Von Arno Orzessek
Die Feuilletons widmeten sich in der vergangenen Woche der Uraufführung von Schlingensiefs "Mea Culpa" am Wiener Burgtheater. Die "Süddeutsche" bezeichnet Maxim Biller als "Jammer-Wessi". Und die "FAZ" nimmt den "Zeit"-Chefredakteur Giovanni de Lorenzo aufs Korn.
Über dem Wochenbeginn lagen Todesschatten. Alle Feuilletons besprachen "Mea Culpa", die Readymade-Oper des lungenkrebskranken Christoph Schlingensief, die am Wiener Burgtheater aufgeführt wurde.
Mit bemerkenswerter Leidenschaft für schwül-großartige Metaphern schrieb Peter Michalzik in der FRANKURTER RUNDSCHAU:
"Schlingensief stellt sein Innerstes so deutlich aus, dass es wie eine Passionsfrucht inmitten der meist finsteren Bühne schwebt, tropfend vom roten Saft des bitter Erfahrenen, zu praller Reife gebracht von der dunklen Sonne des Durchlebten. Entweder leiden wir an diesem Abend mit, oder wir erleben nichts."
Die tropfende Passionsfrucht in der FR, behaupten wir, muss einer genmanipulierten Stilblüte entwachsen sein. Wir lasen und litten.
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG hielt Paul Jandl größere Distanz zum "Mea Culpa"-Abend am Burgtheater:
"Alles und nichts lässt sich gegen Schlingensiefs dadaistisches Theater der Selbstentäußerung sagen. Es ist rührend pathetisch und anstrengend komisch zugleich. Zwischen Gurnemanz und Firlefanz setzt der Regisseur seine Bilder auf die Bühne."
Gurnemanz übrigens ist eine Figur aus Richard Wagners "Parsifal", Firlefanz kommt aus dem Französischen und bedeutet so viel wie Tand, aber auch Albernheit und Kinderei.
Dass die Feuilleton-Kollegen Christoph Schlingensief genau das – Tand und Albernheit – unterstellen würden, ahnte Christine Dössel bereits, während sie noch ihre eigene Kritik für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schrieb:
"Wer jetzt wieder ächzt, hier sei ein unbotmäßiger Narziss am Werk, der sein Leben ausschlachtet und zur Kunst stilisiert, sperrt sich gegen die Teilhabe, die Schlingensief uns gewährt."
Für Freunde des Hauen und Stechens der Blätter und ihrer Autoren untereinander hatte die Woche überhaupt einiges zu bieten.
Ebenfalls in der SZ knöpfte sich Lothar Müller Maxim Biller vor, der in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG zwanzig Jahre nach der Wende die Ausbreitung einer Art DDR-Duckmäusertums und den Untergang des Individualismus bemerkt und bemängelt hatte.
SZ-Autor Lothar Müller schlug heftig zurück:
"Früh muss dieser Individualismus gealtert sein, dass er nun Klageweiber wie diesen Jammer-Wessi [Maxim Biller] hervorbringt, der die Welt seiner Jugend verklärt, seine Westalgie pflegt und der Gegenwart grummelnd gram ist wie nur je ein spießiger Rentner in einem mittelmäßigen Sketch."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG nahm Thomas Thiel Giovanni de Lorenzo aufs Korn. Der ist Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT und hatte sich die hundertfünfzigtausendfach verteilte Fälschung seines Blatts durch Publizisten von Attac damit erklärt, dass man halt die "größte überregionale Qualitätszeitung" sei.
Thomas Thiel fühlte sich – oder die FAZ – irgendwie beleidigt und spottete:
"Dass einem Chefredakteur das eigene Blatt manchmal so nahesteht, dass er nichts anderes mehr wahrnimmt, mag man als Beispiel gelungener Integration am Arbeitsplatz betrachten. Dass die 'Zeit' den Globalisierungsgegnern als der für alles aufnahmebereite Container ihres Anliegens erschien, könnte di Lorenzo aber über den Tag hinaus beschäftigen."
Unbeschadet von dieser Attacke wandte sich das ZEIT-Feuilleton ernsteren Problemen zu und beendete mit dem Artikel "Ein Monster in Trümmern" die Serie "Was kommt nach Amerika?"
"Es ist nicht die Freiheit an sich, die uns schadet [schrieb der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei]. Es ist die Ideologie der Freiheit. In Amerika dient die Freiheit als eine Art Superideologie, die alles rechtfertigt. Ebendeshalb ist sie zum System erstarrt. […] Die Krise muss andauern, nicht damit unsere Lebensgrundlagen weiter zerstört werden, aber damit die alten Strukturen irreparablen Schaden erleiden und etwas Bedeutungsvolles, Neues entstehen kann."
Den angesichts der Bonuszahlungen an AIG-Manager überkochende Volkszorn in den USA nahm die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zum Anlass, um über die wenigen Vorzüge und vielen Nachteile von Populismus nachzudenken. Petra Steinberger warnte:
"Wenn sich die Wut gegen die Eliten richtet, die 'Geldigen', die Banker, die Reichen, die Manager, dann ist der Weg in die Paranoia, Xenophobie und Antisemitismus oft nicht weit."
In diesen Zusammenhang gehört ein Artikel von Gina Thomas. Sie erwähnte in der FAZ den marxistischen Anthropologie-Professor Chris Knight von der University of East London. Knight hofft, dass es beim kommenden G-20-Gipfel in London von Seiten der wütenden Protestler bei "Trockenübungen" bleibt, schließt aber auch nicht aus, dass man demnächst "leibhaftige Banker von den Laternenpfählen hängen" sieht.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG berichtete über den Niedergang der Publizistik in den USA, wie er sich am Bericht zur "Lage der Nachrichtenmedien" ablesen lässt.
"Die Forscher beobachten eine 'deutliche Verengung' der Berichterstattungsagenda. […] So habe 2008 die Hälfte der verbreiteten Nachrichten nur zwei Themen gegolten, dem Präsidentschaftswahlkampf und der 'metastasierenden Wirtschaftskrise'."
Zum Wohle der publizistischen Vielfalt und Qualität in Deutschland sind zwei ältere Herren angetreten.
Alfred Neven DuMont – oder korrekt: das Verlagshaus DuMont Schauberg – hat die BERLINER ZEITUNG, den BERLINER KURIER und das HAMBURGER ABENDBLATT übernommen. Dieter von Holtzbrinck kassierte aus der Mediengruppe seiner Geschwister das HANDELSBLATT, den TAGESSPIEGEL und die Hälfte der ZEIT ein.
Für die vielen Autoren, die über Neven DuMonts und von Holtzbrincks Aktivitäten mit insgesamt positiver Tendenz berichtet haben, sei hier Michael Hanfeld zitiert. Er jubelte in der FAZ: "Es gibt noch Verleger im Land, die an das gedruckte Wort glauben."
Und es gibt noch Feuilletonisten, die mit Vergnügen Opel fahren. Edo Reents jedenfalls, auch von der FAZ, fand die Tour mit einem blauen Opel Rekord von 1974, die er ausdrücklich auf Geheiß seines Chefs antrat - wer immer damit gemeint ist –, nett und würdevoll.
In der FAZ-Samstagsausgabe berichtete Reents ganzseitig über "Eine Fahrt aus der Krise, zurück in das Glück". Das Foto zeigte den Autor vor der Statue von Adam Opel am Werkstor in Rüsselsheim und vor einem Opel Rekord, dessen Blau so schön ist wie ein optimistischer Frühlingshimmel.
Opel sei Dank! Größere Gemütserfrischungen als dieses Blau haben wir im Feuilleton der ganzen letzten Woche nicht gefunden
Mit bemerkenswerter Leidenschaft für schwül-großartige Metaphern schrieb Peter Michalzik in der FRANKURTER RUNDSCHAU:
"Schlingensief stellt sein Innerstes so deutlich aus, dass es wie eine Passionsfrucht inmitten der meist finsteren Bühne schwebt, tropfend vom roten Saft des bitter Erfahrenen, zu praller Reife gebracht von der dunklen Sonne des Durchlebten. Entweder leiden wir an diesem Abend mit, oder wir erleben nichts."
Die tropfende Passionsfrucht in der FR, behaupten wir, muss einer genmanipulierten Stilblüte entwachsen sein. Wir lasen und litten.
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG hielt Paul Jandl größere Distanz zum "Mea Culpa"-Abend am Burgtheater:
"Alles und nichts lässt sich gegen Schlingensiefs dadaistisches Theater der Selbstentäußerung sagen. Es ist rührend pathetisch und anstrengend komisch zugleich. Zwischen Gurnemanz und Firlefanz setzt der Regisseur seine Bilder auf die Bühne."
Gurnemanz übrigens ist eine Figur aus Richard Wagners "Parsifal", Firlefanz kommt aus dem Französischen und bedeutet so viel wie Tand, aber auch Albernheit und Kinderei.
Dass die Feuilleton-Kollegen Christoph Schlingensief genau das – Tand und Albernheit – unterstellen würden, ahnte Christine Dössel bereits, während sie noch ihre eigene Kritik für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schrieb:
"Wer jetzt wieder ächzt, hier sei ein unbotmäßiger Narziss am Werk, der sein Leben ausschlachtet und zur Kunst stilisiert, sperrt sich gegen die Teilhabe, die Schlingensief uns gewährt."
Für Freunde des Hauen und Stechens der Blätter und ihrer Autoren untereinander hatte die Woche überhaupt einiges zu bieten.
Ebenfalls in der SZ knöpfte sich Lothar Müller Maxim Biller vor, der in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG zwanzig Jahre nach der Wende die Ausbreitung einer Art DDR-Duckmäusertums und den Untergang des Individualismus bemerkt und bemängelt hatte.
SZ-Autor Lothar Müller schlug heftig zurück:
"Früh muss dieser Individualismus gealtert sein, dass er nun Klageweiber wie diesen Jammer-Wessi [Maxim Biller] hervorbringt, der die Welt seiner Jugend verklärt, seine Westalgie pflegt und der Gegenwart grummelnd gram ist wie nur je ein spießiger Rentner in einem mittelmäßigen Sketch."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG nahm Thomas Thiel Giovanni de Lorenzo aufs Korn. Der ist Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT und hatte sich die hundertfünfzigtausendfach verteilte Fälschung seines Blatts durch Publizisten von Attac damit erklärt, dass man halt die "größte überregionale Qualitätszeitung" sei.
Thomas Thiel fühlte sich – oder die FAZ – irgendwie beleidigt und spottete:
"Dass einem Chefredakteur das eigene Blatt manchmal so nahesteht, dass er nichts anderes mehr wahrnimmt, mag man als Beispiel gelungener Integration am Arbeitsplatz betrachten. Dass die 'Zeit' den Globalisierungsgegnern als der für alles aufnahmebereite Container ihres Anliegens erschien, könnte di Lorenzo aber über den Tag hinaus beschäftigen."
Unbeschadet von dieser Attacke wandte sich das ZEIT-Feuilleton ernsteren Problemen zu und beendete mit dem Artikel "Ein Monster in Trümmern" die Serie "Was kommt nach Amerika?"
"Es ist nicht die Freiheit an sich, die uns schadet [schrieb der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei]. Es ist die Ideologie der Freiheit. In Amerika dient die Freiheit als eine Art Superideologie, die alles rechtfertigt. Ebendeshalb ist sie zum System erstarrt. […] Die Krise muss andauern, nicht damit unsere Lebensgrundlagen weiter zerstört werden, aber damit die alten Strukturen irreparablen Schaden erleiden und etwas Bedeutungsvolles, Neues entstehen kann."
Den angesichts der Bonuszahlungen an AIG-Manager überkochende Volkszorn in den USA nahm die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zum Anlass, um über die wenigen Vorzüge und vielen Nachteile von Populismus nachzudenken. Petra Steinberger warnte:
"Wenn sich die Wut gegen die Eliten richtet, die 'Geldigen', die Banker, die Reichen, die Manager, dann ist der Weg in die Paranoia, Xenophobie und Antisemitismus oft nicht weit."
In diesen Zusammenhang gehört ein Artikel von Gina Thomas. Sie erwähnte in der FAZ den marxistischen Anthropologie-Professor Chris Knight von der University of East London. Knight hofft, dass es beim kommenden G-20-Gipfel in London von Seiten der wütenden Protestler bei "Trockenübungen" bleibt, schließt aber auch nicht aus, dass man demnächst "leibhaftige Banker von den Laternenpfählen hängen" sieht.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG berichtete über den Niedergang der Publizistik in den USA, wie er sich am Bericht zur "Lage der Nachrichtenmedien" ablesen lässt.
"Die Forscher beobachten eine 'deutliche Verengung' der Berichterstattungsagenda. […] So habe 2008 die Hälfte der verbreiteten Nachrichten nur zwei Themen gegolten, dem Präsidentschaftswahlkampf und der 'metastasierenden Wirtschaftskrise'."
Zum Wohle der publizistischen Vielfalt und Qualität in Deutschland sind zwei ältere Herren angetreten.
Alfred Neven DuMont – oder korrekt: das Verlagshaus DuMont Schauberg – hat die BERLINER ZEITUNG, den BERLINER KURIER und das HAMBURGER ABENDBLATT übernommen. Dieter von Holtzbrinck kassierte aus der Mediengruppe seiner Geschwister das HANDELSBLATT, den TAGESSPIEGEL und die Hälfte der ZEIT ein.
Für die vielen Autoren, die über Neven DuMonts und von Holtzbrincks Aktivitäten mit insgesamt positiver Tendenz berichtet haben, sei hier Michael Hanfeld zitiert. Er jubelte in der FAZ: "Es gibt noch Verleger im Land, die an das gedruckte Wort glauben."
Und es gibt noch Feuilletonisten, die mit Vergnügen Opel fahren. Edo Reents jedenfalls, auch von der FAZ, fand die Tour mit einem blauen Opel Rekord von 1974, die er ausdrücklich auf Geheiß seines Chefs antrat - wer immer damit gemeint ist –, nett und würdevoll.
In der FAZ-Samstagsausgabe berichtete Reents ganzseitig über "Eine Fahrt aus der Krise, zurück in das Glück". Das Foto zeigte den Autor vor der Statue von Adam Opel am Werkstor in Rüsselsheim und vor einem Opel Rekord, dessen Blau so schön ist wie ein optimistischer Frühlingshimmel.
Opel sei Dank! Größere Gemütserfrischungen als dieses Blau haben wir im Feuilleton der ganzen letzten Woche nicht gefunden