Von Arno Orzessek

Die FAZ lobt "ZDF neo", den neuen digitalen Kanal des ZDF, als innovativ. Der Schriftsteller Reinhard Jirgl ätzt in der FR gegen die Heroisierung der Ereignisse vom 9.November 2009. Ebenfalls in der FR findet sich ein Nachruf auf Claude Lévi-Strauss.
Der Herbst bedeckt das Ganze Land mit humorlosem November. Machen wir es uns darum gemütlich und sehen zunächst ein bisschen fern.

Das tun die Feuilletonisten nämlich auch – tun sie ja immer häufiger, als ob der Abend noch der beflissensten Kulturmenschen dem Glotzen gehört.

Um nicht mit Johannes B. Kerner zu beginnen – was wir ungern täten, sahen wir Kerner doch durch seinen Wechsel ins Privatfernsehen schon für außer Sicht geschafft –, beginnen wir mit der Lobrede der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG auf den neuen Kanal "ZDF neo", der seit vergangenen Sonntag im Senderreigen mitflimmert.

"Mit 'ZDF neo' zeigt das Zweite Deutsche Fernsehen, was ein mit Gebühren finanzierter Sender zu leisten imstande ist: Er zeigt innovative Serien, anspruchsvolle Spielfilme und unorthodoxe Dokumentationen. Mit ein bisschen bösen Willen könnte man sagen: 'ZDF neo' hat alles, wodurch sich das Hauptprogramm des ZDF gerade nicht auszeichnet.""

So FAZ-Autor Michael Hanfeld, der sein Resümee bereits im zweiten Satz unterbringt:

"Die 60 Prozent der Zuschauer, die "ZDF Neo" – noch – nicht empfangen können, müssen einem wirklich leid tun."

Folgt man der Tageszeitung DIE WELT, könnte bis zur flächendeckenden Verbreitung von "ZDF Neo" die Sendung "Kerner" von Johannes B. bei Sat.1 eine gewisse Ablenkung bieten.

WELT-Autorin Antje Hildebrandt urteilt nach Besichtigung der ersten Folge:

"In seiner ZDF-Show war Bruder Johannes eher so etwas wie ein fleischgewordener Beichtstuhl. Nun erlebte ihn das Publikum von einer neuen Seite. Engagiert in der Sache, neugierig, zugewandt – und nervös vor Lampenfieber, was ihn beinahe sympathisch machte."
Soweit für heute die leichte Muse Fernsehen.

Wir steigern das Niveau erheblich und kommen zum neuen Buch des bei der Arbeit stets schwitzenden und ausufernd gestikulierenden Philosophen und Zeitdiagnostikers Slavoj Zizek, der wohl längst als weltberühmt gelten darf.

Zentrale Passagen seines offenbar so wütenden, wie verstörenden Werks "Auf verlorenem Posten" paraphrasiert in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Jens-Christian Rabe wie folgt:

"Unser Schicksal, die große (Umwelt-)Katastrophe sei nur abwendbar, wenn endlich 'egalitäre Gleichheit' eingeführt werde, wenn die liberalen 'Freiheiten' 'massiv eingeschränkt' werden könnten, wenn 'potentielle Gesetzesbrecher' technisch überwacht würden und wenn 'Vertrauen in das Volk' herrsche. Man solle sich auch nicht davor scheuen, die Gestalt des Informanten wiederzubeleben, 'der die Schuldigen bei den zuständigen Stellen denunziert'",

fasst SZ-Autor Rabe Slavoj Zizeks Thesen zusammen. Wir haben sie hier des Längeren zitiert, weil uns bei der Lektüre ein grausiger Neo-Stalinismus-Verdacht kam. In der SZ heißt es etwas abgeschwächter:

Im Kern ist das Buch ein beinhartes, sogar gewaltbereites Plädoyer gegen jede Spielart des demokratischen Liberalismus und für eine zweite Chance des autoritären Kommunismus."

20 Jahre nach dem Mauerfall fragt die FRANKFURTER RUNDSCHAU den Schriftsteller Reinhard Jirgl, wie er heute auf die Ereignisse im Herbst 1989 blickt – und die Jirglsche Antwort lautet:

"Vor allem war es keine Revolution. Die heroische Rhetorik jener Woche war in typischer DDR-Manier mit einem christlichen Unterton verquickt, hatte einen Sakristei-Geruch. Das ist mir sehr zuwider. Heut noch sind die Leute ja auf diese angeblich 'friedliche Revolution' stolz. Das ist idiotisch."

- motzt Reinhard Jirgl in der FRANKFURTER RUNDSCHAU.

Und es ist auch die FR, die als einzige unter den uns greifbaren Zeitungen bereits einen Nachruf auf den französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss abdruckt, der bis ins Lebensalter von 100 Jahren die eigene Unsterblichkeit als wissenschaftlicher Heros genießen konnte.

FR-Autorin Martina Meister charakterisiert Lévi-Strauss als "Strukturalist von Geburt aus und Astronom menschlicher Konstellationen".

Von dem Mann, der das Werk "Traurige Tropen" mit dem Satz begann "Ich hasse Reisen und Forscher", stammt der sehnsuchtsvolle Wunsch:

"Ich hätte gern in den Zeiten der wahren Reisen gelebt, als sich das Schauspiel noch in all seinem Glanz darbot, noch nicht verdorben und verflucht."

Adieu, Claude Lévi-Strauss – die letzte Reise, die ist wieder ganz wahr.