.

"Eine Welt des Verbrechens, überall Leichen im Keller, und der Anstand geht baden -dieser zeitgenössische Grundriss des Stücks mag die Verantwortlichen der Burg bewogen haben, ‚Rausch’ in den Spielplan zu nehmen. Aber nicht zum ersten Mal hat man sich bei der Wahl des Regisseurs vergriffen",

ging SZ-Autor Helmut Schödel mit Regisseur Stefan Pucher ins Gericht.

Die meiste Wortgewalt verwandten die Feuilletonisten indessen auf den Film der Woche, Black Swan von Darren Aronofsky:

"Was es in diesem Film zu sehen gibt: Mauern in jeder erdenklichen Art, eine bedrohlicher und finsterer als die andere. Spiegel in immer irritierenderen Anordnungen. Den entsetzt-faszinierten Blick auf den eigenen Körper und seine Blessuren. […] Tanzszenen, in denen man die Bezauberung der Bewegung ebenso spürt wie den Schmerz in jedem Knochen. Und natürlich: Natalie Portman. Für die Rolle der Nina bekam sie einen Golden Globe und wird wohl auch den Oscar gewinnen",

schwärmte Georg Seesslen in der Wochenzeitung DIE ZEIT.

Womit wir auf der Höhe der Kunst und beim Geburtstagkind der Woche wären: Plácido Domingo ist 70 Jahre alt geworden. Die Überschriften allein übertrugen viel Achtung und Liebe:

"Uomo Universale der Opernwelt" - NZZ.
"Ein Napoleon unter den Tenören" - BERLINER ZEITUNG.
"Der Tenorissimo" - DIE WELT.

Wir nutzen die Gelegenheit, in Erinnerung an Micky Mouse-Übersetzerin Erika Fuchs mit erikativen Empfehlungen zu enden. Also, bitte schön: Ab auf die Couch - fläz! -, Plácido Domingo einlegen - tön! - und mal so richtig genießen - schmelz!