Von Arno Orzessek

Europa sei bald ein Freilichtmuseum für die chinesischen Touristen, lautet die steile These eines Frankfurter Feuilletonisten. Wie man sich mittels SIM-Karten und Billighandys dem Zugriff der Datenkrake (vielleicht) entziehen kann, wird in der "Welt" erklärt.
Heute ist es ja so:

Der Wimbledon-Siegerin Marion Bartoli wird ein galaktischer IQ nachgesagt; der Formel 1-Pilot Nico Rosberg spricht sechs Sprachen; und Nationalspieler Mats Hummels formuliert zwei Minuten nach dem Abpfiff so makellos wie ein ausgeruhter Feuilletonist.

Warum wir die sportlichen Pfiffikusse erwähnen? Um des Kontrastes willen!

Es gab Zeiten, da hat ein Fritz Walter – nicht der Wunder-von-Bern-Walter, sondern der Stuttgarter Spieler gleichen Namens – verkündet: "‘Die Sanitäter haben mir eine Invasion gelegt.‘"

Nationalspieler Mario Basler konstatierte: "‘Das habe ich ihm auch verbal gesagt.‘"

Und der Kicker Alexander Strehmel gab die Parole aus: "‘Bei so einem Spiel muss man die Hosen runterlassen und sein wahres Gesicht zeigen.‘"

Gerhard Fischer erwähnt die Sprüche in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG in seiner Rezension von Nils Havemanns "Samstags um halb vier. Die Geschichte der Fußballbundesliga". Fischers Urteil:

"Ein fulminantes Werk, aber es zu lesen, ist kein reiner Genuss."

So viel zum Sport. Nun der Reiseteil.

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG diagnostiziert Jakob Strobel y Serra, dass Europa künftig von asiatischen Touristen überrannt und "zum gigantischen Freilichtmuseum mit angeschlossenem Menschenzoo" werden wird.

Klingt eigentlich nicht so erfreulich – aber Strobel y Serra schielt auf die Portemonnaies der Reisenden.

"Kein anderer Kontinent ist auch nur annähernd so prall mit Authentizität und Attraktionen gefüllt wie Europa, kein anderer Kontinent hat deswegen eine goldenere Zukunft als Reiseziel […]. Selbst für Haupt- und Millionenstädte wird der Tourismus […] ein zentraler Pfeiler der Wirtschaft. Wie das funktioniert, zeigt jetzt schon Berlin […]. 300.000 Berliner ernährt der Tourismus, der zehn Milliarden Euro Umsatz pro Jahr generiert, acht Prozent des Volkseinkommens sichert und die Stadt vor dem finanziellen Kollaps bewahrt. Das sind beinahe Verhältnisse wie auf den Malediven."

Am Ende nimmt der FAZ-Artikel eine komische Wendung. Strobel y Serra verherrlicht den "Tourismus als Friedensstifter" und phantasiert:

"Jetzt kennen so viele Menschen die Schönheiten der Welt, jetzt teilen Milliarden die Erfahrung der Überwältigung durch die Wunder der Welt, dass es ihnen niemals in den Sinn käme, sie zu zerstören."

Entweder ist das getarnte Satire oder Jakob Strobel y Serra hatte beim Schreiben eine Menge hochprozentigen Wunschpunsch intus.

Springen wir zum Spionage-Schindluder der Geheimdienste und Internet-Konzerne.

"Es ist ein neuer Kalter Krieg", warnt der Informatiker Daniel Domscheit-Berg in der Tageszeitung DIE WELT.

Als Domscheit-Berg noch mit Julien Assange die Enthüllungs-Website Wikileaks aufbaute, hat er versucht, sich dem Zugriff der Daten-Kraken zu entziehen. Und das ging so:

"Ich hatte mehrere Dutzend SIM-Karten und Mobilgeräte. Wo immer Zwanzig-Euro-Handys angeboten wurde, habe ich einen ganzen Schwung gekauft. Aber selbst bei mir als recht gut organisiertem Menschen gab es immer wieder Gelegenheiten, bei denen ich keine neue SIM-Karte hatte […]. Welche von den gebrauchten sollte ich dann verwenden? In welchem Handy kann ich sie nutzen und wo nicht? Ist das richtige Handy jetzt gerade geladen? Bei welcher Funkzelle habe ich mich mit dieser Karte das letzte Mal eingebucht? Wie weit laufe ich von meiner Wohnung weg, bevor ich einschalte? Wer das konsequent betreiben will, begibt sich in eine vollkommen kranke Welt."

So Daniel Domscheit-Berg zum Wahnsinn totaler Überwachbarkeit.

Zuletzt ein an Dank Marc Zitzmann. Der Autor der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG bespricht unter dem Titel "Polterer und Pornograf" eine Pariser Ausstellung über den Architekten Rudy Ricciotti.

"Auch wenn sie von der Inszenierung her nicht überzeugt, zeigt sie doch den Provenzalen als sensiblen Baukünstler, der als streitbarer Pamphletär gerne irritiert."

Uns kommt es auf den "Pamphletär" an. Wir wussten gar nicht, dass es dieses Wort gibt und sagen: Danke, Marc Zitzmann!

Falls Sie nicht wissen, liebe Hörer, welchen guten Vorsatz Sie an diesem Mittwoch fassen sollen – lassen Sie sich doch von der BERLINER ZEITUNG helfen. Sie titelt:

"Mehr Mäßigung beim Meckern, bitte."