Von Arno Orzessek

Alle bekommen ihr Fett weg: René Pollesch für sein Stück "Neues vom Dauerzustand" in der "FR", Rainald Goetz für seinen Roman "Johann Holtrop" in der "SZ" und Bob Dylan für sein Album "Tempest" in der "Berliner Zeitung".
Die Nörgler und die Nölenden sind in den Feuilletons so präsent, dass sie auch hier sofort zu Wort kommen sollen.

In der FRANKFURTER RUNDSCHAU bekundet Anke Dürr ihren Unmut über René Polleschs Bühnenstück "Neues vom Dauerzustand" am Hamburger Schauspielhaus.

"Es ging bei (Pollesch) ja noch nie darum, eine Geschichte zu erzählen oder Lösungen zu bieten, aber an diesem Abend wird nicht einmal das Problem klar. Ein bisschen Filmgeballer und privater Liebeskummer, eine Prise Adorno, ein wenig Hedonismus-Lob, ein paar Globalisierungssprüche. Dazwischen eine Menge Löcher, die zu viel Zeit zum Nachdenken über dieses Textchen lassen."

Rainald Goetz’ Roman "Johann Holtrop" ist mit 343 Seiten mehr als ein Textchen, überzeugt Lothar Müller aber trotzdem nicht… wie bereits aus der Unterzeile des Artikels

"Der große Rundumschlag gegen die Nullerjahre"

in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hervorgeht:

"Zeitungsstoffe durch den Theoriewolf gedreht, die eigenen Figuren als Flaschen vorgeführt und doch keine Erkenntnis gewonnen: Lang erwartet, groß angekündigt, und am Ende bloß ein Kopfschütteln - Rainald Goetz und sein Roman ‚Johann Holtrop’."

Sogar der unantastbare Bob Dylan bekommt eine Portion Fett weg, zumindest eine kleine.

"Fast wie Shakespeare"

heißt der Artikel von Markus Schneider in der BERLINER ZEITUNG über Dylans neues Album "Tempest".

Leise-mokant konzediert die Unterzeile:

"Es ist natürlich schön","

- und da ahnt man schon, dass Schneider nicht restlos begeistert ist. Seine Begründung:

""So beeindruckend Dylans Wortmacht auch ist, man könnte dieses Epos auch als Argument gegen die dauernde olympische Erhebung in der Dylan-Rezeption benutzen. Im Vergleich zu anderen Langstrecken, von ‚Desolation Row’ bis zu ‚Highlands’ fehlt aber nicht nur die brillante, absurde Unschärfe seiner besten Raps. Vor allem klingt die Shantymelodie, in die er es verpackt, seltsam uninspiriert."

Der inspirationslose Abstieg vom Ex-Late-Night-König Harald Schmidt vollzieht sich mittlerweile im Pay-TV-Sender Sky. Allerdings guckt kaum einer hin, wie der Berliner TAGESSPIEGEL schreibt:

"Nachdem die Show beim Debüt am Dienstag schon nur 20.000 Sky-Zuschauer interessiert hatte, fiel sie am Mittwoch auf 10.000 und am Donnerstag auf offiziell 0,00 Millionen, unter die 5000er-Marke. So wenig Zuschauer passen locker in ein Fußball-Stadion der Dritten Liga."

So, das war der atmosphärische Tiefpunkt der Kulturpresseschau. Jetzt arbeiten wir uns langsam wieder hoch.

Der Philosoph Ludger Lütkehaus hat die Notizen seines Kollegen Peter Sloterdijk aus den Jahren 2008-2011 gelesen, die bei Suhrkamp unter dem Titel "Zeilen und Tage" erschienen sind, und vermischt in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG etwas verdruckst Lob und Tadel.

"Möglicherweise hat Sloterdijk mit all seiner Brillanz, die dem Kritiker durchaus Bewunderung abnötigt, einen neuen Typus des Philosophen nicht bloß als Themen-, sondern auch als Überproduktionsmaschine kreiert. Die Gabe der freien Rede, über die er vor jedem beliebigen Auditorium im höchsten Mass verfügt, ist vielleicht die selbst gestellte Talentfalle, in die er tappt. Die Themen-Maschine muss nur ein neues Thema nennen. Und schon generiert er eine neue Theorie, ein neues Buch, wenigstens einen neuen Gross-Essay."

Richtig viel Spaß hat hingegen der NZZ-Autor Thomas Strässle mit dem Buch "Faulheit. Eine schwierige Disziplin" von Manfred Koch gehabt:

"Manfred Koch hat einen reichen, klugen, gelehrten, aber gut lesbaren Essay über ein faszinierendes Thema geschrieben. Und vergnüglich ist er noch dazu: Man erfährt zum Beispiel, dass in alpenländischen Ferienorten Therapiekurse angeboten werden, ‚in denen der Gast das meditative Hineinversetzen in das Wiederkäuen der Kühe lernt’ - gelten doch Kühe in ihrer vermeintlich besinnungslosen Trägheit dem Menschen seit je als Gegenmodelle des eigenen Aktivismus."

Bleibt uns zu erwähnen, dass die Tageszeitung DIE WELT vor libidinösem Aktivismus am Arbeitsplatz warnt - und zwar mit der Silbenfolge:

"Nie intim im Team."