Von Arno Orzessek

Über den Feuilletons der vergangenen Woche liegt ein Trauerflor: Mit Pina Pausch und Michael Jackson sind zwei Heroen des Tanzes verstorben, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.
Über der vergangenen Woche liegt - wie über jeder anderen auch - ein Trauerflor. Denn wann wäre niemand gestorben, der die Tränen derer, die er zurückließ, nicht verdiente?

Pina Bausch ist tot, und der Tod Michael Jacksons einige Tage zuvor steckte den Feuilletons auch noch - sehr lesbar - in den Knochen.

Vor den Nachrufen jedoch die passende Musik.

"Wenn Klänge Trauer tragen", war in der FRANKFURTER RUNDSCHAU ein Artikel überschrieben, in dem Jürgen Otten Jewgenij Kissins neue Einspielungen der Klavierkonzerte von Beethoven und Prokofjew vorstellte.

"Lieber Serjoscha, ich schreibe dir die jüngste Nachricht - ich habe mich erschossen", "

zitierte FR-Autor Otten aus dem lakonischen Abschieds-Brief, den Sergej Prokofjew während der Arbeit am g-moll-Konzert von seinem Freund Maximilian Schmidthoff erhalten hatte.

Sodann lobte Otten in bemerkenswerter Diktion das Vermögen Kissins, das Katastrophische in den Tiefen des Prokofjewschen Konzerts hörbar zu machen:

""Keiner kann das heute so wie Kissin: die Klänge massieren und zugleich in blitzenden Stahl einkleiden, sie dem Hörer in die Ohren stoßen und dort festschrauben und dabei noch weinen wie Schubert. Darin liegt die Magie seines Spiels. Man ist daran gekettet, hoffnungslos. Man wird es nicht los."

Viele Kritiker hatten offenbar eine besonders innige Bindung zu der Tänzerin und Choreographin Pina Bausch. Entsprechend betroffen klangen die Nekrologe.

Wiebke Hüster erinnerte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG an die ungeheuere Lebendigkeit, die Pina Bauschs Stücke - manchem Klischee der Tanz-Verächter zuwider - ausgezeichnet haben:

"Ja, das Tanztheater [Pina Bauschs] war ernst und traurig und gesellschaftskritisch, aber es war auch ungeheuer phantasievoll und witzig. Es spielte oft genug Klamauk, es knallte Türen, schmiss mit Kissen, spritzte Wasser und knutschte mit Krokodilen oder Nilpferden. Tänzer traten in Frauenröcken auf, Frauen zeigten ihre Speckröllchen als 'Liebesgriffe'. Taucher versuchten, in Aquarien zu rauchen. Man sang und lachte, schrie und klatschte."

So Wiebke Hüster in der FAZ.

Im Berliner TAGESSPIEGEL nannte Peter von Becker Pina Bausch einen "Adler in der Haut eines Schmetterlings" und bemaß dessen weiten Flug:

"Seit Joseph Beuys hat es wohl keinen Künstler und auch keine Künstlerin gegeben, in deren Werk sich die weltweite Ausstrahlung zugleich mit etwas so genuin Deutschem verband. Etwas, das sich weit über allem angeblich typisch teutonischen Tiefsinn in die Lüfte des Universellen erhob. Mit dem Wind und Flügelschlag des Genies."

Vor der vollständigen Rückkehr in die Welt der Lebenden noch diese klugen Bemerkungen, die Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen in der FAZ zum Tod Michael Jacksons machte:

"Auch darin ist Jackson symptomatisch für die historische Verschiebung der vergangenen Jahrzehnte: An die Stelle des väterlichen Befehls ist der getreten, den wir uns selber geben - du sollst nie aufhören, dich zu optimieren! Selbstdisziplin ist gnadenloser als Gehorsam. [...] Der Verfasser der größten hedonistischen Hymne, 'Don't Stop Till You Get Enough', hat Hedonismus nie gelernt, er konnte sein eigenes Programm nur als Gnadenlosigkeit gegen sich selbst durchsetzen."

Alle Feuilletons widmeten sich der 33. Vergabe des Ingeborg-Bachmann-Preises - und kein einziger Feuilletonist zeigte sich wirklich zufrieden mit dem, was die Schriftsteller im Wettbewerb angeboten hatten.

Selbst die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, die modo grosso den Krawall in der Kultur nicht besonders liebt, hämte: "Ein biederer Jahrgang".

In der näheren Begründung von Andreas Breitenstein hieß es:

"Realistisches Erzählen aus der leicht verunsicherten Mitte des Alltags dominierte. Surreales war ebenso rar wie Historisches und Experimentelles. Fehlervermeidung war fast schon alles. Ein Plan mittlerer Schwierigkeit sollgemäß erfüllt, und schon gehörte man zu den Besten."

Manchmal hatte man bei der Lektüre der Berichte aus Klagenfurt das schale Gefühl, die Kritiker seien ihres Jobs oder des Bachmann-Preises oder der Kenntnisnahme ewig neuer Literatur überdrüssig.

Auch Burkhard Müller, der Autor der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, der seinen Job sonst stets mit kraftvoller Klugheit versieht, fragte schon in der Unterzeile "War das was?" und fasste - offenbar strategisch schlaff - zusammen:

"Das alles war fast ausnahmslos nahezu perfekt gemacht. Autoren und Autorinnen wussten sämtlich, wie man die altehrwürdigen Gattungen der Prosa kunstgerecht bestellt. Man darf der Klagenfurter Veranstaltung alles Mögliche nachsagen, bloß eines nicht: dass sie noch viele Spuren von Jugend aufwiese. [...] Die Texte liefen, wie auch die Jury wiederholt befand, so pannen- wie spannungsfrei dahin. [...] Sie wollten alle so wenig."

Bitte schön, wenden wir gegen SZ-Autor Müller ein: Die Texte waren also "nahezu perfekt" - und doch wollten die Autoren angeblich so wenig? Ist Perfektion in der Kunst "so wenig"?

Wir empfehlen den Kritikern hier mal pauschal das Schreiben eines kleinen perfekten Romans. Vielleicht lernten sie ein bisschen Demut.

Die Wochenzeitung DIE ZEIT - ganz schön pfiffig -, ließ Jens Petersens letztlich preisgekrönten Text "Bis dass der Tod" von dem Literaturwissenschaftler Klaus Kanzog untersuchen.

Und wenigstens Kanzog zollte einigen Respekt. Er schrieb:

"Der Text 'Bis dass der Tod' ist in seiner eindringlichen Vermittlung existenzieller Nöte seismografisch."

Bevor uns aber schon wieder der Tod bindet - es wäre etwa vom Paulusgrab und den Untersuchungen der vatikanischen Archäologen zu berichten -, kommen wir zum Film der Woche.

Echt super, um die passende Ausdrucksweise zu wählen, hat offenbar der dritte Ice Age-Film SZ-Kritiker Fritz Göttler gefallen. "Vollmundig, fruchtig" nannte er das Werk und erklärte, was den tierischen Hauptdarstellern darin so passiert:

"Manny ist über seine Ausgestorbenheitsneurose hinweg - die Furcht, das letzte Mammut zu sein -, und Ellie hat ihre Opossumobsession abgelegt. Nur Diego, der gute alte Tigerkumpel, kriselt: Probleme mit der Kondition! Und Scrat, das sisyphoneske Eichhörnchen, das so geil ist auf Haselnuss, hat plötzlich in einem Eichhörnchengirl harte Konkurrenz."

Bisher völlig ahnungslos, was Ice Age eigentlich ist, wollen wir uns das jetzt mal gern angucken. Ausgestorbenheitsneurosen, Opossumobsessionen, sisyphoneske Eichhörnchen - da scheint der Ernst des Lebens und gleichzeitig dessen kühne Überwindung gefeiert zu werden.

Der gute Fritz Göttler überschrieb seine "Ice Age"-Eloge übrigens so:

"Bis die Blase platzt."