Von Arno Orzessek

Die Feuilletons gedachten in dieser Woche des 150. Todestags Arthur Schopenhauers. Weitere Themen: Das Berliner Musikfest mit Boulez-Schwerpunkt, Alice Schwarzers Anti-Islam-Pamphlet und Oskar Roehlers Film "Jud Süß - Film ohne Gewissen".
"Jede Nation spottet über die andere, und alle haben Recht", behauptete einst der große Zeitungsleser und Journalisten-Verächter Arthur Schopenhauer, dessen 150. Todestag in die vergangene Woche fiel.

In deren Verlauf wiederum spottete Ulrich Schmid in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG auf einer ganzen Seite über Deutschland generell und die hiesigen Medien im Besonderen.

"Deutschland ist das Land der medialen Dauererregung schlechthin. In keinem anderen Staat, die USA inbegriffen, ist der Unterschied zwischen der niederschmetternden Durchschnittlichkeit politischer Ereignisse und ihrer medialen Vermarktung so groß. Mediale Hyperventilation ist Dauerzustand"," hämte der NZZ-Autor Ulrich Schmid.

Wer sich nun solche Invektiven – zumal aus der Schweiz – kurzerhand verbitten will, darf auf die Zustimmung Schopenhauers nicht rechnen. Denn merke:

""Die Freunde nennen sich aufrichtig; die Feinde sind es: daher man ihren Tadel zur Selbsterkenntniß nutzen sollte, als eine bittere Medizin."

Natürlich hat sich Schopenhauer, der mit beträchtlichen Teilen seiner Mitwelt verfeindet war, selten an seine eigene Maxime gehalten. Lieber hat er die Feinde, die wenigen echten und die vielen vermeintlichen, intellektuell denunziert.

Vergangene Woche indessen hätte sich Schopenhauer über neue Feindschaften kaum freuen können: Freundlich gedachte man seines Todestages.

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wandte sich Manfred Geyer mit der Überschrift – "Der lachende Philosoph" – gegen das nicht ganz falsche Griesgram-Klischee und erinnerte an Schopenhauers Philosophie des Lächerlichen.

"Unter anderem erzählte [Schopenhauer] die Geschichte eines Individuums, das geäußert hatte, dass es gern allein spazieren ginge, worauf ein Österreicher zu ihm sagte: 'Sie gehen gern allein spazieren; ich halt auch: da können wir zusammen gehen.'"

In der FRANKFURTER RUNDSCHAU erläuterte Otto A. Böhmer Schopenhauers "Erfindung der Altersweisheit", über die er – Böhmer – praktischerweise gerade ein Buch verfasst hat. In dem an Schopenhauer-Prunkzitaten reichen FR-Text ragte dieses heraus:

"Wir schaudern vor dem Tode vielleicht hauptsächlich, weil er dasteht als die Finsternis, aus der wir einst hervorgetreten und in die wir nun zurück sollen. Aber ich glaube, dass, wenn der Tod unsere Augen schließt, wir in einem Licht stehn, von welchem unser Sonnenlicht nur der Schatten ist."

Um noch länger im Club der toten Dichter und Denker zu verweilen: Viel Aufmerksamkeit wurde Walter Benjamin zuteil, genauer gesagt der Tatsache, dass 70 Jahre nach seinem Tod nun die Rechte am Werk, die bisher der Suhrkamp Verlag hielt, frei werden.

In der Tageszeitung DIE WELT mokierte sich der Schriftsteller Stephan Wackwitz über die vielen "Heiligenlegenden" und forderte:

"Man muss Walter Benjamin studieren und verehren als den dritten und vielleicht originellsten Kopf in einer Dreifaltigkeit literarischer Größe der zwanziger Jahre: Man muss ihn neben Kafka und Robert Walser stellen. Und damit aufhören, aus seinen verzwickt geistvollen, aber fast durchgehend falschen Theorien den verschwiemelten Theoriequark anzurühren, als dessen Zutatenlieferant er immer noch herhalten muss."

Insgesamt erreichte der feuilletonistische Zank in der vergangen Woche kein Allzeit-Hoch. Aber ein paar Leckerbissen wurden geboten.

Der oft langweilig räsonierende Patrick Bahners ging in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG auf Alice Schwarzer los, als habe er zu viel Schopenhauer gelesen.

"Der antiliberale Geist des jakobinischen Feminismus manifestiert sich bei Alice Schwarzer auch im Stil. Ständig begegnet die islamkritische Standardwendung von der falschen oder falsch verstandenen Toleranz. Das eigene Verständnis ist natürlich das richtige. Fremd ist diesem fanatischen Rationalismus, dass zur Meinungsfreiheit das Experimentieren gehört, dass sich oft erst aus der Debatte, im Zuge von Rechtsstreitigkeiten und in der Praxis herausstellt, was eine freie Gesellschaft dulden kann und will", "

schrieb Patrick Bahners Alice Schwarzer hinter die Ohren.

Das Berliner Musikfest samt Pierre-Boulez-Schwerpunkt war womöglich das Highlight in der Sparte E-Musik. Die Aufführung eines Boulez-Stücks für zwei Klaviere, das er eigentlich "im Verdacht einer Sättigungsbeilage zu den großformatigen Orchesterstücken gehabt hatte", bedachte Jörg Königsdorf im Berliner TAGESSPIEGEL mit enthusiastischem Beifall:

""Aus dem Bassregister seines Flügels holt Vichard immer wieder die blockhaft kantigen, schroffen Akkorde, die abweisend, zornig und verzweifelt zugleich klingen – jenes Wüten gegen die eigene Einsamkeit, das als emotionaler Grundton die beiden ersten Klaviersonaten durchzieht. Aber dann öffnet sich in den leuchtenden Diskantfarben, die Hidéko Nagano beisteuert, der Raum zum schönen Klang, zur heilen musikalischen Welt jenseits aller selbstquälerischen Seelennöte."

Durchgefallen hingegen: der Film der Woche - falls es denn Oskar Roehlers "Jud Süß – Film ohne Gewissen" war, ein Werk, das Veit Harlans antisemitischen Hetzstreifen Jud Süß von 1940 dekonstruieren will.

""Roehler selbst war verdutzt, wie wenig schockierend und aggressiv, wie 'normal' ihm Harlans Film eigentlich vorkam – aber statt diese Biederkeit näher zu erforschen, hat er lieber auf dem Lehrstück der Verführbarkeit und des Schmierenkomödiantentums beharrt. Wie die Hetze konkret funktionierte, in welchen emotionalen und psychischen Prozessen, bleibt ungeklärt. Es steckt eine Subversion in dem Film Harlans, die immer erstaunlicher wird, je öfter man ihn sieht","

schrieb Fritz Göttler in der SZ und vergaß nicht zu erwähnen, dass Harlans Machwerk hierzulande nur aufgeführt werden darf, wenn – wie etwa in Seminaren – die historische Aufklärung gleich mitgeliefert wird.

Am Ende einer Woche wie der vergangenen soll das letzte Wort, na klar, Arthur Schopenhauer bleiben. Unseres Wissens wurde das Gebet eines Skeptikers nirgends zitiert – hiermit sei es nachgeholt:

"Gott, - wenn du bist, - errette aus dem Grabe
Meine Seele, - wenn ich eine habe."