Von Arno Orzessek
Die Feuilletons beschäftigen sich einmal mehr mit Thilo Superstar Sarrazin, aber auch mit einem Besuch im sogenannten Problembezirk Neukölln in Berlin.
Zunächst ein Personenrätsel.
Der Gesuchte hat es mal wieder geschafft. Sein Auftritt in München ist dem Feuilleton der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den Aufmacher wert. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG degradiert die 33.000 Zeichen umfassende Nachbesprechung seines Buchs mit dem Gesprächspartner Frank Schirrmacher das restliche Feuilleton zum Beiwerk.
Allerdings hat er nichts Neues zu sagen. Und es gibt auch über ihn wenig Neuigkeiten, außer, dass das Münchener Bürgertum ihn offenbar noch stärker verehrt als Teile des deutschen Groß-, Klein- und Spießbürgertum ohnehin.
Wer also ist der Gesuchte? Richtig! Es ist Thilo Superstar Sarrazin, dessen Werk "Deutschland schafft sich ab" laut Frank Schirrmacher, der sich ja selten unterhalb des Epochalen tummelt, drauf und dran ist, "eines der erfolgreichsten politischen Sachbücher seit 1945" zu werden.
Am Ende, als die FAZ-Unterredung um die mangelhafte Fortpflanzungslust der Deutschen kreist, fordert Schirrmacher Sarrazin als Seher heraus. Der Publizist soll weissagen, wie sich das "psychopathologische […] Verhaltensmuster" einer, in diesem Falle: unserer alternden Gesellschaft ändert.
"Je älter man wird, desto kürzer erscheint einem die Zukunft. Und wenn man kinderlos alt wird und also auch keine Enkel hat, dann erscheint die Zukunft unbedeutend. Die wachsende Zahl der Alten wird das Bewusstsein der Gesellschaft prägen, und zwar nicht zum Positiven","
prophezeit Thilo Sarrazin in der FAZ …
… und anstatt herumzublödeln, dass all die kleinen Kopftuchmädchen türkischer Gemüsehändler dem deutschen Mangel an Jugend doch abhelfen werden, geben wir zu, dass uns die Vision von der unbedeutenden Zukunft philosophisch anspricht.
Nicht bloß angesprochen, sondern fanatisch begeistert von Sarrazin zeigte sich laut SZ das eher feine Münchener Publikum im Literaturhaus, wo der Bestseller-Autor mit dem "Handelsblatt"-Chefredakteur Gabor Steingart und dem Soziologen Armin Nassehin diskutieren sollte – es aber nicht tat.
""Sarrazin […] wurde […] durch seine Fans im Saal so euphorisiert, dass er seine beiden Kritiker auf dem Podium einfach nur anpampte, gewürzt mit einer gehörigen Prise Selbstgerechtigkeit. Keinen einzigen Fehler hätten sie ihm nachweisen können (obwohl sie genau das getan hatten), behauptete Sarrazin und attestierte Steingart 'krassen Unfug’ zu reden, während er Nassehin vorhielt: 'Da haben Sie einfach nur Albernheiten aus dem Feuilleton vorgetragen’."
So der Stimmungsbericht von Peter Fahrenholz im SZ-Feuilleton.
Für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG hat Sieglinde Geisel den Berliner Stadtteil besucht, der bei Sarrazin und anderen als das Sodom und Gomorra der gescheiterten Integration firmiert – nämlich Neukölln …
… wo übrigens mehr als 300.000 Individuen leben, darunter einige, die weder Burka tragen noch Ehrenmorde planen.
In Neukölln also sind, wie die NZZ berichtet, "Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund" unterwegs, um die Kommunikation zwischen Schule und fremdsprachigen Elternhäusern zu beleben – und zwar schon seit Jahren und mit Erfolg. Doch Nachahmer gäbe es kaum, stets fehle es an Geld.
"Die unspektakuläre Kleinarbeit im Alltag der Integration","
[schreibt Sieglinde Geisel]
""hat angesichts der überbordenden Einwanderungsdebatten kaum Chancen, von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. […] Dabei braucht es weder viel Mathematik noch Phantasie, um sich auszurechnen, dass die interkulturelle Moderation langfristig mehr Geld spart, als sie kostet – ganz abgesehen vom besseren gesellschaftlichen Klima und von den größeren Erfolgschancen von Einwanderern, die nun einmal hier aufwachsen müssen."
Wer beides kennt, die Einwanderungs-Debatten und die Straßen von Neu¬kölln, wird der NZZ-Autorin Sieglinde Geisel zustimmen. Im Übrigen beglückwünschen wir sie zu der Formulierung "Kleinarbeit im Alltag der Integration". Nicht auszuschließen, dass diese Kleinarbeit mehr bewirkt als die intellektuelle Großarbeit im Feuilleton, oder?
Aber keine Sorge, liebe Hörer: Auch in Zukunft werden Sie dieser Stelle nicht mit Sozialarbeiter-News, sondern verlässlich mit dem Neuesten aus dem Überbau versorgt.
Der Gesuchte hat es mal wieder geschafft. Sein Auftritt in München ist dem Feuilleton der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den Aufmacher wert. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG degradiert die 33.000 Zeichen umfassende Nachbesprechung seines Buchs mit dem Gesprächspartner Frank Schirrmacher das restliche Feuilleton zum Beiwerk.
Allerdings hat er nichts Neues zu sagen. Und es gibt auch über ihn wenig Neuigkeiten, außer, dass das Münchener Bürgertum ihn offenbar noch stärker verehrt als Teile des deutschen Groß-, Klein- und Spießbürgertum ohnehin.
Wer also ist der Gesuchte? Richtig! Es ist Thilo Superstar Sarrazin, dessen Werk "Deutschland schafft sich ab" laut Frank Schirrmacher, der sich ja selten unterhalb des Epochalen tummelt, drauf und dran ist, "eines der erfolgreichsten politischen Sachbücher seit 1945" zu werden.
Am Ende, als die FAZ-Unterredung um die mangelhafte Fortpflanzungslust der Deutschen kreist, fordert Schirrmacher Sarrazin als Seher heraus. Der Publizist soll weissagen, wie sich das "psychopathologische […] Verhaltensmuster" einer, in diesem Falle: unserer alternden Gesellschaft ändert.
"Je älter man wird, desto kürzer erscheint einem die Zukunft. Und wenn man kinderlos alt wird und also auch keine Enkel hat, dann erscheint die Zukunft unbedeutend. Die wachsende Zahl der Alten wird das Bewusstsein der Gesellschaft prägen, und zwar nicht zum Positiven","
prophezeit Thilo Sarrazin in der FAZ …
… und anstatt herumzublödeln, dass all die kleinen Kopftuchmädchen türkischer Gemüsehändler dem deutschen Mangel an Jugend doch abhelfen werden, geben wir zu, dass uns die Vision von der unbedeutenden Zukunft philosophisch anspricht.
Nicht bloß angesprochen, sondern fanatisch begeistert von Sarrazin zeigte sich laut SZ das eher feine Münchener Publikum im Literaturhaus, wo der Bestseller-Autor mit dem "Handelsblatt"-Chefredakteur Gabor Steingart und dem Soziologen Armin Nassehin diskutieren sollte – es aber nicht tat.
""Sarrazin […] wurde […] durch seine Fans im Saal so euphorisiert, dass er seine beiden Kritiker auf dem Podium einfach nur anpampte, gewürzt mit einer gehörigen Prise Selbstgerechtigkeit. Keinen einzigen Fehler hätten sie ihm nachweisen können (obwohl sie genau das getan hatten), behauptete Sarrazin und attestierte Steingart 'krassen Unfug’ zu reden, während er Nassehin vorhielt: 'Da haben Sie einfach nur Albernheiten aus dem Feuilleton vorgetragen’."
So der Stimmungsbericht von Peter Fahrenholz im SZ-Feuilleton.
Für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG hat Sieglinde Geisel den Berliner Stadtteil besucht, der bei Sarrazin und anderen als das Sodom und Gomorra der gescheiterten Integration firmiert – nämlich Neukölln …
… wo übrigens mehr als 300.000 Individuen leben, darunter einige, die weder Burka tragen noch Ehrenmorde planen.
In Neukölln also sind, wie die NZZ berichtet, "Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund" unterwegs, um die Kommunikation zwischen Schule und fremdsprachigen Elternhäusern zu beleben – und zwar schon seit Jahren und mit Erfolg. Doch Nachahmer gäbe es kaum, stets fehle es an Geld.
"Die unspektakuläre Kleinarbeit im Alltag der Integration","
[schreibt Sieglinde Geisel]
""hat angesichts der überbordenden Einwanderungsdebatten kaum Chancen, von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. […] Dabei braucht es weder viel Mathematik noch Phantasie, um sich auszurechnen, dass die interkulturelle Moderation langfristig mehr Geld spart, als sie kostet – ganz abgesehen vom besseren gesellschaftlichen Klima und von den größeren Erfolgschancen von Einwanderern, die nun einmal hier aufwachsen müssen."
Wer beides kennt, die Einwanderungs-Debatten und die Straßen von Neu¬kölln, wird der NZZ-Autorin Sieglinde Geisel zustimmen. Im Übrigen beglückwünschen wir sie zu der Formulierung "Kleinarbeit im Alltag der Integration". Nicht auszuschließen, dass diese Kleinarbeit mehr bewirkt als die intellektuelle Großarbeit im Feuilleton, oder?
Aber keine Sorge, liebe Hörer: Auch in Zukunft werden Sie dieser Stelle nicht mit Sozialarbeiter-News, sondern verlässlich mit dem Neuesten aus dem Überbau versorgt.