Von Arno Orzessek
Die „Frankfurter Allgemeine“ begleitet den Boxer und Schriftsteller Wolf Wondratschek. Im „Tagesspiegel“ gibt der Publizist Hendrik M. Broder seine Kandidatur für den Vorsitz im Zentralrat der Juden in Deutschland bekannt. Und die „Frankfurter Rundschau“ verreist Sönke Wortmanns Film „Die Päpstin“.
In jeder Woche gibt es Artikel, mit denen der Leser rechnet und die einfach geschrieben werden müssen, weil sich das so gehört fürs Feuilleton. Zu dieser Sorte gehörten in den vergangenen sechs Tagen die Nachrufe auf die Frankfurter Buchmesse und die Kritiken zum neuen Film von Sönke Wortmann, „Die Päpstin“. Wir kommen darauf zurück.
Auf der anderen Seite stehen jene überraschenden Artikel, in denen das Feuilleton seine künstlerische Freiheit beweist – und mit solchen beginnen wir.
Für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hat Arne Leyenberg den Boxer für sieben Jahre, Box-Narren auf Lebenszeit und Schriftsteller Wolf Wondratschek zum Kampf zwischen Arthur Abraham und Charles Taylor begleitet.
„In keiner anderen Sportart ist die Niederlage so eine Demütigung wie beim Boxen“, bemerkte Wondratschek, nachdem Abraham Taylor in letzter Sekunde k.o. geschlagen hatte. Und Wondratschek wusste auch, warum Abraham keine Aura entwickelt: „Es fehlt ihm etwas Poesie.“
Über die Poesie der Melone schrieb in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Sonja Zekri. Sie hatte das russische Astrachan besucht, eine Stadt, in der sich die Melonenzüchter „als Künstler, Komponisten und Dichter verstehen“.
„Einzig hier, wo sich die Wolga in Myriaden glitzernder Adern ins Kaspische Meer ergießt und die Steppe zum Blühen bringt, wo mannshohe Lotusfelder die Sicheldünen überragen und Kormorane kreisen, einzig hier gedeiht die echte, die legendäre ‚Astrachanskij‘, jenes handliche Melonenwunder mit dem rosafarbenen Inneren, dessen Ankunft Moskauer Zeitungen jeden Sommer so jubelnd melden wie Pariser Blätter den ersten Beaujolais.“
Maryam Schumacher war für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG im Iran, um einige der letzten Zoroastrier zu besuchen, Anhänger jener monotheistischen Religion, die seit Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ im gebildeten Europa zumindest ein stabiles Gerücht ist.
Über die heilige Schrift der Zoroastrier, die Avesta, schrieb die NZZ-Autorin Schumacher:
„Ihr Weltbild ist von einer Dichotomie zwischen Gut und Böse geprägt: Die gesamte Menschheit lebt in einem Kampf, den Ahura Mazda und sein Widersacher Ahriman austragen. Das Böse kann nur dauerhaft besiegt werden, wenn alle Menschen immer gut sind.“
Wir bleiben beim Monotheismus. Im Berliner TAGESSPIEGEL gab der Publizist Hendrik M. Broder aus heiterem Himmel bekannt gab, für den Vorsitz im Zentralrat der Juden in Deutschland zu kandidieren. Seine Begründung:
„Ich habe immer das getan, was ich tun wollte. Jetzt ist es Zeit, das zu tun, was ich tun sollte.“
Und eine Regierungserklärung gab Broder im TAGESSPIEGEL auch schon mal:
„Wir brauchen nicht noch mehr Holocaustmahnmale und Gedenkstätten, sondern eine aktive Politik im Dienste der Menschenrechte ohne politische Rücksichtnahme auf wirtschaftliche Interessen.“
Und nun zu Artikeln, wie man sie erwartet.
Gleich zwei Blätter – die FRANKFURTER RUNDSCHAU und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG – dokumentierten die Dankesrede von Claudio Magris, der zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten hatte.
Magris‘ Angriff auf den Werte-Relativismus in Zeiten der Globalisierung ging so:
„Es wird darum gehen, uns selbst in Frage zu stellen und offen zu werden für den größtmöglichen Dialog mit anderen Wertsystemen, dabei jedoch Grenzen um ein winziges, aber präzises und nicht mehr verhandelbares Quantum an Werten zu ziehen, an für immer erworbenen und als absolut anzusehenden Werten, die nicht mehr zur Diskussion gestellt werden.“
In die Buchmessen-Resümees, in denen Chinas offizielle Vertreter oft der Zwielichtigkeit und Scheinheiligkeit bezichtigt wurden, mischte sich der Fall Ripken.
„Wie töricht, wie grobmotorisch, wie geradezu tragisch!“, rief Alex Rühle in der SZ.
Er echauffierte sich darüber, dass Peter Ripken als Leiter des Internationalen Zentrums der Buchmesse der chinesischen Umweltaktivistin Dai Quing einen kleinen Auftritt untersagt hatte – entgegen vorheriger Absprachen und wohl im Auftrag des Auswärtigen Amtes.
Alex Rühle nannte Peter Ripken, der über dem Vorkommnis seinen Job verlor, ein Bauernopfer und rechnete mit der Buchmesse überhaupt ab:
„Hinter der Idee, China als Gastland einzuladen, standen handfeste wirtschaftliche und politische Interessen. Es muss aber fast zwangsweise zum Skandal führen, wenn man ein Land als ‚Ehrengast‘ einer kulturellen Veranstaltung einlädt, das Kultur vor allem als Teil der Außenpolitik ansieht.“
Mehrheitlich abgewatscht wurde der Film der Woche – Sönke Wortmanns „Die Päpstin“.
Süffisant schrieb Daniel Kothenschulte in der FRANKFURTER RUNDSCHAU über die „Hosenrolle“ der Schauspielerin Johanna Wokalek als Stellvertreterin Gottes auf Erden:
„[Es] entsteht eine geistige Erotik, die ein Ritterherz entflammt – und eine herrliche Verkehrung märchentypischer Geschlechterrollen. Das ist Wortmanns Film im besten Sinne: Ein Märchenfilm, der sich aus der Romantik finsterer Wälder in einen opulenten Sandalenfilm über das Rom des 9. Jahrhunderts verwandelt.“
Und noch ein Verriss: Nach einer Lesung im Berliner Prater zürnte in der Wochenzeitung DIE ZEIT Andrea Hünninger über den vielumjubelten 2000-Seiten-Roman „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace:
„Das Buch, dieser angeblich ‚unendliche Spaß‘, ist eine unendliche Qual, ein Tribut an die Lesehölle, wo während des Lesens einer Seite mindestens eine Stunde durchs Stundenglas rieselt.“
Die Publikumsreaktion auf das Bekenntnis von Wallace-Übersetzer Ulrich Blumenbach, der Selbstmord des Autors habe „den Verkauf des Buchs in Deutschland enorm gesteigert“, hielt ZEIT-Autorin Hünninger in zwei Worten fest: „Bizarre Freude“.
Womit wir am Ende, beim Tod und der Schweinegrippe wären. In der FAZ lästerte der Experte Gerd Antes über den Impf-Wahn:
„Wenn die Strategie, ein zusammengezaubertes maximales Risiko […] zu kontrollieren, zur Handlungsmaxime dieser Gesellschaft werden sollte, dann müsste man […] auch heute alle Atomkraftwerke abschalten. In der Diskussion um Atomstrom wird nämlich gerade die gegenteilige Strategie verfolgt: Dort redet man alles klein, was bei [dem Virus] H1N1 großgeredet wird.“
Da FAZ-Autor Antes uns allen jedoch das Beste wünscht, empfahl er folgendes Verhalten:
„Entsorgen Sie Ihren Impfstoff im eigenen Körper.“
Auf der anderen Seite stehen jene überraschenden Artikel, in denen das Feuilleton seine künstlerische Freiheit beweist – und mit solchen beginnen wir.
Für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hat Arne Leyenberg den Boxer für sieben Jahre, Box-Narren auf Lebenszeit und Schriftsteller Wolf Wondratschek zum Kampf zwischen Arthur Abraham und Charles Taylor begleitet.
„In keiner anderen Sportart ist die Niederlage so eine Demütigung wie beim Boxen“, bemerkte Wondratschek, nachdem Abraham Taylor in letzter Sekunde k.o. geschlagen hatte. Und Wondratschek wusste auch, warum Abraham keine Aura entwickelt: „Es fehlt ihm etwas Poesie.“
Über die Poesie der Melone schrieb in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Sonja Zekri. Sie hatte das russische Astrachan besucht, eine Stadt, in der sich die Melonenzüchter „als Künstler, Komponisten und Dichter verstehen“.
„Einzig hier, wo sich die Wolga in Myriaden glitzernder Adern ins Kaspische Meer ergießt und die Steppe zum Blühen bringt, wo mannshohe Lotusfelder die Sicheldünen überragen und Kormorane kreisen, einzig hier gedeiht die echte, die legendäre ‚Astrachanskij‘, jenes handliche Melonenwunder mit dem rosafarbenen Inneren, dessen Ankunft Moskauer Zeitungen jeden Sommer so jubelnd melden wie Pariser Blätter den ersten Beaujolais.“
Maryam Schumacher war für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG im Iran, um einige der letzten Zoroastrier zu besuchen, Anhänger jener monotheistischen Religion, die seit Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ im gebildeten Europa zumindest ein stabiles Gerücht ist.
Über die heilige Schrift der Zoroastrier, die Avesta, schrieb die NZZ-Autorin Schumacher:
„Ihr Weltbild ist von einer Dichotomie zwischen Gut und Böse geprägt: Die gesamte Menschheit lebt in einem Kampf, den Ahura Mazda und sein Widersacher Ahriman austragen. Das Böse kann nur dauerhaft besiegt werden, wenn alle Menschen immer gut sind.“
Wir bleiben beim Monotheismus. Im Berliner TAGESSPIEGEL gab der Publizist Hendrik M. Broder aus heiterem Himmel bekannt gab, für den Vorsitz im Zentralrat der Juden in Deutschland zu kandidieren. Seine Begründung:
„Ich habe immer das getan, was ich tun wollte. Jetzt ist es Zeit, das zu tun, was ich tun sollte.“
Und eine Regierungserklärung gab Broder im TAGESSPIEGEL auch schon mal:
„Wir brauchen nicht noch mehr Holocaustmahnmale und Gedenkstätten, sondern eine aktive Politik im Dienste der Menschenrechte ohne politische Rücksichtnahme auf wirtschaftliche Interessen.“
Und nun zu Artikeln, wie man sie erwartet.
Gleich zwei Blätter – die FRANKFURTER RUNDSCHAU und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG – dokumentierten die Dankesrede von Claudio Magris, der zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten hatte.
Magris‘ Angriff auf den Werte-Relativismus in Zeiten der Globalisierung ging so:
„Es wird darum gehen, uns selbst in Frage zu stellen und offen zu werden für den größtmöglichen Dialog mit anderen Wertsystemen, dabei jedoch Grenzen um ein winziges, aber präzises und nicht mehr verhandelbares Quantum an Werten zu ziehen, an für immer erworbenen und als absolut anzusehenden Werten, die nicht mehr zur Diskussion gestellt werden.“
In die Buchmessen-Resümees, in denen Chinas offizielle Vertreter oft der Zwielichtigkeit und Scheinheiligkeit bezichtigt wurden, mischte sich der Fall Ripken.
„Wie töricht, wie grobmotorisch, wie geradezu tragisch!“, rief Alex Rühle in der SZ.
Er echauffierte sich darüber, dass Peter Ripken als Leiter des Internationalen Zentrums der Buchmesse der chinesischen Umweltaktivistin Dai Quing einen kleinen Auftritt untersagt hatte – entgegen vorheriger Absprachen und wohl im Auftrag des Auswärtigen Amtes.
Alex Rühle nannte Peter Ripken, der über dem Vorkommnis seinen Job verlor, ein Bauernopfer und rechnete mit der Buchmesse überhaupt ab:
„Hinter der Idee, China als Gastland einzuladen, standen handfeste wirtschaftliche und politische Interessen. Es muss aber fast zwangsweise zum Skandal führen, wenn man ein Land als ‚Ehrengast‘ einer kulturellen Veranstaltung einlädt, das Kultur vor allem als Teil der Außenpolitik ansieht.“
Mehrheitlich abgewatscht wurde der Film der Woche – Sönke Wortmanns „Die Päpstin“.
Süffisant schrieb Daniel Kothenschulte in der FRANKFURTER RUNDSCHAU über die „Hosenrolle“ der Schauspielerin Johanna Wokalek als Stellvertreterin Gottes auf Erden:
„[Es] entsteht eine geistige Erotik, die ein Ritterherz entflammt – und eine herrliche Verkehrung märchentypischer Geschlechterrollen. Das ist Wortmanns Film im besten Sinne: Ein Märchenfilm, der sich aus der Romantik finsterer Wälder in einen opulenten Sandalenfilm über das Rom des 9. Jahrhunderts verwandelt.“
Und noch ein Verriss: Nach einer Lesung im Berliner Prater zürnte in der Wochenzeitung DIE ZEIT Andrea Hünninger über den vielumjubelten 2000-Seiten-Roman „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace:
„Das Buch, dieser angeblich ‚unendliche Spaß‘, ist eine unendliche Qual, ein Tribut an die Lesehölle, wo während des Lesens einer Seite mindestens eine Stunde durchs Stundenglas rieselt.“
Die Publikumsreaktion auf das Bekenntnis von Wallace-Übersetzer Ulrich Blumenbach, der Selbstmord des Autors habe „den Verkauf des Buchs in Deutschland enorm gesteigert“, hielt ZEIT-Autorin Hünninger in zwei Worten fest: „Bizarre Freude“.
Womit wir am Ende, beim Tod und der Schweinegrippe wären. In der FAZ lästerte der Experte Gerd Antes über den Impf-Wahn:
„Wenn die Strategie, ein zusammengezaubertes maximales Risiko […] zu kontrollieren, zur Handlungsmaxime dieser Gesellschaft werden sollte, dann müsste man […] auch heute alle Atomkraftwerke abschalten. In der Diskussion um Atomstrom wird nämlich gerade die gegenteilige Strategie verfolgt: Dort redet man alles klein, was bei [dem Virus] H1N1 großgeredet wird.“
Da FAZ-Autor Antes uns allen jedoch das Beste wünscht, empfahl er folgendes Verhalten:
„Entsorgen Sie Ihren Impfstoff im eigenen Körper.“