Von Arno Orzessek

Die „FAZ“ befasst sich mit dem Weltfinanzgipfel und folgert, dass die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten noch nicht am Ende ist. Die „Süddeutsche“ analysiert, warum es keine Protestbewegung mehr gibt. Und der Regisseur Werner Schroeter bekennt sich in der „Welt“ zum Christentum.
Der Weltfinanzgipfel beschäftigt vor allem das Feuilleton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.

Gina Thomas behauptet mit Blick auf den selbst- und stilsicheren Auftritt des Ehepaars Obama, das Londoner Treffen setze „alle ins Unrecht, die schon seit einiger Zeit verkünden, dass die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten am Ende sei“.

Ihre These untermauert Gina Thomas mit symbolpolitischen Reflexionen. Sie springt mal kurz von der Residenz des amerikanischen Botschafters, wo Barack Obama den chinesischen und den russischen Präsidenten empfangen hat, zum „Feld des Güldenen Tuches“ nahe Calais. Dort kam es 1520 zum Treffen zwischen Franz I. von Frankreich und dem englischen König Heinrich VIII. – Hügel wurden planiert, damit keiner zum anderen aufschauen musste.

Die Anekdote in der FAZ liest sich etwas gewollt – so, als müsse da jemand dem Mantel der Geschichte kräftig unter den Saum blasen.

Eine schöne Schlussbetrachtung gelingt Gina Thomas aber doch. Sie schreibt:

„Als der australische Premierminister sich 1992 anmaßte, den Rücken der Königin mit seiner Hand zu berühren, machte das königliche Protokoll keinen Hehl aus seiner Missbilligung. Mit Michelle Obama ist es anders. Das Bild der alten Dame [der Königin], Arm in Arm mit ihrer jungen Besucherin, sagt mehr als große Reden.“

Auf die zügige geopolitische Auswertung des Finanzgipfels will in der FAZ auch Mark Siemons hinaus. Er referiert eine Meinungsumfrage im Auftrag unter anderem der BBC.

Und siehe da! Jetzt rücken die Chinesen vor. Sie schlagen in puncto glorioses Selbstbild selbst die US-Amerikaner bei weitem.

„92 Prozent [der befragten Chinesen] sind davon überzeugt, dass ihr Einfluss auf die Welt günstig ist“ berichtet Mark Siemons und macht sich dann einen Reim auf die Gründe:

„Im chinesischen Alltag überlebt nur, wer auf eine Vielzahl sich ständig ändernder, oft unklarer Umstände geschmeidig reagieren kann. Dieses Training könnte für die Krise ein psychologischer Vorteil sein. […] Alle Handlungen und Transaktionen stehen ohnehin unter Vorbehalt.“

So Weltdeuter Mark Siemons in der FAZ – womit wir ins Mark des Zeitalters vorgestoßen sind und in dieser Presseschau keine kleineren Themen mehr dulden können.

Glücklicherweise schreibt Andrian Kreye in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ebenfalls über ein echtes Welttheater-Thema, den „Protest in der Krise“.

„Was fehlt [so Andrian Kreye], ist klar. Eine Ideologie. Eine klar definierte Bewegung. Köpfe, Sprecher, Vordenker. Was stört, [ist] ebenfalls [klar]: die Ritualisierung des Protests in der Popkultur einer Gesellschaft, die aus der Rebellion eine Tugend und aus dem Rebellen einen vermarktbaren Mythos gemacht hat.“

Uns scheint, dass SZ-Autor Kreye allzu Vieles und Verschiedenes in das „Protest“ genannte Korsett zwängt. Trotzdem hier sein Resümee – in Form einer Frage:

„Wie soll sich eine gesichtslose junge Linke in einer Welt positionieren, in der Osama bin Laden den Antikolonialismus gekapert hat, in der sich der Papst als Antikapitalist gebärdet und der mächtigste Mann der Welt die progressiven Themen rhetorisch ins Weiße Haus geholt hat?“

Als wäre er im gleichen Gedankenfluss, verkündet in der Tageszeitung DIE WELT der Film- und Bühnenregisseur Werner Schroeter: „Das Gegenmodell zum Materialismus fehlt.“

In dem von Rüdiger Suchsland geführten Interview bekennt sich Schroeter zum Christentum und betont:

„Der Sozialismus ist keineswegs eine Glaubensfrage, sondern eine Sache des Verstandes. Er scheitert an der Psychologie des Menschen. Er ist leider nicht so haltbar wie das Christentum, das ja die Verbrechen der Kirche überlebt hat.“

Genug der großen Worte – wir kommen zum Tod. Seit Jahren leidet Werner Schroeter an Krebs. Im WELT-Interview behauptet er, dass Angst, zumal Todesangst, nicht produktiv sein kann – vielleicht mit einer Einschränkung:

„Angst kann bestenfalls zu sinnvollen Paniktaten führen. Wie dazu, einen Diktator zu erschießen. Davon handelt ja auch mein neuer Film.“

Werner Schroeters neuer Film heißt „Die Nacht“.