Von Arno Orzessek
Die Feuilletons haben nach dem Ausscheiden der deutschen Nationalelf aus der Europameisterschaft die Fußballwunden geleckt, sich mit den Gesten des italienischen Stürmers Balotteli auseinandergesetzt und das parallel zum Halbfinale stattfindende Madonna-Konzert kritisiert.
Beginnen wir mit dem Bild der Woche, das den meisten vertraut sein dürfte. Aber nicht wohl, sondern übel vertraut…
Es ist das Bild des italienischen Stürmers Mario Balotteli nach seinem zweiten Tor gegen Jogis Jungs. Wie er dort steht, das Trikot vom sehnigen schwarzen Leib gerissen, abgewandt vom Publikum, der Kamera-Blicke natürlich umso gewisser, im Gesicht: we¬der Freude noch Triumph, son¬dern gewaltiger Ingrimm.
"[…] [Die] Geste mit den zum eigenen Körper gerichteten Armen und den geballten Fäusten kennen wir […]. Es ist die Geste des stolzen Sklaven, der seinen Körper, nicht aber seinen Geist unterwerfen hat lassen. […] Es ist die Geste, die klarmacht, dass die Ketten zerbrochen werden. Früher oder später", "
schrieb Georg Seeßlen in der TAGESZEITUNG.
Wer nun einwendet ‚Was soll so viel Pathos? Da hat doch nur ein Multimillionär seinen Job erledigt’, der vergisst womöglich, dass Balotelli in Italien krassem Rassismus ausge¬setzt ist.
Und darum lag TAZ-Autor Seeßlen richtig, als er festhielt: ""Dieser Mann hat keine Tore für Italien geschossen, sondern für sich selbst."
Natürlich wurden Balotellis Tore trotzdem für Italien gezählt. Weshalb Jochen Hieber in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG eine düstere "Elegie" veröffentlichte, in der es hieß:
"Das eigentlich und zutiefst Deprimierende an der Italien-Niederlage ist, dass die Spielergeneration der Schweinsteiger, Lahm, Podolski, Özil und Khedira offenbar an die Grenzen ihres technischen Vermögens und ihrer Durchsetzungsfähigkeit geraten ist."
Einspruch! lieber Jochen Hieber. Die deutsche Mannschaft hat gerade nicht an der Oberkante ihres Könnens gespielt, sondern weit darunter.
Außerdem hat Italien den Kairos genutzt - wie Hans-Martin Lohmann in der FRANKFURTER RUNDSCHAU ausführte:
"Im Fußball gewinnt, wer den rechten Augenblick als solchen erkennt und zu fassen weiß (ich sage nur: Balotelli). Es ist eine Sache von Sekundenbruchteilen, denn Kairos ist flüchtig und hat keine Zeit. Ein großes Fußballmatch wird in der Regel nicht durch die biblischen Tugen¬den von Mühe und Arbeit entschieden, sondern allein dadurch, dass ein Team jenen einen unwiederbringlichen Augenblick zu fassen bekommt, in dem es Fortuna zu zwingen vermag und das alles entscheidende Tor erzielt."
Zugleich mit Balotelli in Warschau trat in Berlin Madonna auf, weshalb es unter jenen Fans, die ihr und dem Fußball hörig sind, zu inneren Konflikten kam. Bis zu Ba¬lo¬tellis Toren wur¬den Konzertkarten laut Augenzeugen zum Spottpreis verhökert, nach Balotellis Toren spotteten die Billig-Verkäufer jeder Beschreibung.
Manuel Brug fand in der Tageszeitung DIE WELT an Madonnas Show viel auszusetzen, genoss aber trotzdem große Momente.
Etwa, als Madonna ihren ersten Number-one-Hit vortrug, "Like a virgin", und sich nur vom Klavier begleiten ließ. Für Brug eine tolle Tat, weil Madonna dabei "ihre durchschnittliche Stimme fast schon erbar¬mungs¬los" vorführte.
"Die Diva, die Göttliche offenbart sich zu Füßen ihren Anhängern. Wird menschlich, atmet, ist emphatisch. Und doch gleicht die Erniedrigung einer Himmelfahrt. Wir sind gebannt. Der Zauber von Madonna pur, der wirkt nach."
Das verbindende Dritte zwischen Madonna und Martin Mosebach - ist die Blasphemie. Die Sängerin wurde oft der Gotteslästerung bezichtigt, der altmodische Schriftsteller möchte sie ge¬setzlich verbieten lassen.
Der Schriftstellerkollege Ingo Schulz reagierte in der FRANKFURTER RUNDSCHAU unter der Überschrift "Her mit dem Blasphemie-Verbot!" auf Mosebachs Forderung mit Sarkasmus:
"Schon allein ein Satz wie: ‚Gott ist tot’, wäre bei einem Blasphemiegesetz, wie ich es mir vorstelle, ganz sicher nicht so […] eindimensional ausgefallen. Ein Blasphemiegesetz wäre dem Autor Ansporn und Zuchtmeister gewesen, seine Formulierungskünste in die kühlen Höhen von schillernder Ambivalenz zu treiben, von der Poesie bekanntlich lebt. Und sie hätte den Verfasser zudem vor logischem Unsinn bewahrt, wie er ihm durch die contradictio in adjecto von dem Substantiv ‚Gott’ und dem Adverb ‚tot’ unterlaufen ist."
Selten so geschmunzelt, sagen wir... Und kommen zum Thema Nr. 1 in dieser Woche, der Beschneidung - laut SZ eine "einschneidende Gotteserfahrung" -, die nach einem Urteil des Kölner Landgerichts Körper¬ver¬letzung ist.
In der FAZ klatschte Jürgen Kaube Beifall und argumentierte rigoros:
"Das Kindeswohl kann nicht ausschließlich von Gepflogenheiten einer Religionsgemeinschaft abhängig gemacht werden. Bräuche, die in die körperliche Unversehrtheit eingreifen, sind abzuschaffen. Wer Richtern, die dem folgen, den Vorwurf macht, sie machten den Rechtspositivismus zu einer Ersatzreligion, macht ihnen in Wahrheit das größte Kompliment."
Erwartungsgemäß die gegenteilige Meinung vertrat Michel Friedman in der WELT:
"Die Religionsfreiheit wird durch unser Grundgesetz besonders geschützt. Zur Religionsfreiheit gehört insbesondere die Religionsausübung. Die Beschneidung ist für das Judentum Bestandteil der religiösen Kernidentität. Dies gilt auch für die Muslime."
Was aber passiert, falls sich nach dem Kölner Urteil nun kein Arzt mehr an Beschneidungen alias strafbare Körperverletzungen traut? Für TAZ-Autorin Isolde Charim eine klare Sache:
"Dann wird die Durchführung der Beschneidungen wieder in die Gemeinden zurückverlegt: vom OP zurück auf den Küchentisch. Statt mit einer Lokalanästhesie werden Babys wieder mit drei Tropfen Rotwein ‚betäubt’, und statt eines Arztes werden wieder jene die Beschneidungen durchführen, die das früher auch schon getan haben: die Fleischhauer. Ist das der Königsweg aus der Archaik?"
Das Geburtstagskind der Woche war Jean Jacques Rousseau. Die wärmsten Worte zu seinem 300sten fand die Philosophin Ursula Pia Jauch in der SZ:
"Rousseau hat uns den goldenen Weg zum Traum und zum Tagtraum eröffnet, zur gediegenen Realitätsflucht, zum Überleben im Dennoch, zum Sein ohne Zeit."
Das wünschen wir Ihnen, liebe Hörer: Dass Sie den goldenen Weg zum Tagtraum finden.
Wenn Sie aber wieder zurück sind vom Trip, dann werden Sie zugeben, dass die WELT recht hat, in der die banale Erkenntnis zur Überschrift wurde:
"Es ist nicht alles rosig."
Es ist das Bild des italienischen Stürmers Mario Balotteli nach seinem zweiten Tor gegen Jogis Jungs. Wie er dort steht, das Trikot vom sehnigen schwarzen Leib gerissen, abgewandt vom Publikum, der Kamera-Blicke natürlich umso gewisser, im Gesicht: we¬der Freude noch Triumph, son¬dern gewaltiger Ingrimm.
"[…] [Die] Geste mit den zum eigenen Körper gerichteten Armen und den geballten Fäusten kennen wir […]. Es ist die Geste des stolzen Sklaven, der seinen Körper, nicht aber seinen Geist unterwerfen hat lassen. […] Es ist die Geste, die klarmacht, dass die Ketten zerbrochen werden. Früher oder später", "
schrieb Georg Seeßlen in der TAGESZEITUNG.
Wer nun einwendet ‚Was soll so viel Pathos? Da hat doch nur ein Multimillionär seinen Job erledigt’, der vergisst womöglich, dass Balotelli in Italien krassem Rassismus ausge¬setzt ist.
Und darum lag TAZ-Autor Seeßlen richtig, als er festhielt: ""Dieser Mann hat keine Tore für Italien geschossen, sondern für sich selbst."
Natürlich wurden Balotellis Tore trotzdem für Italien gezählt. Weshalb Jochen Hieber in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG eine düstere "Elegie" veröffentlichte, in der es hieß:
"Das eigentlich und zutiefst Deprimierende an der Italien-Niederlage ist, dass die Spielergeneration der Schweinsteiger, Lahm, Podolski, Özil und Khedira offenbar an die Grenzen ihres technischen Vermögens und ihrer Durchsetzungsfähigkeit geraten ist."
Einspruch! lieber Jochen Hieber. Die deutsche Mannschaft hat gerade nicht an der Oberkante ihres Könnens gespielt, sondern weit darunter.
Außerdem hat Italien den Kairos genutzt - wie Hans-Martin Lohmann in der FRANKFURTER RUNDSCHAU ausführte:
"Im Fußball gewinnt, wer den rechten Augenblick als solchen erkennt und zu fassen weiß (ich sage nur: Balotelli). Es ist eine Sache von Sekundenbruchteilen, denn Kairos ist flüchtig und hat keine Zeit. Ein großes Fußballmatch wird in der Regel nicht durch die biblischen Tugen¬den von Mühe und Arbeit entschieden, sondern allein dadurch, dass ein Team jenen einen unwiederbringlichen Augenblick zu fassen bekommt, in dem es Fortuna zu zwingen vermag und das alles entscheidende Tor erzielt."
Zugleich mit Balotelli in Warschau trat in Berlin Madonna auf, weshalb es unter jenen Fans, die ihr und dem Fußball hörig sind, zu inneren Konflikten kam. Bis zu Ba¬lo¬tellis Toren wur¬den Konzertkarten laut Augenzeugen zum Spottpreis verhökert, nach Balotellis Toren spotteten die Billig-Verkäufer jeder Beschreibung.
Manuel Brug fand in der Tageszeitung DIE WELT an Madonnas Show viel auszusetzen, genoss aber trotzdem große Momente.
Etwa, als Madonna ihren ersten Number-one-Hit vortrug, "Like a virgin", und sich nur vom Klavier begleiten ließ. Für Brug eine tolle Tat, weil Madonna dabei "ihre durchschnittliche Stimme fast schon erbar¬mungs¬los" vorführte.
"Die Diva, die Göttliche offenbart sich zu Füßen ihren Anhängern. Wird menschlich, atmet, ist emphatisch. Und doch gleicht die Erniedrigung einer Himmelfahrt. Wir sind gebannt. Der Zauber von Madonna pur, der wirkt nach."
Das verbindende Dritte zwischen Madonna und Martin Mosebach - ist die Blasphemie. Die Sängerin wurde oft der Gotteslästerung bezichtigt, der altmodische Schriftsteller möchte sie ge¬setzlich verbieten lassen.
Der Schriftstellerkollege Ingo Schulz reagierte in der FRANKFURTER RUNDSCHAU unter der Überschrift "Her mit dem Blasphemie-Verbot!" auf Mosebachs Forderung mit Sarkasmus:
"Schon allein ein Satz wie: ‚Gott ist tot’, wäre bei einem Blasphemiegesetz, wie ich es mir vorstelle, ganz sicher nicht so […] eindimensional ausgefallen. Ein Blasphemiegesetz wäre dem Autor Ansporn und Zuchtmeister gewesen, seine Formulierungskünste in die kühlen Höhen von schillernder Ambivalenz zu treiben, von der Poesie bekanntlich lebt. Und sie hätte den Verfasser zudem vor logischem Unsinn bewahrt, wie er ihm durch die contradictio in adjecto von dem Substantiv ‚Gott’ und dem Adverb ‚tot’ unterlaufen ist."
Selten so geschmunzelt, sagen wir... Und kommen zum Thema Nr. 1 in dieser Woche, der Beschneidung - laut SZ eine "einschneidende Gotteserfahrung" -, die nach einem Urteil des Kölner Landgerichts Körper¬ver¬letzung ist.
In der FAZ klatschte Jürgen Kaube Beifall und argumentierte rigoros:
"Das Kindeswohl kann nicht ausschließlich von Gepflogenheiten einer Religionsgemeinschaft abhängig gemacht werden. Bräuche, die in die körperliche Unversehrtheit eingreifen, sind abzuschaffen. Wer Richtern, die dem folgen, den Vorwurf macht, sie machten den Rechtspositivismus zu einer Ersatzreligion, macht ihnen in Wahrheit das größte Kompliment."
Erwartungsgemäß die gegenteilige Meinung vertrat Michel Friedman in der WELT:
"Die Religionsfreiheit wird durch unser Grundgesetz besonders geschützt. Zur Religionsfreiheit gehört insbesondere die Religionsausübung. Die Beschneidung ist für das Judentum Bestandteil der religiösen Kernidentität. Dies gilt auch für die Muslime."
Was aber passiert, falls sich nach dem Kölner Urteil nun kein Arzt mehr an Beschneidungen alias strafbare Körperverletzungen traut? Für TAZ-Autorin Isolde Charim eine klare Sache:
"Dann wird die Durchführung der Beschneidungen wieder in die Gemeinden zurückverlegt: vom OP zurück auf den Küchentisch. Statt mit einer Lokalanästhesie werden Babys wieder mit drei Tropfen Rotwein ‚betäubt’, und statt eines Arztes werden wieder jene die Beschneidungen durchführen, die das früher auch schon getan haben: die Fleischhauer. Ist das der Königsweg aus der Archaik?"
Das Geburtstagskind der Woche war Jean Jacques Rousseau. Die wärmsten Worte zu seinem 300sten fand die Philosophin Ursula Pia Jauch in der SZ:
"Rousseau hat uns den goldenen Weg zum Traum und zum Tagtraum eröffnet, zur gediegenen Realitätsflucht, zum Überleben im Dennoch, zum Sein ohne Zeit."
Das wünschen wir Ihnen, liebe Hörer: Dass Sie den goldenen Weg zum Tagtraum finden.
Wenn Sie aber wieder zurück sind vom Trip, dann werden Sie zugeben, dass die WELT recht hat, in der die banale Erkenntnis zur Überschrift wurde:
"Es ist nicht alles rosig."