Von Arno Orzessek

16.04.2009
Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit dem Anti-Amerikanismus, einem Text des Philosophen Ernst Bloch und mit dem 80. Geburtstag von James Last.
Die aktuellen Feuilletons sind – anders als an so manchem Tag – derart tiefsinnig und interessant, dass man ihnen nur in vielen Lese- oder Vorlesestunden gerecht wird.

Uns bleiben hier aber kaum vier Minuten. Deshalb rasch das Beste in Kürze.

In der Tageszeitung DIE WELT verreißt der Historiker Walter Laqueur das neue Buch von Ernst Nolte, dem Fachkollegen, der den Rassenmord der Nationalsozialisten aus dem Klassenmord der Bolschewisten erklären wollte und sich damit ins Abseits manövriert hat.

Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus heißt Noltes neues, die These im Titel tragendes Buch, in dem der Islamismus als weitere Ausformung des Anti-Amerikanismus neben dem Faschismus und Kommunismus vorgestellt wird.

Das sind betäubend viele –ismen – aber, so WELT-Rezensent Walter Laqueur: "Nolte interessiert sich für Ideologie, von der Wirklichkeit redet er selten."

Auch sonst artikuliert sich Laqueur so süffisant, dass es wie eine bewusste Brechung des mittlerweile ziemlich verbiesterten Nolte-Stils erscheint.

"Mit den Quellen hat es bei Nolte überhaupt seine ganz eigene Bewandtnis, vor allem dann, wenn er sich seinem Lieblingsthema zuwendet. Ariel Scharon habe gesagt, so Nolte, Amerika sei eine israelische Kolonie und die Amerikaner wüssten das auch. War es tatsächlich so? Der Autor ist sich nicht sicher, der volle Text stehe in einer ungarischen Zeitung …"

So sagt Walter Laqueur in der WELT nicht, dass er Ernst Nolte für latent antisemitsch hält.

Auch in einem ganz anderen Fall ist das Klarbild schwer zu erkennen: Wenn es um Barack Obamas Haltung in der komplizierten amerikanischen Abtreibungs-Debatte geht, auf die der Vatikan durch Zurückweisung möglicher US-Botschafter am Heiligen Stuhl Einfluss nimmt.

Der Artikel Der Kulturkrieg geht weiter von Katja Gelinsky in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG ist derart kompetent und organisch gebaut, dass neben der Empfehlung: Lesen! hier nur folgende erzählende Passage zitiert werden kann:

"Den freundlichen Worten von Papst Benedikt XVI. zu Obamas Ernennung folgte der Ausdruck "großer Enttäuschung" darüber, dass der Präsident wenige Tage nach seinem Amtsantritt die sogenannte "Mexico City Policy" revidierte. Seitdem dürfen amerikanische Steuergelder wieder an Entwicklungshilfeorganisationen fließen, die Abtreibungen vornehmen."

So Katja Gelinsky in der FAZ.

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU gönnt sich publizistische Anarchie und druckt Lust der Frühlingswiese, einen extrem abgelegen veröffentlichten Text des Philosophen Ernst Bloch. Das Stück ist so abgedreht in seiner Verquickung von Abstraktestem und Sinnlichstem, dass paraphrasierendes Zitieren schon wieder nicht klappt.

Immerhin aber diese Blochsche Be¬merkung zu Goethes "Werther":

"Der Schoß der Erde gebiert der Sonne Kinder, ein frühreifes, wucherndes Leben in Masse, und die Blüte der Obstbäume geht mitten hindurch, weiß und betäubend zugleich, zweideutig wie eine Braut. Das ist der heidnische Blick, womit wir der Wiese, die Wiese uns entgegensieht."

Verstehe das, wer wolle – und lese nach in der FR, die den Bloch-Text anbietet und mit einem Pusteblümchen-Foto ziert.

Es sei noch rasch erwähnt, dass in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Susanne Weinharts kul¬turanalytische Reflexionen über den Wechsel von der Garage zum Carport ebenso witzig und auf¬schlussreich sind, wie – nun abzüglich von Witzigkeit – Jens Biskys Bericht "Die Hebamme der Poesie," der von einem sprach¬¬philo¬sophischen Abend in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften handelt.

Mit dem kruden Ernst Nolte begannen wir, wir enden mit dem Großmeister der allerleichtesten Muse: James Last. Über den 100-Millonen-Platten-Musikus schreibt unter dem definitiv richtigen Titel Auf der Bugwelle des Traumschiffs SZ-Autor Helmut Mauró – und siehe da! auch Mauró liebt es süffisant:

"Wenn es etwa in "What Now My Love” allzu schlicht wird, schleicht sich, kaum hör¬bar, ein Jazzpianist dazu und klopft ein paar schräge Takte dazwischen. Es sind erlesen skur¬rile Momente im Meer des Glücks, in dem manche oben schwimmen und andere so¬fort ertrinken. Beides möchte man nicht."

Ach, ja. Der Grund für all die James-Last-Artikel in den Feuilletons ist dessen 80. Geburtstag. Wir schnippen zum Glückwunsch die Finger.