Von Arno Orzessek

Die Feuilletons besprechen Kai Schlüters Buch "Günter Grass im Visier". "Die Welt" interviewt den Sozialwissenschaftler Andreas Heilmann zum Thema "Wege aus der Krise der Männlichkeit."
"Weniger John Wayne, mehr Wowereit!", heißt in der Tageszeitung "DIE WELT" eine seltsame Überschrift, die uns nachher als Schlusssatz dienen wird.

Für den Augenblick jedoch zu "Günter Grass im Visier", dem Buch, in dem Kai Schlüter ein Best-of aus der rund 2200-seitigen Stasi-Akte des Nobelpreisträgers präsentiert.

"GRASS ist ein Mensch ohne jede feste politische Einstellung und Haltung. Er schießt praktisch nach beiden Seiten und kommt sich dabei sehr imposant vor. Er möchte als ein Freiheitsapostel erscheinen."

Das äußerte 1961 der später als IM "Martin" entlarvte Schriftsteller Hermann Kant – der nun in der "SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG" von Jens Bisky zitiert wird.

Bisky rückte Grass nach der Akten-Lektüre in ein günstiges Licht.

"Da er die Einheit, wie Kohl sie wollte, maßlos scharf kritisierte, da er die DDR eine 'kommode Diktatur' nannte, wurde er als Verharmloser attackiert. Seine Stasi-Akte aber zeigt: Nur wenige haben mehr dafür getan, das deutsch-deutsche Gespräch am Leben zu erhalten, als Günter Grass","

zollt "SZ"-Autor Bisky Anerkennung.

In der "BERLINER ZEITUNG" amüsiert sich Sabine Vogel über den "respekteinflößenden Decknamen", den ein Stasi-Spitzel für Günter Grass verwandt hat – nämlich "Bolzen" –, findet aber am Stasi-Sprech ansonsten wenig Erheiterndes:

""Die Ergebnisse dieser totalen Observation sind erschreckend belanglos, nichtig, nachgerade lächerlich und banal. Selten gelingen der 'einebnenden Stasi-Prosa' [wie] (Volker Braun) [sie genannt hat], so unfreiwillig lyrische Alltagsbeobachtungen wie: 'Grass und seine Ehefrau waren im Beobachtungszeitraum sauber und ordentlich gekleidet' oder (auf Hiddensee): 'Tagsüber hat G. Strandgut und zerzauste Bäume gemalt.'"

"DIE WELT" druckt neben einer Besprechung von Schlüters Buch auch den Brief ab, den Grass 2002 an die damalige Chefin der Stasi-Unterlagen-Behörde, Marianne Birthler, geschickt hat. Darin stellte Grass alles, was an seiner Akte zeithistorisch relevant ist, der Wissenschaft zur Verfügung, alles andere aber ausdrücklich nicht:

"Ich [sehe] [ ... ] keinen Grund, Menschen im Nachhinein zu belangen, gar anzuklagen, die während des genannten Zeitraums meinten, mich bespitzeln zu müssen. Im Gegenteil: Wenn es irgend geht, möchte ich sie vor öffentlicher Bloßstellung schützen. [ ... ] Bitte, keine späte Rache."

So Günter Grass 2002 – Jahre, bevor er selbst der Rache derer anheimfiel, die ihm das jahrzehntelange Beschweigen seiner SS-Mitgliedschaft nicht nachsehen wollten. –

Tja, heute läuft es wohl auf eine monothematische Presseschau hinaus. Aber was der west-östliche Gerechtigkeitsfanatiker Arno Widmann in der "FRANKFURTER RUNDSCHAU" schreibt, darf hier einfach nicht fehlen:

"Es ist unvorstellbar, dass der von Ludwig Erhard 1965 als einer der Schmutzfinken und Pinscher bezeichnete, von Franz Josef Strauß 1978 zu den Ratten und Schmeißfliegen gezählte Günter Grass von westdeutschen Behörden völlig UNObserviert gewesen sein soll. In Berlin soll ihn während des Vietnamkrieges der US-Geheimdienst unbespitzelt gelassen haben?"

Ach, Arno! will man "FR"-Autor Widmann zurufen. Dieses Mal geht es um die Stasi, um die DDR, um die Ost-Sünden. Und nicht um die westliche Selbstgerechtigkeit. Man sollte doch, bitte schön, nicht immer alles mit allem verquirlen.

Zurück zum Anfang: zur Geschlechtspolitik. Sebastian Seidler hat für "DIE WELT" mit dem Sozialwissenschaftler Andreas Heilmann gesprochen, und zwar "über Wege aus der Krise der Männlichkeit."

"Ich bin überzeugt [bemerkt Heilmann], dass John Wayne jenes enge Männlichkeitskorsett verkörpert, das die Ursache für das Leiden vieler Männer bildet. Ein Zurück zur alten Männerherrlichkeit kann und wird es nicht geben."

Uns belustigt das "Männlichkeitskorsett". Doch ansonsten kämpft Andreas Heilmann mit ältlichen Macho-Schimären. Seine Parole – "Weniger John Wayne, mehr Wowereit!" – zielt zu kurz.