Von Arno Orzessek
Das literarische Argentinien beschäftigt die Feuilletons, zumal das lateinamerikanische Land Ehrengast der Buchmesse ist. Die Taz schreibt einen Nachruf auf MTV und die FAZ bespricht das 31. Buch von Philip Roth.
Argentinien ist das Gastland auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, weshalb unsere Kulturpresseschau in Buenos Aires an der Calle Bolívar beginnt, an einem Ort namens "El Rufián Melancólico", was so viel heißt wie "der melancholische Ganove":
"Gibt es solche Orte wirklich, oder kommen sie nur in Büchern vor? Wo der Koran auf Italienisch neben einem deutschen 'Leitfaden für die Abrichtung des Hundes' und dem 'Griechisch-Argentinischen Vokabularium' steht, wo eine 'Geschichte der jüdischen Prostitution in Amerika' zusammen mit Michel Foucault auf Spanisch, Fidel Castros Reden und einem Bildband über peruanische Architektur im Schaufenster liegt – ist das Wirklichkeit? Oder hat sich ein Schriftsteller dieses wunderliche Universum verworrener Vielfalt und verstaubter Ordnungslosigkeit nur ausgedacht?"
Das fragt Wolfgang Kunath in der FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Wer nun denkt "Gleich kommt bestimmt wieder dieser Topos", der liegt ganz richtig. Tatsächlich erwähnt Kunath die heilige Dreieinigkeit von Buenos Aires, den Büchern und Jorge Luis Borges:
"Das Universum als unendliche Bibliothek, die Suche nach dem Katalog der Kataloge, Gott als zyklisches Buch: Nein, es kann kein Zufall sein, dass Buenos Aires die Geburtsstadt von Jorge Luis Borges ist, der sich solche Visionen unendlichen Bildungsgutes ausmalte. Jetzt, ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, verkörpert der blinde Dichter mehr denn je das literarische Buenos Aires."
Bemerkenswert nun, dass die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG das Gegenteil behauptet.
"Borges ist vom Sockel gestoßen, und das hat nicht nur mit seiner Unzugänglichkeit zu tun, sondern auch mit seiner Parteinahme für den Militärputsch von 1976."
- erklärt SZ-Autor Schoepp und zitiert den argentinischen Schriftsteller Marcelo Birmajer, der gespottet hat: " [Borges'] Erzähltalent hinkt seiner Intelligenz hinterher"."
Noch stärker als mit Argentinien beschäftigen sich die Feuilletons mit den USA.
"USA – das neue Rom?" betitelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG die Besprechung von American Caesars – ein Werk, in dem der Historiker Nigel Hamilton die Vorgänger von US-Präsident Barack Obama mit römischen Kaisern vergleicht.
NZZ-Autor Ronald D. Gerste lobt Hamiltons Buch und rückt auch Obamas künftige Referenzen in den Horizont des antiken Roms:
"War [Obama] ein Vespasian, der nach neronischem Wahn die Weltmacht behutsam in die Normalität zurückführte? Oder eher einer der späteren Cäsaren, einer der Vergessenen, denen das Imperium und mit ihm die Hoffnung der Welt aus den Händen glitt?"
Die NZZ-Kritik von American Caesars klingt so, als würde bei der Lektüre klassische Bildung nützlich sein – was mit Blick auf den Konsum von MTV nicht gesagt werden kann.
Andererseits überschreibt die TAGESZEITUNG ihren Nachruf auf den Musiksender, der nun im Bezahlfernsehen verschwindet, "Sic transit gloria MTV" - eine bildungsbeflissene Anspielung auf die Formel "Sic transit gloria mundi" - "so vergeht der Ruhm der Welt" – aus der Ernennungszeremonie für neue Päpste.
"MTV, das war Amerika, als die Vereinigten Staaten dem Rest der Welt noch um Jahre voraus waren. Wer oder was da drüben groß rauskam, der oder das kam ungefähr sieben Jahre später auch bei uns groß raus. So war es auch bei MTV"
Damit erinnert die TAZ an die großen Zeiten des Musikkanals - aber auch daran, wie sie vergingen:
"Zuletzt erfuhr man von MTV eigentlich gar nichts mehr über Musik, sondern nur über Mittel gegen Pickel und Pickel machende Reality-Formate."
Aufs Lateinische ist die TAZ gekommen, aufs Griechische der US-Schriftsteller Philip Roth. "Der ewige Nobelpreiskandidat", wie ihn die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG nennt, hat seinen neuen Roman nach der antiken Rachegöttin Nemesis genannt - und der FAZ-Autor Jordan Mejias fasst die Aussage so zusammen:
"Der Mensch, egal, wie rechtschaffen in seinem Streben, wird in die Niederlage verstrickt."
Taufrisch klingt diese Erkenntnis nicht - aber will man Philip Roth deshalb schelten? Nemesis ist sein 31. Buch. Übermäßige Originalität würde uns irritieren - und wohl auch Jordan Mejias. Er widmet Roth ein Lob so funkelnd und grau wie der Herbst:
"Gloriose Tristesse."
"Gibt es solche Orte wirklich, oder kommen sie nur in Büchern vor? Wo der Koran auf Italienisch neben einem deutschen 'Leitfaden für die Abrichtung des Hundes' und dem 'Griechisch-Argentinischen Vokabularium' steht, wo eine 'Geschichte der jüdischen Prostitution in Amerika' zusammen mit Michel Foucault auf Spanisch, Fidel Castros Reden und einem Bildband über peruanische Architektur im Schaufenster liegt – ist das Wirklichkeit? Oder hat sich ein Schriftsteller dieses wunderliche Universum verworrener Vielfalt und verstaubter Ordnungslosigkeit nur ausgedacht?"
Das fragt Wolfgang Kunath in der FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Wer nun denkt "Gleich kommt bestimmt wieder dieser Topos", der liegt ganz richtig. Tatsächlich erwähnt Kunath die heilige Dreieinigkeit von Buenos Aires, den Büchern und Jorge Luis Borges:
"Das Universum als unendliche Bibliothek, die Suche nach dem Katalog der Kataloge, Gott als zyklisches Buch: Nein, es kann kein Zufall sein, dass Buenos Aires die Geburtsstadt von Jorge Luis Borges ist, der sich solche Visionen unendlichen Bildungsgutes ausmalte. Jetzt, ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, verkörpert der blinde Dichter mehr denn je das literarische Buenos Aires."
Bemerkenswert nun, dass die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG das Gegenteil behauptet.
"Borges ist vom Sockel gestoßen, und das hat nicht nur mit seiner Unzugänglichkeit zu tun, sondern auch mit seiner Parteinahme für den Militärputsch von 1976."
- erklärt SZ-Autor Schoepp und zitiert den argentinischen Schriftsteller Marcelo Birmajer, der gespottet hat: " [Borges'] Erzähltalent hinkt seiner Intelligenz hinterher"."
Noch stärker als mit Argentinien beschäftigen sich die Feuilletons mit den USA.
"USA – das neue Rom?" betitelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG die Besprechung von American Caesars – ein Werk, in dem der Historiker Nigel Hamilton die Vorgänger von US-Präsident Barack Obama mit römischen Kaisern vergleicht.
NZZ-Autor Ronald D. Gerste lobt Hamiltons Buch und rückt auch Obamas künftige Referenzen in den Horizont des antiken Roms:
"War [Obama] ein Vespasian, der nach neronischem Wahn die Weltmacht behutsam in die Normalität zurückführte? Oder eher einer der späteren Cäsaren, einer der Vergessenen, denen das Imperium und mit ihm die Hoffnung der Welt aus den Händen glitt?"
Die NZZ-Kritik von American Caesars klingt so, als würde bei der Lektüre klassische Bildung nützlich sein – was mit Blick auf den Konsum von MTV nicht gesagt werden kann.
Andererseits überschreibt die TAGESZEITUNG ihren Nachruf auf den Musiksender, der nun im Bezahlfernsehen verschwindet, "Sic transit gloria MTV" - eine bildungsbeflissene Anspielung auf die Formel "Sic transit gloria mundi" - "so vergeht der Ruhm der Welt" – aus der Ernennungszeremonie für neue Päpste.
"MTV, das war Amerika, als die Vereinigten Staaten dem Rest der Welt noch um Jahre voraus waren. Wer oder was da drüben groß rauskam, der oder das kam ungefähr sieben Jahre später auch bei uns groß raus. So war es auch bei MTV"
Damit erinnert die TAZ an die großen Zeiten des Musikkanals - aber auch daran, wie sie vergingen:
"Zuletzt erfuhr man von MTV eigentlich gar nichts mehr über Musik, sondern nur über Mittel gegen Pickel und Pickel machende Reality-Formate."
Aufs Lateinische ist die TAZ gekommen, aufs Griechische der US-Schriftsteller Philip Roth. "Der ewige Nobelpreiskandidat", wie ihn die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG nennt, hat seinen neuen Roman nach der antiken Rachegöttin Nemesis genannt - und der FAZ-Autor Jordan Mejias fasst die Aussage so zusammen:
"Der Mensch, egal, wie rechtschaffen in seinem Streben, wird in die Niederlage verstrickt."
Taufrisch klingt diese Erkenntnis nicht - aber will man Philip Roth deshalb schelten? Nemesis ist sein 31. Buch. Übermäßige Originalität würde uns irritieren - und wohl auch Jordan Mejias. Er widmet Roth ein Lob so funkelnd und grau wie der Herbst:
"Gloriose Tristesse."