Von Arno Orzessek
Die Engländer entdecken endlich ihr Herz für die Deutschen? Ja, meint die "Süddeutsche Zeitung" und hievt die neue englische Deutschlandliebe gleich auf die Titelseite. "Die Neue Zürcher Zeitung" versucht hingegen die Ursachen für die Baudesaster BER, Elbphilharmonie und Stuttgart 21 zu ergründen. Und "Die Welt" beklagt den falschen Berlinale-Termin.
Zunächst: Doping für den Nationalstolz. Ausgerechnet die Engländer beginnen uns zu mögen!
Hier und dort hatte man schon davon gehört - und nun konstatierte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG auf dem Titelblatt:
"Abschied vom Vierten Reich – Die Briten werden zutraulich."
Zum Beleg zitierte Christian Zaschke auf der Medienseite Tyler Brulé vom Magazin "Monocle":
"‘Die Leute sehen allmählich, dass in Deutschland vieles richtig läuft. Sie sehen Firmen im deutschen Mittelstand, die sich nicht wie hiesige Firmen zweistellige Wachstumsraten verschreiben, sondern vernünftig wachsen. Sie sehen das Ausbildungssystem mit Lehre und Gesellenprüfung.‘"
Das Boulevardblatt "The Sun", das Deutschland oft in braunem Licht gesehen hat,
fand laut Christian Zaschke gleich "‘10 Gründe, warum wir die Deutschen lieben sollten.‘"
Leider verschwieg die SZ die Gründe…
Weit davon entfernt, Deutschland jemandem zur Liebe zu empfehlen, suchte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG unter dem Titel "Babel Berlin" nach den Gründen für die Bau-Desaster hierzulande – BER, Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und so, Sie wissen schon.
"Im Widerstreit der (politischen) Einzelinteressen zeigen sich die Gefahren einer überindividualisierten Gesellschaft, die die Durchsetzung der persönlichen Vorstellungen für das Maß aller Dinge hält und sich zudem von der Maxime des ‚Geiz ist geil‘ leiten lässt."
Auch bei der Lektüre der Berlinale-Resümees konnte man keineswegs national-stolz werden.
Unter dem Titel "Guter Wettbewerb verzweifelt gesucht" beklagte Hans-Georg Rodek in der Tageszeitung DIE WELT:
"Berlin steckt in der Datums- […]Falle. Die frische Ware für den Kinoherbst schippert im September durch die Kanäle von Venedig, die heißen Oscar-Kandidaten laufen im Oktober Kür in Toronto, und die Kunstfilmwelt zieht es im Mai an ihren Sehnsuchtsort Cannes. Für Berlin bleiben die Franzosen, die Cannes nicht will, die Hollywood-Produkte ohne Oscar-Hoffnungen und die Deutschen (bei denen dieses Jahr […] weit und breit nichts Überragendes in Sicht war)."
Ähnliches schrieb SZ-Autorin Martina Knoben:
"Vor allem auch die deutschen Regisseure enttäuschten. Da hat die Berlinale ja eigentlich einen Heimvorteil […]. ‚Layla Fourie‘ von Pia Marais aber war schwach. Thomas Arslans ‚Gold‘ so spröde, dass er manchen Festivalbesucher zu Hasstiraden auf die Berliner Schule inspirierte."
Immerhin: Andreas Kilb erklärte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, wie‘s zukünftig besser werden könnte.
"Wenn die großen Namen Berlin meiden, dann muss [Berlinale-Boss] Kosslick eben den Nachwuchs großziehen, Leute wie den Kasachen Emir Baigazin, dessen Regiedebüt ‚Harmony Lessons‘ ein Lichtblick im Wettbewerb war. […] Die Berlinale muss endlich anfangen zu praktizieren, was sie von ihren Besuchern verlangt: den genauen Blick."
Für einen Seher hält sich Frank Schirrmacher – sofern man sein neues Buch "Ego" für voll nimmt.
Darin behauptet Schirrmacher, dass wir alle entmündigte Opfer von Informationskapitalismus und Big Data sind. Und zwar umso mehr, je weniger wir es bemerken.
Im Springer Verlag fand man das Werk "Ego" derart schräg, dass man sogleich Platz für zwei Schirrmacher-Bashings freiräumte.
Cornelius Tittel schrieb unter der Überschrift "Die Monster des Doktor Frank" in der WELT AM SONNTAG: "Seine Thesen zeugen von Paranoia."
Alan Posener knöpfte sich in der Wochentags-WELT Schirrmachers bekannte handwerkliche Schwächen vor und spottete: "Was man zitiert, sollte man auch gelesen haben."
In der TAGESZEITUNG rezensierte Jörg Sundermeier die Rezensionen anderer Rezensenten und schloss frustriert:
"[Schirrmachers] ‚Ego‘ [reiht] sich in die Reihe der Bücher ein, deren prominente Autorinnen und Autoren Themen […] künstlich aufblasen, willkürliche Belege zusammensuchen, mit einer schwurbeligen Sprachen hantieren und Missverständnisse in Kauf nehmen. Denn es geht vor allem darum, sich wichtig zu machen. Wir, die wir darüber schreiben, spielen dieses Spiel mit."
Feuilleton-Balgereien entwickelten sich auch um Wolfgang Kraushaars Buch "Wann endlich beginnt bei euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel? München 1970 – Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus". Die FAZ brachte einen Vorabdruck.
Folgt man Kraushaar, war Kommune 1-Gründer Dieter Kunzelmann mitverantwortlich für den Brandanschlag, bei dem 1970 in München sieben Menschen umkamen, darunter Auschwitz-Überlebende.
Folgt man SZ-Autor Willi Winkler, schreibt Kraushaar Unsinn:
"Freie Assoziation [soll] erbringen, was die Fakten nicht hergeben. Das ist zwar schlechter Journalismus und dient bestimmt nicht der Wahrheitsfindung, erzeugt aber jenes Grundrauschen, das allen vertraut klingt, die schon immer ein Generalverdacht gegen die Linke plagte."
Und folgt man FAZ-Autor Lorenz Jäger, kommt Kraushaar immer noch nicht gut weg:
"Kraushaars Versuch, Dieter Kunzelmann eine schon immer dagewesen antisemitische Grundhaltung nachzuweisen, führt nicht sehr weit, die Zeugen dafür sind dünn gesät. […] Wir wäre die ‚Kommune 1‘ ohne die Theorien des jüdischen Psychoanalytikers Wilhelm Reich zur sexuellen Befreiung auch nur denkbar gewesen?"
Um beim Thema zu bleiben: TAZ-Autor Jan Feddersen befürchtete im Blick auf die aktuelle Sexismus-Debatte, dass es mit der Befreiung vorbei ist.
"Sexuelles, das so durchgeregelt ist wie ein Autoverkehrsübungsplatz irgendwo in der Provinz, vollgestellt mit Stoppschildern, Verbots- und Gebotsmahnungen, […] ist kein Sexuelles mehr."
Einen Ausweg aus der misslichen Lage fand indessen TAZ-Autorin Margarete Stokowski,
indem sie die neue Facebook-App "Bang with friends" – Übersetzung Stokowski: "(‚Mit Freunden vögeln‘)" – ausprobierte.
Wie die lustige bangin‘-Geschichte der TAZ-Autorin ausging, können wir leider nicht mehr schildern.
Denn wir wollen noch erwähnen, dass Christopher Lauer, der Chef der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus, nicht mehr twittert.
Lauers Begründung in der FAZ:
"Am Ende summieren sich bei mir verlorene Zeit und Nerven, sozialer Stress und zerfaserte Kommunikation sowie mediale Super-GAUs zu verlorener Produktivität. […] Twitter ist für mich gestorben. Das Gezwitschere bringt nichts."
Vielleicht hilft Ihnen diese Nachricht ja, liebe Hörer. Auf jeden Fall: Bis bald!
Hier und dort hatte man schon davon gehört - und nun konstatierte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG auf dem Titelblatt:
"Abschied vom Vierten Reich – Die Briten werden zutraulich."
Zum Beleg zitierte Christian Zaschke auf der Medienseite Tyler Brulé vom Magazin "Monocle":
"‘Die Leute sehen allmählich, dass in Deutschland vieles richtig läuft. Sie sehen Firmen im deutschen Mittelstand, die sich nicht wie hiesige Firmen zweistellige Wachstumsraten verschreiben, sondern vernünftig wachsen. Sie sehen das Ausbildungssystem mit Lehre und Gesellenprüfung.‘"
Das Boulevardblatt "The Sun", das Deutschland oft in braunem Licht gesehen hat,
fand laut Christian Zaschke gleich "‘10 Gründe, warum wir die Deutschen lieben sollten.‘"
Leider verschwieg die SZ die Gründe…
Weit davon entfernt, Deutschland jemandem zur Liebe zu empfehlen, suchte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG unter dem Titel "Babel Berlin" nach den Gründen für die Bau-Desaster hierzulande – BER, Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und so, Sie wissen schon.
"Im Widerstreit der (politischen) Einzelinteressen zeigen sich die Gefahren einer überindividualisierten Gesellschaft, die die Durchsetzung der persönlichen Vorstellungen für das Maß aller Dinge hält und sich zudem von der Maxime des ‚Geiz ist geil‘ leiten lässt."
Auch bei der Lektüre der Berlinale-Resümees konnte man keineswegs national-stolz werden.
Unter dem Titel "Guter Wettbewerb verzweifelt gesucht" beklagte Hans-Georg Rodek in der Tageszeitung DIE WELT:
"Berlin steckt in der Datums- […]Falle. Die frische Ware für den Kinoherbst schippert im September durch die Kanäle von Venedig, die heißen Oscar-Kandidaten laufen im Oktober Kür in Toronto, und die Kunstfilmwelt zieht es im Mai an ihren Sehnsuchtsort Cannes. Für Berlin bleiben die Franzosen, die Cannes nicht will, die Hollywood-Produkte ohne Oscar-Hoffnungen und die Deutschen (bei denen dieses Jahr […] weit und breit nichts Überragendes in Sicht war)."
Ähnliches schrieb SZ-Autorin Martina Knoben:
"Vor allem auch die deutschen Regisseure enttäuschten. Da hat die Berlinale ja eigentlich einen Heimvorteil […]. ‚Layla Fourie‘ von Pia Marais aber war schwach. Thomas Arslans ‚Gold‘ so spröde, dass er manchen Festivalbesucher zu Hasstiraden auf die Berliner Schule inspirierte."
Immerhin: Andreas Kilb erklärte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, wie‘s zukünftig besser werden könnte.
"Wenn die großen Namen Berlin meiden, dann muss [Berlinale-Boss] Kosslick eben den Nachwuchs großziehen, Leute wie den Kasachen Emir Baigazin, dessen Regiedebüt ‚Harmony Lessons‘ ein Lichtblick im Wettbewerb war. […] Die Berlinale muss endlich anfangen zu praktizieren, was sie von ihren Besuchern verlangt: den genauen Blick."
Für einen Seher hält sich Frank Schirrmacher – sofern man sein neues Buch "Ego" für voll nimmt.
Darin behauptet Schirrmacher, dass wir alle entmündigte Opfer von Informationskapitalismus und Big Data sind. Und zwar umso mehr, je weniger wir es bemerken.
Im Springer Verlag fand man das Werk "Ego" derart schräg, dass man sogleich Platz für zwei Schirrmacher-Bashings freiräumte.
Cornelius Tittel schrieb unter der Überschrift "Die Monster des Doktor Frank" in der WELT AM SONNTAG: "Seine Thesen zeugen von Paranoia."
Alan Posener knöpfte sich in der Wochentags-WELT Schirrmachers bekannte handwerkliche Schwächen vor und spottete: "Was man zitiert, sollte man auch gelesen haben."
In der TAGESZEITUNG rezensierte Jörg Sundermeier die Rezensionen anderer Rezensenten und schloss frustriert:
"[Schirrmachers] ‚Ego‘ [reiht] sich in die Reihe der Bücher ein, deren prominente Autorinnen und Autoren Themen […] künstlich aufblasen, willkürliche Belege zusammensuchen, mit einer schwurbeligen Sprachen hantieren und Missverständnisse in Kauf nehmen. Denn es geht vor allem darum, sich wichtig zu machen. Wir, die wir darüber schreiben, spielen dieses Spiel mit."
Feuilleton-Balgereien entwickelten sich auch um Wolfgang Kraushaars Buch "Wann endlich beginnt bei euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel? München 1970 – Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus". Die FAZ brachte einen Vorabdruck.
Folgt man Kraushaar, war Kommune 1-Gründer Dieter Kunzelmann mitverantwortlich für den Brandanschlag, bei dem 1970 in München sieben Menschen umkamen, darunter Auschwitz-Überlebende.
Folgt man SZ-Autor Willi Winkler, schreibt Kraushaar Unsinn:
"Freie Assoziation [soll] erbringen, was die Fakten nicht hergeben. Das ist zwar schlechter Journalismus und dient bestimmt nicht der Wahrheitsfindung, erzeugt aber jenes Grundrauschen, das allen vertraut klingt, die schon immer ein Generalverdacht gegen die Linke plagte."
Und folgt man FAZ-Autor Lorenz Jäger, kommt Kraushaar immer noch nicht gut weg:
"Kraushaars Versuch, Dieter Kunzelmann eine schon immer dagewesen antisemitische Grundhaltung nachzuweisen, führt nicht sehr weit, die Zeugen dafür sind dünn gesät. […] Wir wäre die ‚Kommune 1‘ ohne die Theorien des jüdischen Psychoanalytikers Wilhelm Reich zur sexuellen Befreiung auch nur denkbar gewesen?"
Um beim Thema zu bleiben: TAZ-Autor Jan Feddersen befürchtete im Blick auf die aktuelle Sexismus-Debatte, dass es mit der Befreiung vorbei ist.
"Sexuelles, das so durchgeregelt ist wie ein Autoverkehrsübungsplatz irgendwo in der Provinz, vollgestellt mit Stoppschildern, Verbots- und Gebotsmahnungen, […] ist kein Sexuelles mehr."
Einen Ausweg aus der misslichen Lage fand indessen TAZ-Autorin Margarete Stokowski,
indem sie die neue Facebook-App "Bang with friends" – Übersetzung Stokowski: "(‚Mit Freunden vögeln‘)" – ausprobierte.
Wie die lustige bangin‘-Geschichte der TAZ-Autorin ausging, können wir leider nicht mehr schildern.
Denn wir wollen noch erwähnen, dass Christopher Lauer, der Chef der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus, nicht mehr twittert.
Lauers Begründung in der FAZ:
"Am Ende summieren sich bei mir verlorene Zeit und Nerven, sozialer Stress und zerfaserte Kommunikation sowie mediale Super-GAUs zu verlorener Produktivität. […] Twitter ist für mich gestorben. Das Gezwitschere bringt nichts."
Vielleicht hilft Ihnen diese Nachricht ja, liebe Hörer. Auf jeden Fall: Bis bald!