Von Arno Orzessek
"Die Welt" widmet sich der Frage, warum wir lesen sollen, die "Berliner Zeitung" gratuliert dem Historiker Hans Mommsen und der Berliner "Tagesspiegel" fragt: "Wohin mit den Nazis?".
"Ich will nicht nur mit Büchern glücklich sein, ich will das Ganzkörperglück","
ruft der österreichische Schriftsteller und Essayist Franz Schuh in der Tageszeitung DIE WELT seinem Gegenüber Paul Jandl zu.
Das Gespräch der beiden kreist um das Lesen und die von Roland Barthes einst sogenannte Lust am Text, die Franz Schuh etwas hirngespinstig findet, weil er - wie angedeutet - "die Lust schon lieber im Medium des Körpers" abwickelt.
Jandls erste Frage ist die schwierigste überhaupt: "Herr Schuh, warum sollen wir lesen?"
Und Schuhs Antwort ist die richtigste überhaupt:
""[Weil] man von Geburt an einen Apparat für Fantasie in sich hat, der Sprit braucht. Sprit und Spirit. Man stirbt innerlich, wenn man seine Fantasie nicht beschäftigt."
Der Historiker Hans Mommsen, der nun seinen 80. Geburtstag feiert, ist kein beleibe fantasieloser Mensch, seine Meriten hat er sich indessen mit faktenreichen Werken zum Nationalsozialismus und nicht zuletzt mit der These von Hitler als "schwachem Diktator" erworben.
"Zeitgeschichte ist Streitgeschichte. Für keinen deutschen Historiker gilt diese Devise so sehr wie für Hans Mommsen","
beginnt in der BERLINER ZEITUNG Andreas Mix seine Gratulation …
… und dass er recht hat, zeigt sich in dem Gespräch, das Franziska Augstein in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mit dem Jubilar führt. Lautstark beklagt Mommsen, dass bei der Frage, wie Hitler und der NS-Staat eigentlich möglich gewesen waren, politische Aspekte immer weniger beachtet würden.
""[Die Entpolitisierung liegt] darin, dass man die Ursachen für die innenpolitischen Entscheidungen nicht in der inneren Struktur der NSDAP, der Machtträger und ihrer Rivalitäten sieht, sondern in der Mentalität der Deutschen, sozusagen in einer ideologischen Vorprägung. […] Dann braucht man über die Kräfte des Faschismus und die spezifischen Strukturen nicht mehr nachzudenken, weil sich dann alles aus dem deutschen 19. Jahrhundert ergibt. Das ist die Entpolitisierung. Und das ist meine Kritik an den jungen Kollegen im Fach."
Bis 1945 strukturell braun und zumindest bis vor Kurzem ideologisch teilgebräunt war - wie seit Erscheinen des Buches "Das Amt" die ganze Republik weiß - das Auswärtige Amt.
In der FRANKRUFERT ALLGEMEINEN ZEITUNG erzählt der ehemalige Generalkonsul von Mailand, Manfred Steinkühler, dem Autor Alard von Kittlitz, wie es ihm erging, als er sich weigerte, am Volkstrauertag 1988 auf dem Soldatenfriedhof von Costermano die übliche Totenehre zu erweisen. Steinkühler hatte erfahren, dass zu den Toten SS-Sturmbannführer Christian Wirth gehörte, der Leiter mehrerer Konzentrationslager, der als einer der Erfinder der Gaskammer gilt.
FAZ-Autor von Kittlitz schreibt:
"Was nach Steinkühlers Hinweis an die Zentrale geschah, bezeichnet dieser immer noch als den 'großen Skandal'. 'Ich hatte mit einer direkten, bestätigenden Antwort des Amtes gerechnet: dass der Zustand unhaltbar sei', sagt Steinkühler. […] Doch obwohl bis zum November noch Monate Zeit für eine Lösung gewesen wäre, teilte ihm das Amt mit, er solle sich nicht weiter um [den SS-Mann] Wirth kümmern und wie gehabt vorgehen."
"Schlussstrich drunter!" heißt es auf einem Wahlplakat der FDP.
"'Schluss mit Entnazifizierung Entrechtung Entmündigung Schluss mit dem Staatsbürger 2. Klasse Wer staatsbürgerliche Gleichberechtigung will wählt FDP.'"
Ja, liebe Hörer, Sie haben richtig gehört. Es geht nicht um ein NPD-, sondern um ein FDP-Plakat. Es stammt allerdings aus dem Jahr 1949. Der Berliner TAGESSPIEGEL illustriert damit den Artikel "Wohin mit den Nazis?", in dem der Historiker Ernst Piper noch einmal das Wohlbekannte nachweist: "Kontinuitäten gab es nicht nur im Auswärtigen Amt."
Bevor Sie nun wegen der ganzen braunen Soße die Lust an diesem Text verlieren, liebe Hörer, küren wir zum Abschluss die Überschrift des Tages.
Auf die Shortlist schafften es:
"Das Aha, systematisch betrachtet" - SZ.
"Der Feinstaub des Volkszorns" - FAZ.
Und wegen der klassischen Alliteration: "Lenin, Lumumba und Landwirtschaft" - NZZ.
Gewonnen aber hat eine echt optimistische Überschrift aus dem TAGESSPIEGEL:
"Mit 98 hat man noch Träume"
ruft der österreichische Schriftsteller und Essayist Franz Schuh in der Tageszeitung DIE WELT seinem Gegenüber Paul Jandl zu.
Das Gespräch der beiden kreist um das Lesen und die von Roland Barthes einst sogenannte Lust am Text, die Franz Schuh etwas hirngespinstig findet, weil er - wie angedeutet - "die Lust schon lieber im Medium des Körpers" abwickelt.
Jandls erste Frage ist die schwierigste überhaupt: "Herr Schuh, warum sollen wir lesen?"
Und Schuhs Antwort ist die richtigste überhaupt:
""[Weil] man von Geburt an einen Apparat für Fantasie in sich hat, der Sprit braucht. Sprit und Spirit. Man stirbt innerlich, wenn man seine Fantasie nicht beschäftigt."
Der Historiker Hans Mommsen, der nun seinen 80. Geburtstag feiert, ist kein beleibe fantasieloser Mensch, seine Meriten hat er sich indessen mit faktenreichen Werken zum Nationalsozialismus und nicht zuletzt mit der These von Hitler als "schwachem Diktator" erworben.
"Zeitgeschichte ist Streitgeschichte. Für keinen deutschen Historiker gilt diese Devise so sehr wie für Hans Mommsen","
beginnt in der BERLINER ZEITUNG Andreas Mix seine Gratulation …
… und dass er recht hat, zeigt sich in dem Gespräch, das Franziska Augstein in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mit dem Jubilar führt. Lautstark beklagt Mommsen, dass bei der Frage, wie Hitler und der NS-Staat eigentlich möglich gewesen waren, politische Aspekte immer weniger beachtet würden.
""[Die Entpolitisierung liegt] darin, dass man die Ursachen für die innenpolitischen Entscheidungen nicht in der inneren Struktur der NSDAP, der Machtträger und ihrer Rivalitäten sieht, sondern in der Mentalität der Deutschen, sozusagen in einer ideologischen Vorprägung. […] Dann braucht man über die Kräfte des Faschismus und die spezifischen Strukturen nicht mehr nachzudenken, weil sich dann alles aus dem deutschen 19. Jahrhundert ergibt. Das ist die Entpolitisierung. Und das ist meine Kritik an den jungen Kollegen im Fach."
Bis 1945 strukturell braun und zumindest bis vor Kurzem ideologisch teilgebräunt war - wie seit Erscheinen des Buches "Das Amt" die ganze Republik weiß - das Auswärtige Amt.
In der FRANKRUFERT ALLGEMEINEN ZEITUNG erzählt der ehemalige Generalkonsul von Mailand, Manfred Steinkühler, dem Autor Alard von Kittlitz, wie es ihm erging, als er sich weigerte, am Volkstrauertag 1988 auf dem Soldatenfriedhof von Costermano die übliche Totenehre zu erweisen. Steinkühler hatte erfahren, dass zu den Toten SS-Sturmbannführer Christian Wirth gehörte, der Leiter mehrerer Konzentrationslager, der als einer der Erfinder der Gaskammer gilt.
FAZ-Autor von Kittlitz schreibt:
"Was nach Steinkühlers Hinweis an die Zentrale geschah, bezeichnet dieser immer noch als den 'großen Skandal'. 'Ich hatte mit einer direkten, bestätigenden Antwort des Amtes gerechnet: dass der Zustand unhaltbar sei', sagt Steinkühler. […] Doch obwohl bis zum November noch Monate Zeit für eine Lösung gewesen wäre, teilte ihm das Amt mit, er solle sich nicht weiter um [den SS-Mann] Wirth kümmern und wie gehabt vorgehen."
"Schlussstrich drunter!" heißt es auf einem Wahlplakat der FDP.
"'Schluss mit Entnazifizierung Entrechtung Entmündigung Schluss mit dem Staatsbürger 2. Klasse Wer staatsbürgerliche Gleichberechtigung will wählt FDP.'"
Ja, liebe Hörer, Sie haben richtig gehört. Es geht nicht um ein NPD-, sondern um ein FDP-Plakat. Es stammt allerdings aus dem Jahr 1949. Der Berliner TAGESSPIEGEL illustriert damit den Artikel "Wohin mit den Nazis?", in dem der Historiker Ernst Piper noch einmal das Wohlbekannte nachweist: "Kontinuitäten gab es nicht nur im Auswärtigen Amt."
Bevor Sie nun wegen der ganzen braunen Soße die Lust an diesem Text verlieren, liebe Hörer, küren wir zum Abschluss die Überschrift des Tages.
Auf die Shortlist schafften es:
"Das Aha, systematisch betrachtet" - SZ.
"Der Feinstaub des Volkszorns" - FAZ.
Und wegen der klassischen Alliteration: "Lenin, Lumumba und Landwirtschaft" - NZZ.
Gewonnen aber hat eine echt optimistische Überschrift aus dem TAGESSPIEGEL:
"Mit 98 hat man noch Träume"