Von Arno Orzessek
Zeitgeist-Analysen zur Biennale in Venedig, Terence Malicks neuer Film „To the Wonder“ und eine Sexismus-Debatte in Südkorea – unser Blick in die Feuilletons.
„Schöner Mist“ – heißt die neueste Folge der Rubrik „Gehört, gelesen, zitiert“ in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Dieses Mal zitiert die SZ wegen der tollen Synchronisations-Qualität einen Dialog aus dem Film „Vier Fäuste gegen Rio“:
„Terence Hill: Um Gottes Willen, ein Harfenkonzert! (…) Das wird ja ‘n schöner Mist sein, der uns da um die Ohren fliegt.
Bud Spencer: ‘N Hafenkonzert?‘
T[erence] H[ill]: Nicht Hafen. HARFEN-konzert. Harfe ist so’n Gartenzaun, wo man reingrabscht. Mann, und hinterher gibt‘s noch n Vortrag. Klingt ziemlich geseift.
B [ud] S [pencer]: Worüber geht der?
T [erence] H[ill]: Über die Einwirkung von Sonnenstrahlen auf das Liebesleben der Pflastersteine. Danach gibt’s was zu happern.“ – "
Wem das zu locker und zu lustig klingt, den können wir beruhigen. Denn weiter geht’s mit „Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit.“
So überschreibt die SZ ihre Besprechung des Buches „Deutsche Tugenden. Von Anmut bis Weltschmerz“. Verfasst hat das – laut Rezensent Stephan Speicher – eher lauwarme Werk kein anderer als der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie, nämlich der äthiopisch-deutsche Unternehmensberater und Bestsellerautor Asfa-Wossen Asserate.
Überhaupt gibt es in den Feuilletons jede Menge Besprechungen von Aufführungen, Ausstellungen, Büchern, Projekten, solchen Dingen… Aber keinen einzigen knackigen Meinungsartikel.
Immerhin: Wie der Zeitgeist tickt, das vermittelt die 55. Biennale von Venedig.
„Wehtun muss es“, behauptet die BERLINER ZEITUNG.
„"Die Künstler dokumentieren mit persönlicher Empathie die Krisen der Welt, sie schauen hin, wo es weh tut, und zeigen die Wunden unserer Zeit mit ihren vielfältigen künstlerischen Mitteln“, "
schreibt Sabine Vogel in einem Satz, der sich auch in jeder Sammlung von Kunstkritik-Klischees gut machen würde.
Kommen wir zu Höherem, kommen wir zu den „Predigten von der Liebe im Hause Gottes"…
Unter diesem sanften Augenfänger macht Verena Lueken in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG kurzen Prozess mit Terence Malicks neuem Film „To the Wonder“:
„"Möglicherweise ist die Natur die Kirche Gottes. Wenn sich davon im Kino erzählen lässt (es gibt ja Beispiele), dann nicht durch Pathospredigten. Und wenn sich über die Liebe nur so und in solchen Bildern sprechen lässt, lasst uns in Zukunft von ihr schweigen“, "
sticht FAZ-Autorin Lueken mit dem Stachel der Enttäuschung auf Terence Malick ein.
Um die Sexismus-Debatte in Südkorea kümmert sich die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Ho Nam Seelmann berichtet, dass die Präsidentin Yoon Chan Jung während ihres Staatsbesuchs in den USA ihren Sprecher entließ, weil dieser betrunken eine Studentin belästigt hatte. Für Seelmann Anlass genug, die beiden koreanischen Traditionen im Umgang mit Sexualität zu erläutern.
„"Einmal spielt der Taoismus eine wichtige Rolle, der das Weibliche und Männliche als Ying und Yang und damit als komplementäre Verhältnisse fasste. Die Sexualität wurde als etwas Natürliches weitgehend moralfrei betrachtet. Die Befriedigung des Sexualtriebs sah man für die Erhaltung der Gesundheit als notwendig an. Viel wichtiger […] ist aber die konfuzianische Tradition, die im Namen von Moralität […] die weibliche Sexualität zu zähmen suchte. Das patriarchalisch geprägte kulturelle Umfeld begünstigte so einseitig das männliche Geschlecht.“
Wieder etwas gelernt bei der NZZ-Lektüre! Obwohl dort so steif geschrieben wird.
Anders in der SZ, wo sich Christine Dössel über Luc Bondys Inszenierung von Moliéres „Tartuffe“ in Wien erheitert…
„Schon deshalb [unterstreicht Dössel], weil dieser Tartuffe so gierig hinter Elmire [gespielt von Johanna Wokalek] her ist, dass er vor Geilheit schier trieft. [Joachim] Meyerhoff ist ein brillanter Tartuffe: schmierig, lüstern, aasig, alles im rechten Moment und manchmal alles zugleich. Großartig, wie er Wokaleks Körper atmet und schmeckt und dabei die eigenen Worte zu kosten scheint […]. Der Lustmolch ist auch ein Verbalerotiker.“
Nun denn. Wir schließen mit einer frühlingsflatterhaften SZ-Empfehlung, an die Sie sich, liebe Hörer, halten werden oder nicht. Sie lautet:
„Immer den Urtrieben nach.“
Dieses Mal zitiert die SZ wegen der tollen Synchronisations-Qualität einen Dialog aus dem Film „Vier Fäuste gegen Rio“:
„Terence Hill: Um Gottes Willen, ein Harfenkonzert! (…) Das wird ja ‘n schöner Mist sein, der uns da um die Ohren fliegt.
Bud Spencer: ‘N Hafenkonzert?‘
T[erence] H[ill]: Nicht Hafen. HARFEN-konzert. Harfe ist so’n Gartenzaun, wo man reingrabscht. Mann, und hinterher gibt‘s noch n Vortrag. Klingt ziemlich geseift.
B [ud] S [pencer]: Worüber geht der?
T [erence] H[ill]: Über die Einwirkung von Sonnenstrahlen auf das Liebesleben der Pflastersteine. Danach gibt’s was zu happern.“ – "
Wem das zu locker und zu lustig klingt, den können wir beruhigen. Denn weiter geht’s mit „Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit.“
So überschreibt die SZ ihre Besprechung des Buches „Deutsche Tugenden. Von Anmut bis Weltschmerz“. Verfasst hat das – laut Rezensent Stephan Speicher – eher lauwarme Werk kein anderer als der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie, nämlich der äthiopisch-deutsche Unternehmensberater und Bestsellerautor Asfa-Wossen Asserate.
Überhaupt gibt es in den Feuilletons jede Menge Besprechungen von Aufführungen, Ausstellungen, Büchern, Projekten, solchen Dingen… Aber keinen einzigen knackigen Meinungsartikel.
Immerhin: Wie der Zeitgeist tickt, das vermittelt die 55. Biennale von Venedig.
„Wehtun muss es“, behauptet die BERLINER ZEITUNG.
„"Die Künstler dokumentieren mit persönlicher Empathie die Krisen der Welt, sie schauen hin, wo es weh tut, und zeigen die Wunden unserer Zeit mit ihren vielfältigen künstlerischen Mitteln“, "
schreibt Sabine Vogel in einem Satz, der sich auch in jeder Sammlung von Kunstkritik-Klischees gut machen würde.
Kommen wir zu Höherem, kommen wir zu den „Predigten von der Liebe im Hause Gottes"…
Unter diesem sanften Augenfänger macht Verena Lueken in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG kurzen Prozess mit Terence Malicks neuem Film „To the Wonder“:
„"Möglicherweise ist die Natur die Kirche Gottes. Wenn sich davon im Kino erzählen lässt (es gibt ja Beispiele), dann nicht durch Pathospredigten. Und wenn sich über die Liebe nur so und in solchen Bildern sprechen lässt, lasst uns in Zukunft von ihr schweigen“, "
sticht FAZ-Autorin Lueken mit dem Stachel der Enttäuschung auf Terence Malick ein.
Um die Sexismus-Debatte in Südkorea kümmert sich die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Ho Nam Seelmann berichtet, dass die Präsidentin Yoon Chan Jung während ihres Staatsbesuchs in den USA ihren Sprecher entließ, weil dieser betrunken eine Studentin belästigt hatte. Für Seelmann Anlass genug, die beiden koreanischen Traditionen im Umgang mit Sexualität zu erläutern.
„"Einmal spielt der Taoismus eine wichtige Rolle, der das Weibliche und Männliche als Ying und Yang und damit als komplementäre Verhältnisse fasste. Die Sexualität wurde als etwas Natürliches weitgehend moralfrei betrachtet. Die Befriedigung des Sexualtriebs sah man für die Erhaltung der Gesundheit als notwendig an. Viel wichtiger […] ist aber die konfuzianische Tradition, die im Namen von Moralität […] die weibliche Sexualität zu zähmen suchte. Das patriarchalisch geprägte kulturelle Umfeld begünstigte so einseitig das männliche Geschlecht.“
Wieder etwas gelernt bei der NZZ-Lektüre! Obwohl dort so steif geschrieben wird.
Anders in der SZ, wo sich Christine Dössel über Luc Bondys Inszenierung von Moliéres „Tartuffe“ in Wien erheitert…
„Schon deshalb [unterstreicht Dössel], weil dieser Tartuffe so gierig hinter Elmire [gespielt von Johanna Wokalek] her ist, dass er vor Geilheit schier trieft. [Joachim] Meyerhoff ist ein brillanter Tartuffe: schmierig, lüstern, aasig, alles im rechten Moment und manchmal alles zugleich. Großartig, wie er Wokaleks Körper atmet und schmeckt und dabei die eigenen Worte zu kosten scheint […]. Der Lustmolch ist auch ein Verbalerotiker.“
Nun denn. Wir schließen mit einer frühlingsflatterhaften SZ-Empfehlung, an die Sie sich, liebe Hörer, halten werden oder nicht. Sie lautet:
„Immer den Urtrieben nach.“