Von Arno Orzessek
Die "Neue Zürcher Zeitung" widmet sich dem neuen Album der Sängerin Duffy, die "Süddeutsche Zeitung" hat die Giacometti-Ausstellung in Wolfsburg besucht und in der "FAZ" sind aktuelle chinesische Pressestimmen zum Thema Korea zu lesen.
Wenn man Überschriften wie "Kickstart für Körper und Seele" oder "Poppige Polaroids" liest, dann hält man wohl kaum die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG in Händen.
Denn in diesem Blatt, in dem der Zeitgeist Hausverbot hat, heißen typische Überschriften etwa "Ein Appell für Iran", "In der Werkstatt des Künstlers" oder "Stilbildende Hochhäuser".
Alle drei Beispiele sind dem aktuellen NZZ-Feuilleton entnommen und wären mit "gähn, gähn, gähn" zu kommentieren, wenn wir hier Comicsprache sprächen.
Liest man in der NZZ aber trotzdem "Kickstart für Körper und Seele" und "Poppige Polaroids", hat man mit Sicherheit die Sonderseite "Pop und Jazz" aufgeschlagen, auf der pfiffigere Überschriften erlaubt sind als im betulichen Restfeuilleton.
Die Kritik "Poppige Polaroids" nun, die Sven Ahnert "Endlessly" widmet, dem zweiten Album der Sängerin Duffy, sticht auch durch ein Kunstfoto ins Auge:
Duffy hat sich auf Fliesen niedergelassen und zwar so, dass alle ihre Rundungen - vom kurvigen Fall des blonden Haares über den Lippenschwung ihres leicht geöffneten Mundes bis zur Wölbung ihres engen Rocks - mit "lecker, lecker, lecker" zu kommentieren wären, wenn wir hier Comicsprache sprächen.
"'Sprechen ist für mich wie Spazierengehen, etwas ganz Alltägliches. Wenn ich aber singe, ist das wie Tanzen. Dann fühle ich mich völlig frei'","
hat Duffy zu Sven Ahnert gesagt, als sich beide zum Gespräch trafen. Und nun schreibt der NZZ-Autor über das Album "Endlessly", es sei
""fast wie eine Abfolge nostalgisch gefärbter Polaroids, die das tränenreiche Spiel von Liebe und Geliebtwerden im Spannungsfeld von Disco-Stampf und bluesiger Einkehr kunstvoll festhalten, perfekte Schmachtfetzen mit Herzblut und der unverwechselbaren Stimme von Duffy, die sich ein weiteres Mal den Blues von der Seele singt."
Bevor wir verlässlich zu wichtigen Weltereignissen kommen, eine weitere Stilkritik.
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hat Tobias Kniebe die Giacometti-Ausstellung in Wolfsburg besucht, und er nennt den Künstler, der sich bekanntlich in nagelartig ausgemergelten Figuren ausgedrückt hat, einen "Fakir der Sinnverdichtung".
Der SZ-Autor Kniebe ist also unstrittig wortgewandt. Umso ernüchternder, dass die Unterzeile behauptet, die Wolfsburger Ausstellung zeige, "wie Giacometti-Figuren ihre ganz eigenen Räume schaffen".
"Ganz eigene Räume", "ganz eigene Töne", "ganz eigene Stimmungen" - sind rhetorische Offenbarungseide von Kunstkritikern und Feuilleton-Redakteuren. "Ganz eigen" nennt man etwas, wenn man absolut keinen Plan hat, wie das Eigenartige eines Kunstwerks auszudrücken wäre.
Aber lassen wir die ästhetischen Lappalien - in Korea, Süd- wie Nord-, wird scharf geschossen, die USA senden einen Flugzeugträger ins Krisengebiet, China findet das bedenklich, und überhaupt: Es herrscht "Angst im Gelben Meer".
Unter dieser Überschrift referiert Mark Siemons in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG aktuelle chinesische Pressestimmen.
"'Amerika versucht, die tragische Lage Koreas auszunutzen und den chinesischen Widerspruch in den Wind zu schlagen'","
schrieb laut FAZ die "Global Times", die außenpolitische Zeitung des Kommunistischen Jugendverbands. Und sie pointierte:
""'Die neuesten Manöver erwecken den Eindruck, dass bald ein größerer Konflikt ausbrechen könnte'","
Gott bewahre! möchte man einwenden … nämlich uns und die ganze Welt vor einem Waffengang zwischen der alten und der mutmaßlich kommenden Hypermacht, den USA und China.
Wenn’s aber kracht, dann müsste man davon auch etwas im "Tatort" merken - sofern es nach dem Berliner TAGESSPIEGEL geht. Peter von Becker bemängelt anlässlich des 40-jährigen "Tatort"-Jubiläums: "Die großen Verbrechen und Konflikte bleiben außen vor", beklagt, dass der deutsche TV-Krimi überhaupt "furchtbar clean" sei, und führt zum Beweis an:
""Raucherfinger, schmutzige Nägel hat […] [im deutschen Krimi] allenfalls ein Straßenpenner."
Was ein wirklich lächerliches Argument ist.
Als "Tatort"-Fan outet sich dagegen Dieter Bartetzko. Er dichtet in der FAZ: Der "Tatort", das sei der Ort, "wo wir wissen, wer wir sind".
Liebe Hörer, diese Worte haben alles, was ein Schlusswort braucht - oder etwa nicht?
Denn in diesem Blatt, in dem der Zeitgeist Hausverbot hat, heißen typische Überschriften etwa "Ein Appell für Iran", "In der Werkstatt des Künstlers" oder "Stilbildende Hochhäuser".
Alle drei Beispiele sind dem aktuellen NZZ-Feuilleton entnommen und wären mit "gähn, gähn, gähn" zu kommentieren, wenn wir hier Comicsprache sprächen.
Liest man in der NZZ aber trotzdem "Kickstart für Körper und Seele" und "Poppige Polaroids", hat man mit Sicherheit die Sonderseite "Pop und Jazz" aufgeschlagen, auf der pfiffigere Überschriften erlaubt sind als im betulichen Restfeuilleton.
Die Kritik "Poppige Polaroids" nun, die Sven Ahnert "Endlessly" widmet, dem zweiten Album der Sängerin Duffy, sticht auch durch ein Kunstfoto ins Auge:
Duffy hat sich auf Fliesen niedergelassen und zwar so, dass alle ihre Rundungen - vom kurvigen Fall des blonden Haares über den Lippenschwung ihres leicht geöffneten Mundes bis zur Wölbung ihres engen Rocks - mit "lecker, lecker, lecker" zu kommentieren wären, wenn wir hier Comicsprache sprächen.
"'Sprechen ist für mich wie Spazierengehen, etwas ganz Alltägliches. Wenn ich aber singe, ist das wie Tanzen. Dann fühle ich mich völlig frei'","
hat Duffy zu Sven Ahnert gesagt, als sich beide zum Gespräch trafen. Und nun schreibt der NZZ-Autor über das Album "Endlessly", es sei
""fast wie eine Abfolge nostalgisch gefärbter Polaroids, die das tränenreiche Spiel von Liebe und Geliebtwerden im Spannungsfeld von Disco-Stampf und bluesiger Einkehr kunstvoll festhalten, perfekte Schmachtfetzen mit Herzblut und der unverwechselbaren Stimme von Duffy, die sich ein weiteres Mal den Blues von der Seele singt."
Bevor wir verlässlich zu wichtigen Weltereignissen kommen, eine weitere Stilkritik.
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hat Tobias Kniebe die Giacometti-Ausstellung in Wolfsburg besucht, und er nennt den Künstler, der sich bekanntlich in nagelartig ausgemergelten Figuren ausgedrückt hat, einen "Fakir der Sinnverdichtung".
Der SZ-Autor Kniebe ist also unstrittig wortgewandt. Umso ernüchternder, dass die Unterzeile behauptet, die Wolfsburger Ausstellung zeige, "wie Giacometti-Figuren ihre ganz eigenen Räume schaffen".
"Ganz eigene Räume", "ganz eigene Töne", "ganz eigene Stimmungen" - sind rhetorische Offenbarungseide von Kunstkritikern und Feuilleton-Redakteuren. "Ganz eigen" nennt man etwas, wenn man absolut keinen Plan hat, wie das Eigenartige eines Kunstwerks auszudrücken wäre.
Aber lassen wir die ästhetischen Lappalien - in Korea, Süd- wie Nord-, wird scharf geschossen, die USA senden einen Flugzeugträger ins Krisengebiet, China findet das bedenklich, und überhaupt: Es herrscht "Angst im Gelben Meer".
Unter dieser Überschrift referiert Mark Siemons in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG aktuelle chinesische Pressestimmen.
"'Amerika versucht, die tragische Lage Koreas auszunutzen und den chinesischen Widerspruch in den Wind zu schlagen'","
schrieb laut FAZ die "Global Times", die außenpolitische Zeitung des Kommunistischen Jugendverbands. Und sie pointierte:
""'Die neuesten Manöver erwecken den Eindruck, dass bald ein größerer Konflikt ausbrechen könnte'","
Gott bewahre! möchte man einwenden … nämlich uns und die ganze Welt vor einem Waffengang zwischen der alten und der mutmaßlich kommenden Hypermacht, den USA und China.
Wenn’s aber kracht, dann müsste man davon auch etwas im "Tatort" merken - sofern es nach dem Berliner TAGESSPIEGEL geht. Peter von Becker bemängelt anlässlich des 40-jährigen "Tatort"-Jubiläums: "Die großen Verbrechen und Konflikte bleiben außen vor", beklagt, dass der deutsche TV-Krimi überhaupt "furchtbar clean" sei, und führt zum Beweis an:
""Raucherfinger, schmutzige Nägel hat […] [im deutschen Krimi] allenfalls ein Straßenpenner."
Was ein wirklich lächerliches Argument ist.
Als "Tatort"-Fan outet sich dagegen Dieter Bartetzko. Er dichtet in der FAZ: Der "Tatort", das sei der Ort, "wo wir wissen, wer wir sind".
Liebe Hörer, diese Worte haben alles, was ein Schlusswort braucht - oder etwa nicht?