Von Arno Orzessek
Imponierendes Faktengewitter, lässige Bescheidwisserei, sehr große Thesen: In der "Faz" schreibt ein früherer "Spiegel"-Chefredakteur, als schriebe er immer noch für den "Spiegel". Das und mehr in unserem Blick in die Feuilletons.
Wir wissen schon, wie wir diese Presseschau beenden. Aber wie anfangen?
Wirklich wahr, wir stecken heute in Unanfangbarkeit wie in Schlamm fest.
Übrigens, der Computer unterstreicht ‚Unanfangbarkeit‘ rot – für ‚falsch‘ beziehungsweise ‚das Wort gibt’s nicht‘. Der Computer sollte mal kreatives Deutsch lernen! Aber das nur so nebenbei, solange uns kein Anfang einfällt.
Klar ist: Für die Unanfangbarkeit der Presseschau sind die Feuilletonisten verantwortlich.
Sie haben tolle Texte geschrieben, keine Frage. Aber die tollsten Passagen sind zu lang, um sie hier zu zitieren. Und kleinere Happen sind so voraussetzungsreich, dass wir den Kontext selbst mühselig paraphrasieren müssten.
Lothar Müller zum Beispiel schreibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG unter dem Titel "Ein Methodenfreak" ein sechsspaltiges Porträt des Literaturwissenschaftlers Franco Moretti, der zur Zeit im Berliner Wissenschaftskolleg Fellow ist, und zitiert ihn wie folgt:
"‘Ich bin auf Modelle aus […], auf die Analyse von Strukturen. Was ich am ‚close reading‘ nicht mag, ist das in den meisten Varianten anzutreffende Wohlbehagen an der unendlichen Multiplikation von Interpretationen, zum Beispiel bei der ‚deconstruction‘, wo die Leute umso glücklicher sind, je mehr Widersprüche in einem Text auftauchen.‘"
Sicher wissen Sie, liebe Hörer, was "close reading" und "deconstruction" ist. Nein? Sehen Sie! Als Ex-Literaturwissenschaftler könnten wir manches erklären…
Aber dann kämen wir heute nicht bis in die "Die Außenwelt der Innenwelt", die in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG erforscht wird.
Georg Mascolo plädiert angesichts diverser Abhörskandale für einen europäischen Untersuchungsausschuss – und zwar mit dem Argument:
"Wenn die Menschen erfahren, seit wann und in welchem Maße sie ausspioniert werden, würden ihnen die Augen aufgehen. Die Politik muss etwas tun."
Das klingt sehr klar, überträgt aber nichts vom Charakter des FAZ-Artikels.
Also ein zweiter Versuch:
"Die […] [National Security Agency] lässt die größten Computer der Welt entwickeln, in Oak Ridge, Tennessee, wo Amerika die Atombombe baute. Die Speicher für erfasste Google-Suchen, Facebook-Einträge und E-Mails sind so groß wie Flugzeughangars, gerechnet wird in Yottabytes, eine 1 mit 24 Nullen" – "
Und dann schreibt Georg Mascolo so ein Yottabyte mal komplett aus:
"100000000000000"… und so weiter. Eben bis da das ganze Yottabyte steht.
Am meisten über den Charakter des Artikels verrät indessen eine Information, die gar nicht in der FAZ steht, jedenfalls nicht in unserer Vorab-Version des Artikels:
Mascolo war mal SPIEGEL-Chefredakteur. Und er schreibt in der FAZ, als schriebe er immer noch für den SPIEGEL: Imponierendes Faktengewitter, lässige Bescheidwisserei, sehr große Thesen. –
Okay, immerhin haben wir jetzt die anfängliche Unanfangbarkeit überwunden.
Und das ist schön. Denn nun können wir einen Text aus der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zitieren, der seinerseits per Selbstreflexion in die Spur findet. Es handelt sich um die Besprechung des Buches "Deutsche Tugenden" von Asfa-Wossen Asserate durch das Kürzel "cas":
""Um es gleich zu sagen: Gebraucht hätte es dieses Buch nicht. – So zu beginnen, ist für einen Rezensenten natürlich alles andere als höflich. Wenn es nun aber nicht Übellaunigkeit oder Antipathie gegenüber dem Autor ist, sondern Pflichtgefühl; wenn der – deutsche – Rezensent also meint, nicht anders zu können, als den Stab über das neue Buch von […] Asserate zu brechen, weil es eben überflüssig und kaum die Zeit der Lektüre wert sei – dann handelt er doch auch in gewisser Weise in des Autors Sinne. Denn das Pflichtgefühl zählt Asserate […] zu den ‚deutschen Tugenden‘."
Wir kommen zum Ende, das wir schon am Anfang kannten.
In der SZ gratuliert Wolfgang Schreiber dem Dirigenten Claudio Abbado zum 80. Geburtstag.
"Wenn er vor dem Orchester steht, baut er nicht an Klangwänden, er lässt Kammermusik entstehen, wie er sie als Kind einer Musikerfamilie gehört hat. Hören ist ihm zentral."
Und so auch uns, liebe Hörer. Was Sie in wenigen Sekunden erleben werden, das ist – mit der SZ-Überschrift – "Das Hören der Stille".
Wirklich wahr, wir stecken heute in Unanfangbarkeit wie in Schlamm fest.
Übrigens, der Computer unterstreicht ‚Unanfangbarkeit‘ rot – für ‚falsch‘ beziehungsweise ‚das Wort gibt’s nicht‘. Der Computer sollte mal kreatives Deutsch lernen! Aber das nur so nebenbei, solange uns kein Anfang einfällt.
Klar ist: Für die Unanfangbarkeit der Presseschau sind die Feuilletonisten verantwortlich.
Sie haben tolle Texte geschrieben, keine Frage. Aber die tollsten Passagen sind zu lang, um sie hier zu zitieren. Und kleinere Happen sind so voraussetzungsreich, dass wir den Kontext selbst mühselig paraphrasieren müssten.
Lothar Müller zum Beispiel schreibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG unter dem Titel "Ein Methodenfreak" ein sechsspaltiges Porträt des Literaturwissenschaftlers Franco Moretti, der zur Zeit im Berliner Wissenschaftskolleg Fellow ist, und zitiert ihn wie folgt:
"‘Ich bin auf Modelle aus […], auf die Analyse von Strukturen. Was ich am ‚close reading‘ nicht mag, ist das in den meisten Varianten anzutreffende Wohlbehagen an der unendlichen Multiplikation von Interpretationen, zum Beispiel bei der ‚deconstruction‘, wo die Leute umso glücklicher sind, je mehr Widersprüche in einem Text auftauchen.‘"
Sicher wissen Sie, liebe Hörer, was "close reading" und "deconstruction" ist. Nein? Sehen Sie! Als Ex-Literaturwissenschaftler könnten wir manches erklären…
Aber dann kämen wir heute nicht bis in die "Die Außenwelt der Innenwelt", die in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG erforscht wird.
Georg Mascolo plädiert angesichts diverser Abhörskandale für einen europäischen Untersuchungsausschuss – und zwar mit dem Argument:
"Wenn die Menschen erfahren, seit wann und in welchem Maße sie ausspioniert werden, würden ihnen die Augen aufgehen. Die Politik muss etwas tun."
Das klingt sehr klar, überträgt aber nichts vom Charakter des FAZ-Artikels.
Also ein zweiter Versuch:
"Die […] [National Security Agency] lässt die größten Computer der Welt entwickeln, in Oak Ridge, Tennessee, wo Amerika die Atombombe baute. Die Speicher für erfasste Google-Suchen, Facebook-Einträge und E-Mails sind so groß wie Flugzeughangars, gerechnet wird in Yottabytes, eine 1 mit 24 Nullen" – "
Und dann schreibt Georg Mascolo so ein Yottabyte mal komplett aus:
"100000000000000"… und so weiter. Eben bis da das ganze Yottabyte steht.
Am meisten über den Charakter des Artikels verrät indessen eine Information, die gar nicht in der FAZ steht, jedenfalls nicht in unserer Vorab-Version des Artikels:
Mascolo war mal SPIEGEL-Chefredakteur. Und er schreibt in der FAZ, als schriebe er immer noch für den SPIEGEL: Imponierendes Faktengewitter, lässige Bescheidwisserei, sehr große Thesen. –
Okay, immerhin haben wir jetzt die anfängliche Unanfangbarkeit überwunden.
Und das ist schön. Denn nun können wir einen Text aus der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zitieren, der seinerseits per Selbstreflexion in die Spur findet. Es handelt sich um die Besprechung des Buches "Deutsche Tugenden" von Asfa-Wossen Asserate durch das Kürzel "cas":
""Um es gleich zu sagen: Gebraucht hätte es dieses Buch nicht. – So zu beginnen, ist für einen Rezensenten natürlich alles andere als höflich. Wenn es nun aber nicht Übellaunigkeit oder Antipathie gegenüber dem Autor ist, sondern Pflichtgefühl; wenn der – deutsche – Rezensent also meint, nicht anders zu können, als den Stab über das neue Buch von […] Asserate zu brechen, weil es eben überflüssig und kaum die Zeit der Lektüre wert sei – dann handelt er doch auch in gewisser Weise in des Autors Sinne. Denn das Pflichtgefühl zählt Asserate […] zu den ‚deutschen Tugenden‘."
Wir kommen zum Ende, das wir schon am Anfang kannten.
In der SZ gratuliert Wolfgang Schreiber dem Dirigenten Claudio Abbado zum 80. Geburtstag.
"Wenn er vor dem Orchester steht, baut er nicht an Klangwänden, er lässt Kammermusik entstehen, wie er sie als Kind einer Musikerfamilie gehört hat. Hören ist ihm zentral."
Und so auch uns, liebe Hörer. Was Sie in wenigen Sekunden erleben werden, das ist – mit der SZ-Überschrift – "Das Hören der Stille".