Von Arno Orzessek

Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit einer Skakespeare-Inszenierung, mit dem 250. Todestag des Komponisten Georg Friedrich Händel und mit dem "taz"-Jubiläum.
"Tir’d with all these, for restfull death i cry"… beginnt das berühmte 66. Sonett von William Shakespeare. Die neueste deutsche Übersetzung vom Berliner Dichter Jan Weinert lautet: "Müd von alldem, schrei ich nach Todesruh."

Nicht gleich grabessüchtig, aber doch stark ermüdet zeigten sich Anfang der Woche viele Kritiker von Robert Wilsons Inszenierung der Shakespeareschen Sonette für das Berliner Ensemble.

In der Tageszeitung DIE WELT schimpfte Reinhard Wengierek:

"Immerzu Gehopse, Getänzel, Gekiekse, Gegirre androgyner Puppen, gewandet in geschlechtsneutrale Kostüm-Kostbarkeiten des Modemachers Jacques Reynaud. Keinerlei mächtige, das Drama verstärkende Bilder, bloß Bildgeriesel. Bloß eine pittoreske, altbackene Wilson-Show mit Wainwright-Singsang und einer Shakespeare-Deko."

Die Wochenzeitung DIE ZEIT kalauerte in der Überschrift: Die Welt als William und Vorstellung – womit klar war, dass Rüdiger Schapers Kritik an der Wilson-Uraufführung kein Loblied sein würde.

Bis zur Pause fand der ZEIT-Beobachter vieles annehmbar – danach eigentlich nichts mehr:

Es sieht im zweiten Teil so aus, als müsse jetzt der Komponist [Wainwright] zu seinem Recht kommen. Und man sieht deutlich: Die Aufführung ist am Premierenabend nicht zu Ende geprobt. Shakespeares Sonette zerfällt in eine Nummernrevue.

Alle großen Tageszeitungen besprachen Wilsons Shakespeares Sonette - und fast alle die Auszeichnung des Schweizers Jan Zumthor. Er erhielt den Pritzker Preis, der oft Nobelpreis für Architektur genannt wird.

In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG schrieb Roman Hollenstein den Landsmann zum Maßstab der ganzen Architekten-Branche hoch:
Wenn es in Zukunft noch eine Baukunst geben wird, die mehr als schönes Fassadendesign ist, die weiterhin dem Ort seine Reverenz erweist, das Material auslotet, mit dem Licht spielt und räumliche Vielfalt generiert, so wird es eine in der Art von Zumthor sein.

In der FRANKFURTER RUNDSCHAU verband Oliver Herwig sein Lob mit einem Blick auf die bronzene Pritzker-Medaille:

"Auf der Rückseite […] sind drei Worte eingraviert, die von Zumthor stammen könnten: "firmness, commodity and deligth", Vitruvs überzeitliche Formel eines Berufsstandes, der gerne Stabilität, Nützlichkeit und Anmut für sich in Anspruch nimmt und sie doch so selten verbindet. Zumthor ist es gelungen."

Vom Pritzker-Preis zu den Jubiläen.

Vor 250 Jahren starb der Komponist Georg Friedrich Händel, der seine Triumphe vor allem in England gefeiert hat. Der Dinosaurier von London überschrieb die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG den größten Artikel auf ihrer Händel-Sonderseite. Vorab wurde ohne Autoren-Signatur die Rezeption der letzten Jahrzehnte zusammengefasst.

Lange Zeit kannte man von ihm nur "Messias" und "Wassermusik", "Giulio Cesare" und "Feuerwerksmusik". Aber diese Stücke wurden in der Regel derart fad gespielt, dass man große Zweifel daran hegen musste, ob es sich bei ihrem Komponisten Georg Friedrich Händel tatsächlich um eine Genie handelte. Doch dann kam die Alte-Musik-Bewegung und fegte diese Zweifel in einem sagenhaften Furor der Neubewertung Händels hinweg.

Ob die Geschichte einst so beifällig auch über die TAGESZEITUNG urteilen wird, die ihren 30. Geburtstag feiert? Weil die TAZ nicht zuletzt ein Durchlauferhitzer für journalistische Karrieren ist und ehemalige TAZler bis tief in den Axel-Springer-Konzern hinein an den Tastaturen schaffen, hatten manche Reflexionen etwas allzu Privates, wenn nicht Inzestuöses.

Wohl am härtesten lästerte der Autor Wiglaf Droste ab – obwohl oder weil er selbst jahrelang die Kolumne auf der TAZ-"Wahrheit"-Seite geschrieben hatte.

[Wegen der großen Fluktuation,] so Droste, [ist die TAZ] ein Gnaden¬hof für all die Zurückbleibenden, die trotz aller Bewerbungsschreiben kein anderer haben will. So entsteht ein notorisch pestlauniges Arbeitsklima, in dem Heuchelei, Intriganz, Schlampigkeit und Desinteresse an der Sache gedeihen.

Vielleicht hat derart verleumderische Nachrede dem Feuilleton der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG nicht gefallen – das Droste-Interview war nur unter SÜDDEUTSCHE.DE zu lesen.

Die BERLINER ZEITUNG bat ihrerseits ehemalige RedakteurInnen der TAZ um Auskunft und schrieb –Innen – ein freundliches Augenzwinkern – groß. Brigitte Ferle, Politikredakteurin zwischen 1984 und 1990, berichtete von einem Leser, der sie noch immer mit der TAZ verbindet.

"Ich war schockiert […], dass 18 [weitere] Jahre harte Arbeit, schreiben, recherchieren – bei der "Berliner Zeitung", bei der "Frankfurter Rundschau", bei der Zeit – bei den Lesern weniger Wirkung hinterlassen haben, als die Tatsache, ein paar Jahre bei der taz ge¬we¬sen zu sein. Die "taz" brennt sich ein."

An Ideen ausgebrannt scheint der Historiker Ernst Nolte zu, der sich mit der These ins Abseits gestellt hat, der Rassenmord der Nazis sei eine Reaktion auf den Klassenmord der Bolschewisten gewesen. Auch in seinem neuen Werk, Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus, kommt Nolte darauf zurück.

Fachkollege Walter Laquer verriss das Buch in der WELT und wies Noltes These vom islamischen Faschismus zurück:

"Der Islamismus [erfüllt] nicht das sogenannte "faschistische Minimum". Er besitzt keinen Führer, er hat keine Partei. […] Wer von islamischem Faschismus spricht, überschätzt die europäischen Wurzeln des Islamismus und unterschätzt die außereuropäischen Elemente dieser Bewegung."

Last but not least: James Last. Nun den 80. Geburtstag feiernd, gehört Last zur Alterskohorte des verbiesterten Ernst Nolte, schnippt alle Spielarten von Tiefsinn aber immer noch mit den Fingern weg.

Der Mann, der die Krise wegzauberte hieß eine Überschrift im TAGESSPIEGEL, die auf James Last gemünzt schien… Sie galt allerdings dem Entfesselungskünstler Harry Houdini.

Tatsächlich auf James Last bezog sich der ultimative SZ-Titel Auf der Bugwelle des Traumschiffs. So vorzüglich der Text von Helmut Mauró, so anspielungsreich das Foto darüber. Es zeigte James Last mit ausgestreckten Armen – gleich dem Erlöser am Kreuz, der ebenfalls den Schmerz der Welt auf sich nahm.

Andererseits, vielleicht war es eine Anspielung auf den TAZ-Titel, der Jürgen Klinsmann am Kreuz gezeigt hat. Richtig bleibt immer, was die TAZ Klinsmann empfahl: "Always look on the bright side of life."

Das übersetzen wir nicht. Aber so oder so: Gratulation an die TAZ auch von hier!