Von Arno Orzessek

Über die Vergabe des Nobelpreises für Literatur an Herta Müller schreiben die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Uwe Wittstock bummelt für die "Welt" über die Frankfurter Buchmesse.
In der BERLINER ZEITUNG erzählt Dirk Pilz von einem Ereignis, das sich vor einem Haus in Berlin-Friedenau abgespielt hat - und zwar an dem Tag, an dem in Stockholm verkündet wurde, wer den Nobelpreis für Literatur 2009 erhält.

"Ein schwarzer Volvo fuhr vor, eine schwarzhaarige Frau stieg aus, alle gratulierten ihr. Nur sie wusste nicht, wie ihr geschah - die Dame kam von der schwedischen Botschaft. Hertha Müller saß derweil oben in ihrer Wohnung."

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG erzählt Marcus Jauer von einem Ereignis, das sich vor einem Haus in Berlin-Friedenau abgespielt hat - und zwar an dem Tag ...

Nun, Sie wissen schon, was folgt: Dasselbe Ereignis, von dem auch die BERLINER ZEITUNG berichtet, allerdings noch detailreicher. Es bleibt dabei: Die Volvo-Frau mit dem Blumenstrauß war die schwedische Botschafterin und nicht Herta Müller.

"Letzte Zweifel beseitigte das Bild, das eine Redaktion ihrem Fotografen mitgegeben hatte, sicherheitshalber und zum Vergleich."

Bezeichnenderweise will Marcus Jauer aber gar nichts über Herta Müller erzählen. Die Anekdote kommt ihm bloß "aufmerksamkeitstechnisch" - ein hässlicher Ausdruck, den Dirk Pilz selbstkritisch in der BERLINER ZEITUNG benutzt - sehr gelegen, um die Leser in seinen Bericht über das Frankfurter Buchmessen-Milieu zu locken.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass in der Tageszeitung DIE WELT Uwe Wittstock seinen Messe-Bericht wie folgt beginnt:

"Herta Müller kommt. Herta Müller kommt nicht. Herta Müller muss Termine auf der Messe absagen wegen Krankheit. Herta Müller war nicht krank, hatte nur einen kleinen Infekt. Herta Müller ist da. Herta Müller hält alle Termine ein. Herta Müller weint."

Denn merke: viele Feuilletonisten schreiben nicht mehr über die Literaturnobelpreisträgerin oder die Literatur der Nobelpreisträgerin oder über die Reaktionen auf den Literaturnobelpreis für die Trägerin - nein, viele Feuilletonisten schreiben jetzt mit aller Kraft, mit allerletzter Kraft über ihre Nobelpreisliteraturträgerinberichterstattungserschöpfung.

Muss man das alles lesen? Und wo bleiben dann die 124.000 Neuerscheinungen der Buchmesse?

Die Antwort kennt Hans Zippert, der mit dem Werk Was macht dieser Zippert eigentlich den ganzen Tag? - Aus dem Leben eines bekennenden Kolumnisten aufgefallen ist. Er betont in der FAZ - auch schon gezeichnet vom Buchstaben-Overkill:

"Das Lesen wird als Kulturleistung unangemessen verherrlicht. Wieso liest man sich etwas durch, was jemand anderes geschrieben hat? Das tun eigentlich nur Lehrer oder Geheimdienste. Bücher sind legale Stasi-Akten, die der Überwachte oft selber angelegt hat. Man könnte aber auch sagen: Jedes Buch ist ein Grabstein. Ein Grabstein für eine verendete Lektüreleistung","

… behauptet in der FAZ Hans Zippert.

Und selbst die sonst nüchterne NEUE ZÜRCHER ZEITUNG verzichtet nicht auf mediale Selbstreflexionsspielchen. Unter dem Titel ""Das Sachbuch und die Sache selbst" schreibt Uwe-Justus Wenzel:

"Es existiert ein Sachbuch, das der Inbegriff des Buches als Sache ist, dessen Sache sich aber dennoch außerhalb seiner selbst befindet. Gemeint ist das Verzeichnis lieferbarer Bücher. Wer in den Frankfurter Hallen nach ihm sucht, wird es jedoch nicht finden. Es gibt dieses Verzeichnis nur mehr in elektronischer Form. - Ist auch das nun noch eine Offenbarung?"

Wir wollen den hohen Ton der Feuilletonisten um eine Auskunft sozusagen aus dem Kellerloch der Buchmesse ergänzen. In einem Interview mit der FRANKFURTER RUNDSCHAU beschreibt die Vollzeitaktivistin Hanna Poddig ihre Messe-Eindrücke:

"Es geht um Schick-Dastehen, um Gesehen-Werden und um Das-peppigste-Buchcover-Haben, gar nicht um Inhalte. Ich dachte, auf welchem Planeten bin ich gelandet, was macht das gerade mit mir."

So unschuldig in der FR die Aktivistin Hanna Poddig, die übrigens selbst ein Buch geschrieben hat - Radikal mutig. Meine Anleitung zum Anderssein.

Wenn das jetzt ein Bestseller wird und Poddig eine berühmte Autorin - und wenn sie dann einen fetten Preis bekommt und in Frankfurt sie jedermann erkennt, dann wird auch sie erfahren, was Herta Müller nun weiß: dass Ruhm nämlich kein billiger Spaß ist.