Von Arno Orzessek
Die Feuilletons ehren den vor 100 Jahren geborenen Historiker und Schriftsteller Golo Mann als "Schöngeist und engagierten Intellektuellen". Außerdem in den Feuilleton: Dieter von Holtzbrinck übernimmt die überregionalen Zeitungen "Handelsblatt", "Tagesspiegel" und die Hälfte der "Zeit". Und die Neue Zürcher erinnert an Baron George Eugène Haussmann, der vor 200 Jahren geboren wurde.
"Schlank und etwas chinesenhaft" fand Thomas Mann seinen Sohn Angelus Gottfried Thomas, kurz: Golo, als dieser vor 100 Jahren zur Welt gekommen war.
Wie immer man sich einen chinesenhaften Säugling vorzustellen hat: Es ist etwas Großes aus ihm geworden, ein Mann, der Geschichte so glänzend altertümlich-packend erzählen konnte wie Jacob Burckhardt im 19. Jahrhundert. Weshalb er vom Bielefelder Fachkollegen Hans-Ulrich Wehler als "Goldrähmchenerzähler" verspottet wurde.
Die meisten Artikel zum 100. Geburtstag Golo Manns, der 1994 in Leverkusen gestorben ist, sind gleichzeitig Rezensionen der Golo-Mann-Biographie des Historikers Tilmann Lahme, die im S. Fischer Verlag erschienen ist.
Unter dem Titel "Außenseiter, Spitzenreiter", der auf den Publikumserfolg von Golo Manns Wallenstein-Biographie anspielt, gibt Christian Schröder im Berliner TAGESSPIEGEL eine knappe Einführung in Leben und Werk der Edelfeder:
"Golo Mann war zugleich Schöngeist und engagierter Intellektueller. Als Student schreibt er Pamphlete gegen die nationalsozialistischen Studentenverbände, im amerikanischen Exil redet er, ähnlich wie sein Vater, mit Radioansprachen den alten Landsleuten ins Gewissen. 'Golo nimmt mir die Worte vom Mund', lobt Thomas Mann ihn dafür."
In der FRANKFURTER RUNDSCHAU stellt Harry Nutt in einem nüchtern-umfangreichen Artikel ein "Schwermütiges Kind in schwieriger Zeit" vor, das "altklug, zugleich devot und ungeschickt" war. Harry Nutt weiter:
"Wahrscheinlich wäre es Golo Mann nicht recht gewesen, dass zu seinem 100. Geburtstag nun sein Sexualleben ausführlich dargestellt […] wird. Es ist das große Verdienst Tilman Lahmes, das intime Details der Lebensgeschichte Manns auf keiner Seite als Indiskretion kommuniziert werden. Manns Homosexualität war ein prägender, keineswegs dominierender Teil der Entwicklungsgeschichte."
Die enthusiastischste Golo-Mann-Geburtsfeier veranstaltet erwartungsgemäß in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Gustav Seibt, der Mann mit der Mann-Manie. Über den Tausendseiter "Deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert", den Golo Mann 1958 vorgelegt hat, schreibt Gustav Seibt:
"Dieses Buch heute, nach einem halbe Jahrhundert, wieder aufzuschlagen, ist wie ein höheres, platonisches Wiederfinden: Nach all den Forschungen und Debatten einer unendlich verzweigten Fachwissenschaft ist hier immer noch das meiste richtig, das Urteil von traumwandlerischer Sicherheit, gespeist aus eigenem Miterleben, bereichert von kluger, literarisch geschulter Phantasie […]. Und es ist […] immer noch das Buch, das man einem intelligenten Fünfzehnjährigen in die Hand drücken kann, ohne ihm die Zeit zu verderben."
Behauptet in der SZ Gustav Seibt – und den 15-Jährigen möchten wir kennenlernen, der sich mit Golo Mann auf die Lesecouch verzieht.
Wir bleiben bei älteren Männern und kommen zu Dieter von Holtzbrinck, dem 67-jährigen Verleger, der aus der Mediengruppe seiner Geschwister nun die überregionalen Zeitungen übernimmt – das "Handelsblatt", den "Tagesspiegel" und die Hälfte der "Zeit".
"Es gibt noch Verleger im Land, die an das gedruckte Wort glauben" jubelt Michael Hanfeld in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, schränkt aber sogleich ein:
"Eher unerfreut dürften die Kollegen […] vernehmen, dass Dieter von Holtzbrinck den früheren Manager Rolf Grabner mitzurückbringen will, der […] als extremer Kostendrücker gilt. Doch auch jetzt schon sind im Hause 'Handelsblatt' Mitarbeiter einer Unternehmensberatung unterwegs, welche die Effizienz eines jeden einzelnen Redakteurs vermessen sollen.""
Als rücksichtslos, als Zerstörer des mittelalterlichen, verwinkelt-pittoresken Paris galt lange auch Baron George Eugène Haussmann, der unter Napoleon III. ganze Quartiere von Vergangenheit aus der Stadt an der Seine hinausgefegt hat. Er wurde "Attila" genannt.
Zum 200. Geburtstag des Barons beschreibt Marc Zitzsmann in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, wie sich das Bild in den letzten Jahrzehnten verändert hat:
"Heute gestalten bürgerliche Vorstädte ihre neuen Wohnviertel gern nach neohaussmannschen Prinzipien. Der Attila von einst gilt nunmehr als 'Kristallisator' von 'natürlichen' Tendenzen der Pariser Stadtentwicklung, die schon lange in der Luft lagen."
Die heutige Kulturpresseschau ist schon darum unzureichend, weil weder auf Autorenseite noch unter den Kulturmenschen eine einzige Frau vorkam. Dabei bleibt es allerdings auch. Der Haussmann-Artikel in der NZZ liefert nämlich eine Verszeile, die würdig ist, mit ihr zu enden – und sie stammt von Charles Baudelaires:
"Die Gestalt einer Stadt wechselt rascher, ach!, als das Herz eines Sterblichen."
Wie immer man sich einen chinesenhaften Säugling vorzustellen hat: Es ist etwas Großes aus ihm geworden, ein Mann, der Geschichte so glänzend altertümlich-packend erzählen konnte wie Jacob Burckhardt im 19. Jahrhundert. Weshalb er vom Bielefelder Fachkollegen Hans-Ulrich Wehler als "Goldrähmchenerzähler" verspottet wurde.
Die meisten Artikel zum 100. Geburtstag Golo Manns, der 1994 in Leverkusen gestorben ist, sind gleichzeitig Rezensionen der Golo-Mann-Biographie des Historikers Tilmann Lahme, die im S. Fischer Verlag erschienen ist.
Unter dem Titel "Außenseiter, Spitzenreiter", der auf den Publikumserfolg von Golo Manns Wallenstein-Biographie anspielt, gibt Christian Schröder im Berliner TAGESSPIEGEL eine knappe Einführung in Leben und Werk der Edelfeder:
"Golo Mann war zugleich Schöngeist und engagierter Intellektueller. Als Student schreibt er Pamphlete gegen die nationalsozialistischen Studentenverbände, im amerikanischen Exil redet er, ähnlich wie sein Vater, mit Radioansprachen den alten Landsleuten ins Gewissen. 'Golo nimmt mir die Worte vom Mund', lobt Thomas Mann ihn dafür."
In der FRANKFURTER RUNDSCHAU stellt Harry Nutt in einem nüchtern-umfangreichen Artikel ein "Schwermütiges Kind in schwieriger Zeit" vor, das "altklug, zugleich devot und ungeschickt" war. Harry Nutt weiter:
"Wahrscheinlich wäre es Golo Mann nicht recht gewesen, dass zu seinem 100. Geburtstag nun sein Sexualleben ausführlich dargestellt […] wird. Es ist das große Verdienst Tilman Lahmes, das intime Details der Lebensgeschichte Manns auf keiner Seite als Indiskretion kommuniziert werden. Manns Homosexualität war ein prägender, keineswegs dominierender Teil der Entwicklungsgeschichte."
Die enthusiastischste Golo-Mann-Geburtsfeier veranstaltet erwartungsgemäß in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Gustav Seibt, der Mann mit der Mann-Manie. Über den Tausendseiter "Deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert", den Golo Mann 1958 vorgelegt hat, schreibt Gustav Seibt:
"Dieses Buch heute, nach einem halbe Jahrhundert, wieder aufzuschlagen, ist wie ein höheres, platonisches Wiederfinden: Nach all den Forschungen und Debatten einer unendlich verzweigten Fachwissenschaft ist hier immer noch das meiste richtig, das Urteil von traumwandlerischer Sicherheit, gespeist aus eigenem Miterleben, bereichert von kluger, literarisch geschulter Phantasie […]. Und es ist […] immer noch das Buch, das man einem intelligenten Fünfzehnjährigen in die Hand drücken kann, ohne ihm die Zeit zu verderben."
Behauptet in der SZ Gustav Seibt – und den 15-Jährigen möchten wir kennenlernen, der sich mit Golo Mann auf die Lesecouch verzieht.
Wir bleiben bei älteren Männern und kommen zu Dieter von Holtzbrinck, dem 67-jährigen Verleger, der aus der Mediengruppe seiner Geschwister nun die überregionalen Zeitungen übernimmt – das "Handelsblatt", den "Tagesspiegel" und die Hälfte der "Zeit".
"Es gibt noch Verleger im Land, die an das gedruckte Wort glauben" jubelt Michael Hanfeld in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, schränkt aber sogleich ein:
"Eher unerfreut dürften die Kollegen […] vernehmen, dass Dieter von Holtzbrinck den früheren Manager Rolf Grabner mitzurückbringen will, der […] als extremer Kostendrücker gilt. Doch auch jetzt schon sind im Hause 'Handelsblatt' Mitarbeiter einer Unternehmensberatung unterwegs, welche die Effizienz eines jeden einzelnen Redakteurs vermessen sollen.""
Als rücksichtslos, als Zerstörer des mittelalterlichen, verwinkelt-pittoresken Paris galt lange auch Baron George Eugène Haussmann, der unter Napoleon III. ganze Quartiere von Vergangenheit aus der Stadt an der Seine hinausgefegt hat. Er wurde "Attila" genannt.
Zum 200. Geburtstag des Barons beschreibt Marc Zitzsmann in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, wie sich das Bild in den letzten Jahrzehnten verändert hat:
"Heute gestalten bürgerliche Vorstädte ihre neuen Wohnviertel gern nach neohaussmannschen Prinzipien. Der Attila von einst gilt nunmehr als 'Kristallisator' von 'natürlichen' Tendenzen der Pariser Stadtentwicklung, die schon lange in der Luft lagen."
Die heutige Kulturpresseschau ist schon darum unzureichend, weil weder auf Autorenseite noch unter den Kulturmenschen eine einzige Frau vorkam. Dabei bleibt es allerdings auch. Der Haussmann-Artikel in der NZZ liefert nämlich eine Verszeile, die würdig ist, mit ihr zu enden – und sie stammt von Charles Baudelaires:
"Die Gestalt einer Stadt wechselt rascher, ach!, als das Herz eines Sterblichen."