Von Arno Orzessek
Dauerbrenner in den Feuilletons: Leben wir in einem Überwachungsstaat? Zudem tummeln sich in dieser Woche vermehrt Rapper auf den Kulturseiten - von Bushidos Gewaltaufrufen, über Sookee, die "Quing of Berlin" bis zum "Rapper der ägyptischen Revolution".
"Hau rein, denn die Welt ist kaputt", begrüßte die Wochenzeitung DIE ZEIT ihre Feuilleton-Leser, wollte sie aber nicht zur Anwendung roher Gewalt anstiften, sondern zur Lektüre. Und zwar des Interviews mit den Berliner Rappern Sookee und Megaloh. Angesichts der gerappten Morddrohungen Bushidos lautete die Leitfrage: "Was darf Rap?"
"Rapper zu sein heißt, sich mit seinen Ansichten zur Diskussion zu stellen. Auch wenn viel Unsinn dabei ist",
bemerkte Megaloh, der Moabiter Rapper mit niederländisch-nigerianischen Wurzeln. In Megalohs Song "‘Schande (gefickt)‘" heißt es laut ZEIT übrigens: "Ich geb deutschem Rap Schwanz, bis diese Schlampe ihn hört.‘"
Sookee, die sich auch "Quing of Berlin" nennt und zur Queer-Szene gehört, in der mit Geschlechterrollen experimentiert wird, zeigte sich genervt: "Ich habe in Workshops erlebt, dass Mädchen nur noch als ‚Fotze‘ bezeichnet wurden. Die hießen nicht mehr Nadine und Hatice, die Jungs sagten bloß: ‚Komm her, du Muschi‘. Und die fühlten sich auch noch angesprochen. Krass! Was ist da passiert? Ihr habt doch einen Namen."
Und überhaupt, so Sookee im ZEIT-Interview:
"Es gibt […] zu viele Rapper, die erst alles zerschießen wollen und dann finden, die Gesellschaft soll die Kinder, die sie auch noch in die Welt gesetzt haben, vor ihren eigenen Texten schützen. Dieses falsch verstandene Nihilismusgeballer – es gibt keine Werte, also hau rein – kotzt mich bloß noch an."
In der TAGESZEITUNG dachte Ulrich Gutmair unterdessen über die Ursachen von Bushidos Gewalt-Aufrufen nach.
"Es ist schwer erträglich, Bushido dabei zuzuhören, wie er Todesdrohungen ausstößt […]. Zugleich scheint diese Form Gangsterap, die […] nur noch Drohungen aneinanderreiht, aber auch die künstlerische Form zu sein, die adäquat den Zustand der Musikindustrie spiegelt. Bushidos Label Ersguterjunge verfolgt unnachgiebig Teenager per Abmahnung, die sich Titel von Bushido […] aus dem Netz gezogen haben. […] Es ist ein einträgliches Geschäft […], für ein Produkt, das bei iTunes 99 Cent kostet, tausend zu verlangen, weil der Kunde beim Runterladen nicht bezahlt hat."
Hallo Herr Gutmair! Bushidos Aufruf zum Mord an Claudia Roth soll eine künstlerische Reflexion darauf sein, dass Bushidos Label Jagd auf Raubkopierer macht? Gottogott! Wir zeichnen Ihre These hiermit als Unfug der Woche aus! Bleiben aber noch kurz unter Rappern.
In der Tageszeitung DIE WELT erklärte Mohammed al-Deeb, vorgestellt als "Der Rapper der ägyptischen Revolution", dass die Absetzung von Präsident Mursi kein Militärputsch, sondern ein Volksaufstand war.
"Wissen Sie, was die erste Amtshandlung von Mursis Kultusminister war? Er verbot das Ballett, die Oper und den modernen Tanz. Die gefeuerten Tänzer, Sänger und Operndirektoren aber wehrten sich mit einem Sit-in vor dem Eingang des Kultusministeriums. Sie sangen dort, führten auf der Straße Ballett und modernen Tanz auf – zum ersten Mal in ihrem Leben verließen sie ihre Kulturtempel. Und eine große Menschenmenge versammelte sich, um das zu erleben. Es war, als ob der Versuch, diese Kunst abzuschaffen, ihr erst Leben eingehaucht hätte. Aus dem Widerstand haben wir eine Regeneration erfahren."
Auf der Bühne ein Widerstandskämpfer gegen bürgerliche Lahmärschigkeit, hinter der Bühne ein pfennigfuchserischer Geschäftsmann und Narzisst von mythischer Größe – das war und ist Mick Jagger, seit Freitag siebzig Jahre alt.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG kommentierte Kurt Kister:
"Der 70. Geburtstag eines Rock-Überprotagonisten wie Mick Jagger ist […] ein Hinweis darauf, dass es nun eigentlich gut damit ist, bei jeder Konzertrezension über das Alter der Kerle und Frauen auf der Bühne sowie das Alter des Publikums zu räsonieren. […] Man muss sich als Siebzigjähriger nicht unbedingt anziehen wie Mick Jagger […]. Es spricht aber nichts dagegen, mit 25 oder auch mit 75 ‚You can’t always get what you want‘ mitzusingen. Wer glaubt, man müsse jung sein, um Rock zu machen, zu nutzen, zu leben, der hält entweder Jungsein für eine Leistung oder er hat Rock nicht verstanden."
Nun zum Feuilleton-Thema der Woche, der Vorwoche und vermutlich auch der nächsten Woche: dem Geheimdienst- und Datenspionage-Komplex.
"Deutschland ist ein Überwachungsstaat", hieß es in FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über einem offenen Brief, den 32 Schriftsteller – darunter Eva Menasse, Ingo Schulze, Julie Zeh und Ilija Trojanow – an Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtet haben.
"Ist die Bundesregierung dabei, den Rechtsstaat zu umgehen, statt ihn zu verteidigen? Wir fordern Sie auf, den Menschen im Land die volle Wahrheit über die Spähangriffe zu sagen. Und wir wollen wissen, was die Bundesregierung dagegen zu unternehmen gedenkt. Das Grundgesetz verpflichtet Sie, Schaden von den deutschen Bundesbürgern abzuwenden. Frau Bundeskanzlerin, wie sieht Ihre Strategie aus?"
Während Angela Merkel noch an ihrer Strategie brütet, reichen wir dem ZEIT-Autor Thomas Assheuer das Wort:
"Auch wenn sich die Macht der Geheimdienste wieder einschränken ließe: Wahrhaftig beunruhigend ist der Umstand, dass die amerikanische Datenkrake mit Netzgiganten wie Microsoft und Facebook kollaboriert, weil sie ohne Anlieferungen aus der Internetindustrie verhungern müsste. Diese schlagende Verbindung aus Staat und digitalem Imperium empfinden viele zu Recht als ‚Schock‘. […] Das diskrete Bündnis aus Politik und Internet schürt die alte Angst vor der Kontrollgesellschaft, genauer: Es schürt die Angst davor, das inmitten einer formal intakten Demokratie eine Gesellschaft neuen Typs entsteht. Diese Gesellschaft würde den einzelnen nicht überwachen und ausspähen; sie würde ihn mit Haut und Haar vergesellschaften, mit all seinen Regungen, mit seinem ganzen Wünschen und Wollen."
Okay. Es wird einige unter uns geben, die von dem Daten- und Geheimdienstkram nichts mehr hören wollen.
Ihnen sei ein Satz aus "The Company You Keep", dem neuen Film von Robert Redford, in Erinnerung gerufen – die BERLINER ZEITUNG hat ihn zitiert:
"Der Kampf ist nicht zu Ende, nur weil du genug von ihm hast."
In diesem Sinne: Weiterhin ein heißes Wochenende.
"Rapper zu sein heißt, sich mit seinen Ansichten zur Diskussion zu stellen. Auch wenn viel Unsinn dabei ist",
bemerkte Megaloh, der Moabiter Rapper mit niederländisch-nigerianischen Wurzeln. In Megalohs Song "‘Schande (gefickt)‘" heißt es laut ZEIT übrigens: "Ich geb deutschem Rap Schwanz, bis diese Schlampe ihn hört.‘"
Sookee, die sich auch "Quing of Berlin" nennt und zur Queer-Szene gehört, in der mit Geschlechterrollen experimentiert wird, zeigte sich genervt: "Ich habe in Workshops erlebt, dass Mädchen nur noch als ‚Fotze‘ bezeichnet wurden. Die hießen nicht mehr Nadine und Hatice, die Jungs sagten bloß: ‚Komm her, du Muschi‘. Und die fühlten sich auch noch angesprochen. Krass! Was ist da passiert? Ihr habt doch einen Namen."
Und überhaupt, so Sookee im ZEIT-Interview:
"Es gibt […] zu viele Rapper, die erst alles zerschießen wollen und dann finden, die Gesellschaft soll die Kinder, die sie auch noch in die Welt gesetzt haben, vor ihren eigenen Texten schützen. Dieses falsch verstandene Nihilismusgeballer – es gibt keine Werte, also hau rein – kotzt mich bloß noch an."
In der TAGESZEITUNG dachte Ulrich Gutmair unterdessen über die Ursachen von Bushidos Gewalt-Aufrufen nach.
"Es ist schwer erträglich, Bushido dabei zuzuhören, wie er Todesdrohungen ausstößt […]. Zugleich scheint diese Form Gangsterap, die […] nur noch Drohungen aneinanderreiht, aber auch die künstlerische Form zu sein, die adäquat den Zustand der Musikindustrie spiegelt. Bushidos Label Ersguterjunge verfolgt unnachgiebig Teenager per Abmahnung, die sich Titel von Bushido […] aus dem Netz gezogen haben. […] Es ist ein einträgliches Geschäft […], für ein Produkt, das bei iTunes 99 Cent kostet, tausend zu verlangen, weil der Kunde beim Runterladen nicht bezahlt hat."
Hallo Herr Gutmair! Bushidos Aufruf zum Mord an Claudia Roth soll eine künstlerische Reflexion darauf sein, dass Bushidos Label Jagd auf Raubkopierer macht? Gottogott! Wir zeichnen Ihre These hiermit als Unfug der Woche aus! Bleiben aber noch kurz unter Rappern.
In der Tageszeitung DIE WELT erklärte Mohammed al-Deeb, vorgestellt als "Der Rapper der ägyptischen Revolution", dass die Absetzung von Präsident Mursi kein Militärputsch, sondern ein Volksaufstand war.
"Wissen Sie, was die erste Amtshandlung von Mursis Kultusminister war? Er verbot das Ballett, die Oper und den modernen Tanz. Die gefeuerten Tänzer, Sänger und Operndirektoren aber wehrten sich mit einem Sit-in vor dem Eingang des Kultusministeriums. Sie sangen dort, führten auf der Straße Ballett und modernen Tanz auf – zum ersten Mal in ihrem Leben verließen sie ihre Kulturtempel. Und eine große Menschenmenge versammelte sich, um das zu erleben. Es war, als ob der Versuch, diese Kunst abzuschaffen, ihr erst Leben eingehaucht hätte. Aus dem Widerstand haben wir eine Regeneration erfahren."
Auf der Bühne ein Widerstandskämpfer gegen bürgerliche Lahmärschigkeit, hinter der Bühne ein pfennigfuchserischer Geschäftsmann und Narzisst von mythischer Größe – das war und ist Mick Jagger, seit Freitag siebzig Jahre alt.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG kommentierte Kurt Kister:
"Der 70. Geburtstag eines Rock-Überprotagonisten wie Mick Jagger ist […] ein Hinweis darauf, dass es nun eigentlich gut damit ist, bei jeder Konzertrezension über das Alter der Kerle und Frauen auf der Bühne sowie das Alter des Publikums zu räsonieren. […] Man muss sich als Siebzigjähriger nicht unbedingt anziehen wie Mick Jagger […]. Es spricht aber nichts dagegen, mit 25 oder auch mit 75 ‚You can’t always get what you want‘ mitzusingen. Wer glaubt, man müsse jung sein, um Rock zu machen, zu nutzen, zu leben, der hält entweder Jungsein für eine Leistung oder er hat Rock nicht verstanden."
Nun zum Feuilleton-Thema der Woche, der Vorwoche und vermutlich auch der nächsten Woche: dem Geheimdienst- und Datenspionage-Komplex.
"Deutschland ist ein Überwachungsstaat", hieß es in FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über einem offenen Brief, den 32 Schriftsteller – darunter Eva Menasse, Ingo Schulze, Julie Zeh und Ilija Trojanow – an Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtet haben.
"Ist die Bundesregierung dabei, den Rechtsstaat zu umgehen, statt ihn zu verteidigen? Wir fordern Sie auf, den Menschen im Land die volle Wahrheit über die Spähangriffe zu sagen. Und wir wollen wissen, was die Bundesregierung dagegen zu unternehmen gedenkt. Das Grundgesetz verpflichtet Sie, Schaden von den deutschen Bundesbürgern abzuwenden. Frau Bundeskanzlerin, wie sieht Ihre Strategie aus?"
Während Angela Merkel noch an ihrer Strategie brütet, reichen wir dem ZEIT-Autor Thomas Assheuer das Wort:
"Auch wenn sich die Macht der Geheimdienste wieder einschränken ließe: Wahrhaftig beunruhigend ist der Umstand, dass die amerikanische Datenkrake mit Netzgiganten wie Microsoft und Facebook kollaboriert, weil sie ohne Anlieferungen aus der Internetindustrie verhungern müsste. Diese schlagende Verbindung aus Staat und digitalem Imperium empfinden viele zu Recht als ‚Schock‘. […] Das diskrete Bündnis aus Politik und Internet schürt die alte Angst vor der Kontrollgesellschaft, genauer: Es schürt die Angst davor, das inmitten einer formal intakten Demokratie eine Gesellschaft neuen Typs entsteht. Diese Gesellschaft würde den einzelnen nicht überwachen und ausspähen; sie würde ihn mit Haut und Haar vergesellschaften, mit all seinen Regungen, mit seinem ganzen Wünschen und Wollen."
Okay. Es wird einige unter uns geben, die von dem Daten- und Geheimdienstkram nichts mehr hören wollen.
Ihnen sei ein Satz aus "The Company You Keep", dem neuen Film von Robert Redford, in Erinnerung gerufen – die BERLINER ZEITUNG hat ihn zitiert:
"Der Kampf ist nicht zu Ende, nur weil du genug von ihm hast."
In diesem Sinne: Weiterhin ein heißes Wochenende.