Von Arno Orzessek

In der "Tageszeitung" wird das Musical "The Black Rider" mit der Musik von Tom Waits besprochen, die "Süddeutsche Zeitung" hat sich Andrew Dominiks Film "Killing Them Softly“ angeschaut, und die "Die Welt" berichtet, dass die Arbeit am epochalen Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm eingestellt wird.
"Willkommen, ihr Müden und Erschöpften. Lasst euch fallen, die Musik will euch tragen. Durch Nacht und Rausch, Traum und Wahn. Vielleicht auch durch die Erinnerung an eine Zeit, als Ausbruch und Aufbruch noch nicht vom Absturz überschattet waren - aber waren sie das nicht schon immer?" -

Wow! sagen wir. Das muss ja ein Musical sein, das Katrin Bettina Müller in der TAGESZEITUNG zu solch samtig-elegischen Worten motiviert.

Müller bespricht "The Black Rider" mit Musik von Tom Waits und einem Text von William Burroughs. Robert Wilson brachte das Stück einst im Hamburger Thalia-Theater heraus. Nun hat es die Regisseurin Friederike Heller mit der Band Kante und Schauspielern der Berliner Schaubühne inszeniert.

Manches Detail fällt bei TAZ-Autorin Müller durch - am Ende aber resümiert sie:

"Die Musik fängt das auf."

Noch begeisterter feiert Jan Brachmann das Gastspiel von Antonio Pappano mit der Accademia di Santa Cecilia in Berlin.

"Da geht einem doch das Herz auf!" [Ausrufezeichen]", jubelt Brachmann unter dem schmackhaften Titel ""Walzerstrudel mit Weltenwonne" in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und lobt die Aufführung von Schumanns zweiter Symphonie:

"Das Scherzo ein Kabinettstück tollkühner Virtuosität, das Adagio ein romantischer Traum voller Düsternis und Morgendämmerung. Schwerelos schweben die Holzbläser über den Streichern, wie Geister über den Wassern. Und im Finale: großes Pathos als Resultat von völlig in Energie verwandelter Konstruktion." -

Nicht nach Musik, nach Worten süchtig sind laut der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die Protagonisten in Andrew Dominiks Film "Killing Them Softly". Brad Pitt spielt den Auftragsmörder Jackie Cogan, und der fragt, wen auch immer - die Bildunterschrift lässt es offen:

"’Schon mal jemanden umgebracht? Sie werden sentimental, emotional, sie machen Theater. Sie flehen und betteln, sie rufen nach ihren Müttern. Ich ziehe es vor, sie sanft zu töten.’"

Derartiges Herumquasseln ist typisch für "Killing Them Softly", hebt SZ-Autor Tobias Kniebe hervor:

"Die Gangster […] erklären ellenlang, warum sie jemandem trauen oder nicht, warum dieses Ding eine todsichere Sache ist, jenes aber nicht, warum man den Job so oder so erledigen könnte […]. Wenn das geklärt ist, reden sie immer noch: über Sex und über Eifersucht […] und darüber, dass junge jüdische Mädchen schlicht und einfach die besten Nutten abgeben. Punkt. Reden ist ihre eigentliche Passion - und der Tod scheint vor allem darum ein Problem zu sein, weil man danach für immer den Mund halten muss."

Natürlich fällt Jackie Cogan auch etwas ein, als Barack Obama einmal im Fernsehen in einer Bar Gutes über die Amerikaner sagt.

"’Dieser Kerl will mir weismachen, dass wir in einer Gemeinschaft leben? [lästert Cogan]. Das ich nicht lache! Ich lebe in Amerika, und in Amerika bist du allein. Amerika ist kein Land. Amerika ist nur ein Business.’" -

Und? fragen Sie jetzt womöglich… Will der heute nur aus Rezensionsfeuilletons zitieren?

Genau so ist es. In den Feuilletons gibt’s nämlich fast nur Rezensionen. Zumal Falko Henning in der "Schimpfwortkunde" der BERLINER ZEITUNG auch nichts anderes tut, als ein Wort - und zwar "’Die Fotze’" - zu rezensieren und markanten Verwendungen nachzuspüren.

"So beschimpft Rainald Goetz 1986 in ‚Krieg. Hirn’ eine ‚verhungerte Germanistenfotze’. […] Und vom Poetry-Slam Dichter Lasse Samström stammt der sprachlich saubere Schüttelreim: ‚Frag mich nicht, du Fotzenkind, warum ich dich zum Kotzen find’."

Hennings Resümee:

"Die Rückeroberung und die sittliche Hebung des Wortes ‚Fotze’ ist überfällig, der Kampf geht weiter."

Falls Sie im Familienkreis zuhören, liebe Eltern: Erklären Sie das jetzt bitte Ihren wohlerzogenen Kindern!

Hier folgt nur noch ein sauberer Schluss. Die Tageszeitung DIE WELT berichtet, dass die Arbeit am epochalen Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm eingestellt wird - "an seine Stelle tritt ein digitales Nachschlagewerk".

Und so bleiben wir alle in jenem Gewebe gefangen, das in der WELT zur Überschrift wurde, nämlich "Im Netz der Wörter".