Von Arno Orzessek

Im Vorfeld der Buchmesse hat die "NZZ" das Verzeichnis der inhaftierten chinesischen Schriftsteller gelesen, das vom Unabhängigen Chinesischen P.E.N. herausgegeben wird. Die "WELT" fragt nach den Gründen für den Erfolg vor allem in der DDR geborener Schriftsteller wie Ingo Schulze.
"Wenn Ihnen jemand verrät, dass er zwei Kinder hat und eins davon ein Mädchen ist, wie hoch liegt dann die Wahrscheinlichkeit, dass es sich beim anderen auch um ein Mädchen handelt?"

fragt im Feuilleton der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Burkhard Müller und warnt alle SZ-Leser davor, "Natürlich bei 50 Prozent!" zu antworten. Das glaubt unser gesunder Menschenverstand zwar steif und fest, die Wahrscheinlichkeitsrechnung aber kommt zu einem völlig anderen Ergebnis. Zu welchem, das kann man in der SZ-Besprechung von Keith Davlins neuem Buch "Pascal, Fermat und die Berechnung des Glücks" nachlesen, oder gleich in diesem Buch selbst. Es ist bei C. H. Beck erschienen.

So viel als mathematischer Appetizer. Nun im Vorblick auf die Frankfurter Buchmesse mit dem Schwerpunkt China zum Politisch-Ernsten. Ebenfalls in der SZ schreibt Georg Diez über ein Treffen mit dem chinesischen Schriftsteller Ma Jian in London:

"[Ma Jian] hat lange schwarze Haare und Augen, in denen man nach all dem sucht, von dem er spricht, von dem er schreibt. Den Kindern, die aus dem Mutterleib geschnitten werden; den Müttern, die mit kochendem Wasser übergossen werden; den Vätern, die von ihren Söhnen lebendig begraben werden, weil die Partei es will."

Entsetzliches – packend formuliert von SZ-Autor Diez.

Für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG hat Christiane Hammer im Verzeichnis der inhaftierten chinesischen Schriftsteller geblättert, das vom Unabhängigen Chinesischen P.E.N. herausgegeben wird. Die Exilorganisation kümmert sich um mehr als 60 Gefangene, die zum Teil gefoltert werden. Im Vorgehen der chinesischen Zensurbehörde hat NZZ-Autorin Hammer ein Muster ausgemacht:

"Entsprechend der Schwerpunktverlagerung vom […] Buch auf das Internet sind es zunehmend nicht schöngeistige Literaten, sondern 'Cyber-Dissidenten', die […] verfolgt und oft ohne Gerichtsverfahren gefangen gehalten werden. Das Regime beschäftigt 40.000 'Web-Cops'. "
Wie es den Schriftstellern in Ostasien erginge, falls China eine Revolution erleben würde, das ist Spekulation. Im Rückblick auf den hiesigen Mauerfall weiß man dagegen Genaueres.

In der Tageszeitung DIE WELT erklärt Rolf Schneider

"Warum ausgerechnet Künstler aus der DDR die Gewinner der friedlichen Revolution wurden."

Denn Gewinner sind sie ja – von Jörg Schüttauf über Neo Rauch bis Ingo Schulze. Was speziell den Erfolg DDR-geborener Schriftsteller angeht, stellt WELT-Autor Schneider eine bemerkenswerte Überlegung an:

"Vielleicht war es […] [so], dass die Mechanismen von ostdeutscher Zensur und bundesdeutschem Marktgeschehen tatsächlich konvergieren. Die ostdeutsche Zensur war freilich entschieden erbarmungsloser, der Umgang mit ihr also schwieriger. So hatten die Ostdeutschen das härtere Training, und dies zahlt sich nun aus."

Zensur und Markt sollen also funktional Verwandte sein! Das ist mal eine These, sagen wir…
… und bleiben noch kurz bei der WELT.

In einem von Michael Pilz geführten, wirklich witzigen Interview erklärt der Liedermacher Funny van Dannen, warum er in seinen Songs Wörter wie ‚Hedgefonds’ und ‚Konjunkturpaket’ singt.

"Jemand muss den Sprachmüll runterbringen", "

meint van Dannen.

Womit wir bei passgenau bei der "Titanic" enden, dem Satiremagazin, das 30. Geburtstag feiert. Das Frankfurter Museum für Komische Kunst widmet dem Jubilar eine "schön bösartige Ausstellung", wie Andreas Platthaus in der FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt.

Immerhin 35 Hefte musste die "Titanic"-Redaktion nach Gerichtsentscheidungen vom Markt nehmen, aber der FAZ-Autor kennt auch prominente Opfer, die ganz cool geblieben sind.

" "Leuchtendes Beispiel für eine tolerante Haltung ist […] der Mann, den 'Titanic' Birne nannte: Helmut Kohl. Die Ausstellung kann deshalb mehr als fünfzig Titelbilder zeigen, die den Altkanzler verspotten; gegen keines ist Kohl juristisch vorgegangen."

Im übrigen ist die FAZ über das Satiremagazin empört. Die Überschrift des Platthaus-Artikels lautet:

"Erschütternder Verdacht: 'Titanic' nimmt uns nicht ernst"