Von Arno Orzessek
Die "Frankfurter Rundschau" bespricht das neue Album von Marius Müller-Westernhagen, die "Süddeutsche" die Biografie des Unternehmers Hans Wall. Einig sind sich die Feuilletons in ihrer Begeisterung für die Rubens-Ausstellung in München.
"Immer noch die Schnauze voll", ... hat nach Meinung von Thomas Winkler der Rocksänger Marius Müller-Westernhagen, dessen neues Album "Williamsburg" in der FRANKFURTER RUNDSCHAU besprochen wird.
Winkler unterstellt Müller-Westernhagen ein "recht dialektisches" Konzept und erklärt das so:
"Das ist einer [ ... ], der es sich nicht verbieten lässt, seine eigene Meinung zu haben übers große Ganze. Und diese in griffige Formulierungen packt, die auch an einem Tresen nachts um halb zwei noch unfallfrei aufsagbar sind. Einige davon reimen sich sogar, wie der allererste Satz des Albums: 'Es ist das Leben, an dem wir kleben'."
Zu dieser Tonlage in den insgesamt eher freudlosen – oder sagen wir: herbstlich erschlafften – Feuilletons passt folgende Einsicht von Hans Wall, die der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG tatsächlich eine Überschrift wert ist:
"Die Welt besteht nicht nur aus Toiletten."
Hans Wall hat es mit Werbung unter freiem Himmel, auch bekannt als Stadt-Möbel oder Out-of-Home-Media, vom Hauptschüler zum Millionär gebracht und nun unter dem Titel "Aus dem Jungen wird nie was ... " seine Biografie vorgelegt. Und warum?... will die SZ wissen.
"Ich wollte gerade jetzt junge Leute darauf hinweisen, dass wir in einem tollen Land leben, in dem der Erfolg nicht vom Geld, von den Privilegien oder vom Bildungsgrad abhängt, sondern ganz allein von guten Ideen."
So in der SZ Aufsteiger Hans Wall, den sich die Bildungspolitiker von SPD und Linken wohl nicht zur Ikone wählen werden.
Aber nun zur Hochkultur – so selten sie in den aktuellen Feuilletons anzutreffen ist.
Ein begnadeter Kopist der Ideen anderer Künstler war der junge Peter Paul Rubens, dem die Alte Pinakothek in München die Ausstellung "Vorbild und Neuerfindung. Rubens im Wettstreit mit den Alten Meistern" widmet.
Rubens hat auf seiner Italienreise etwa Parmigianinos "Bogenschnitzender Amor" abgemalt und Jahre später dann stark verändert verkauft. Brita Sachs zeigt sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG begeistert:
"Dem porzellanhaft glatten Inkarnat des Originals setzt Rubens in seinem nunmehr unverkennbaren flüssigen Duktus pralle Sinnlichkeit entgegen. Selbstbewusst lässt er nun auch jeder Kopie seine geniale Fähigkeit angedeihen, den gemalten Texturen Leben einzuhauchen, Pelz weich und Fisch glitschig scheinen zu lassen, Locken seidig und Haut bis tief ins weiche Fleisch durchblutet und durchpulst."
Wer Rubens liebt, wird die Worte von FAZ-Autorin Sachs nur angemessen finden.
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schreibt Willibald Sauerländer, selbst ein alter Meister, und zwar im kunsthistorischen Fach:
"Höhepunkt der Ausstellung ist die Gegenüberstellung von Tizians 'Adam und Eva' mit Rubens' Variante. So gewaltig die Komposition Tizians sich darbietet, Rubens ist der reichere Erzähler. Er bringt affektive Beweglichkeit in das Spiel der Körperbewegungen und Gesten, schildert das Nach- und Nebeneinander von Verführung, Begehren und besorgtem Widerstreben. Der alte Jakob Burckhardt hat ihn nicht umsonst den größten Erzähler seit Homer genannt."
Die SZ druckt beide "Adam und Eva"-Gemälde ab – denn merke: Das Hauptritual der Kunstgeschichte ist und bleibt das vergleichende Sehen.
Außer bei der Rubens-Ausstellung lassen sich in den Feuilletons keine Schwerpunkte ausmachen – es ist ein kulturelles Vielerlei und Von-jedem-Etwas. Um immerhin bei bildender Kunst zu bleiben, hier Gabriela Waldes Kritik der Licht-Installation "Bridget's Bardo" von James Turrell im Wolfsburger Kunstmuseum, notiert für die Tageszeitung DIE WELT:
"Man muss sagen, dass Turrells Wolfsburg-Projekt wirklich nicht sein stärkstes ist. Nicht, dass es schlecht wäre, es zeigt die Spannweite seines Ansatzes, seine Philosophie, doch es bleibt als reines Kunstlicht ohne Aura. Licht hat eine metaphorische Aufladung, steht für Inspiration, Aufklärung, Geist, Erkenntnis. Doch dieser weiße Raum in Wolfsburg transportiert buchstäblich nicht mehr als reine Leere."
Auch hier also: wenig Erregendes. Uns bleibt nur, aus einem SZ-Artikel einige Zeilen Josef von Eichendorffs zu rauben, die der Mattigkeit immerhin schöne Melancholie abgewinnen:
"Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus. / Flog durch die stillen Lande / Als flöge sie nach Haus."
Wir haben dem nicht hinzuzufügen. Aber lesen Sie selbst! Vielleicht erbeuten Sie größere Feuilleton-Kitzel.
Winkler unterstellt Müller-Westernhagen ein "recht dialektisches" Konzept und erklärt das so:
"Das ist einer [ ... ], der es sich nicht verbieten lässt, seine eigene Meinung zu haben übers große Ganze. Und diese in griffige Formulierungen packt, die auch an einem Tresen nachts um halb zwei noch unfallfrei aufsagbar sind. Einige davon reimen sich sogar, wie der allererste Satz des Albums: 'Es ist das Leben, an dem wir kleben'."
Zu dieser Tonlage in den insgesamt eher freudlosen – oder sagen wir: herbstlich erschlafften – Feuilletons passt folgende Einsicht von Hans Wall, die der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG tatsächlich eine Überschrift wert ist:
"Die Welt besteht nicht nur aus Toiletten."
Hans Wall hat es mit Werbung unter freiem Himmel, auch bekannt als Stadt-Möbel oder Out-of-Home-Media, vom Hauptschüler zum Millionär gebracht und nun unter dem Titel "Aus dem Jungen wird nie was ... " seine Biografie vorgelegt. Und warum?... will die SZ wissen.
"Ich wollte gerade jetzt junge Leute darauf hinweisen, dass wir in einem tollen Land leben, in dem der Erfolg nicht vom Geld, von den Privilegien oder vom Bildungsgrad abhängt, sondern ganz allein von guten Ideen."
So in der SZ Aufsteiger Hans Wall, den sich die Bildungspolitiker von SPD und Linken wohl nicht zur Ikone wählen werden.
Aber nun zur Hochkultur – so selten sie in den aktuellen Feuilletons anzutreffen ist.
Ein begnadeter Kopist der Ideen anderer Künstler war der junge Peter Paul Rubens, dem die Alte Pinakothek in München die Ausstellung "Vorbild und Neuerfindung. Rubens im Wettstreit mit den Alten Meistern" widmet.
Rubens hat auf seiner Italienreise etwa Parmigianinos "Bogenschnitzender Amor" abgemalt und Jahre später dann stark verändert verkauft. Brita Sachs zeigt sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG begeistert:
"Dem porzellanhaft glatten Inkarnat des Originals setzt Rubens in seinem nunmehr unverkennbaren flüssigen Duktus pralle Sinnlichkeit entgegen. Selbstbewusst lässt er nun auch jeder Kopie seine geniale Fähigkeit angedeihen, den gemalten Texturen Leben einzuhauchen, Pelz weich und Fisch glitschig scheinen zu lassen, Locken seidig und Haut bis tief ins weiche Fleisch durchblutet und durchpulst."
Wer Rubens liebt, wird die Worte von FAZ-Autorin Sachs nur angemessen finden.
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schreibt Willibald Sauerländer, selbst ein alter Meister, und zwar im kunsthistorischen Fach:
"Höhepunkt der Ausstellung ist die Gegenüberstellung von Tizians 'Adam und Eva' mit Rubens' Variante. So gewaltig die Komposition Tizians sich darbietet, Rubens ist der reichere Erzähler. Er bringt affektive Beweglichkeit in das Spiel der Körperbewegungen und Gesten, schildert das Nach- und Nebeneinander von Verführung, Begehren und besorgtem Widerstreben. Der alte Jakob Burckhardt hat ihn nicht umsonst den größten Erzähler seit Homer genannt."
Die SZ druckt beide "Adam und Eva"-Gemälde ab – denn merke: Das Hauptritual der Kunstgeschichte ist und bleibt das vergleichende Sehen.
Außer bei der Rubens-Ausstellung lassen sich in den Feuilletons keine Schwerpunkte ausmachen – es ist ein kulturelles Vielerlei und Von-jedem-Etwas. Um immerhin bei bildender Kunst zu bleiben, hier Gabriela Waldes Kritik der Licht-Installation "Bridget's Bardo" von James Turrell im Wolfsburger Kunstmuseum, notiert für die Tageszeitung DIE WELT:
"Man muss sagen, dass Turrells Wolfsburg-Projekt wirklich nicht sein stärkstes ist. Nicht, dass es schlecht wäre, es zeigt die Spannweite seines Ansatzes, seine Philosophie, doch es bleibt als reines Kunstlicht ohne Aura. Licht hat eine metaphorische Aufladung, steht für Inspiration, Aufklärung, Geist, Erkenntnis. Doch dieser weiße Raum in Wolfsburg transportiert buchstäblich nicht mehr als reine Leere."
Auch hier also: wenig Erregendes. Uns bleibt nur, aus einem SZ-Artikel einige Zeilen Josef von Eichendorffs zu rauben, die der Mattigkeit immerhin schöne Melancholie abgewinnen:
"Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus. / Flog durch die stillen Lande / Als flöge sie nach Haus."
Wir haben dem nicht hinzuzufügen. Aber lesen Sie selbst! Vielleicht erbeuten Sie größere Feuilleton-Kitzel.